Versteckte Fouls im Strafraum Teil 2

  • Teil 1 findet ihr hier.


    Ein Unikum, das die Fans und die Reporter mochten. Den ganz großen Erfolg aber hat er nie feiern können. Bayer 04 wurde 1988 Uefa-Cup-Sieger, gewann 1993 den deutschen Pokal und wurde viermal Vize-Meister. Keine schlechte, aber auch keine berauschende Bilanz. Calmunds Entfremdung vom Mutterkonzern begann mit der Kokain-Affäre des damaligen Trainers Christoph Daum. Die Konzernführung bat Anwälte von draußen, sich um den Hergang der merkwürdigen Haarprobe zu kümmern. „Zehn Wichtigtuer von der AG“ hätten Fragen gestellt, sagte Calmund. „Die haben gesagt, spring’ in die Scheiße und sorge dafür, dass wir keine Spritzer abkriegen.“


    Calmund machte den dicken Maxe. Den designierten AG-Chef Werner Wenning fragte er in großer Runde, ob dieser denn jetzt der Nachfolger von Schneider werde. Das macht man nicht in den feineren Kreisen. Später vertraute er Wenning an, dass der neue vierköpfige Gesellschafterausschuss der Bayer-Fußball-Abteilung „die komprimierte Ahnungslosigkeit auf vier Sitzen“ sei. So was hört niemand gern.


    Über den neuen Sportbeauftragten Meinolf Sprink verbreitete Calmund den Spruch, der junge Mann sei keiner der „üblichen Wendehälse“, sondern habe „ein Kugellager im Kopf“. Das war auch nicht nett. Mit seinem Mitgeschäftsführer Wolfgang Holzhäuser, der 1998 nach Leverkusen gekommen war, verband ihn herzlichste Abneigung. „Holzi“, der mal Ligasekretär des DFB war, sei ein Dilettant, sagte Calmund früh. Ein Flop.


    Ein Niemand. Als Holzhäuser am 10. März von den Kölner Ermittlern zu Calmund befragt wurde, sagte er, in der Fußball-Abteilung von Bayer habe es einen „1A- und einen 1B-Geschäftsführer" gegeben. 1A war der andere, Calmund. Im Sommer 2004 trennten sich Calmund und Bayer. Holzhäuser blieb alleiniger Geschäftsführer. Viele Fans hat er seither nicht gewonnen. Lieber mit Calmund trauern, als mit Holzhäuser feiern, ist ein Spruch, der in der BayArena kursiert.


    Dass die alten Geschichten und Rivalitäten nicht vergessen sind, machte eine Veröffentlichung im Spiegel Anfang März deutlich. Das Nachrichten-Magazin behauptete, Calmund habe seinen Job bei Bayer Leverkusen nicht freiwillig aufgegeben. Vielmehr habe den Fußball-Manager der unklare Verbleib von 580 000 Euro seinen Job gekostet.


    Transparent machte der Spiegel seine eigene Rolle in dieser Geschichte nicht. Die Vorermittlungen begannen Anfang des Jahres. Am 4. Januar traf sich der Kriminalbeamte Karl-Heinz Wallmeier mit einem Spiegel-Journalisten in einem Bielefelder Cafe.


    Danach notierte der Beamte: „Durch einen Hinweisgeber wurde bekannt, dass in der Ligasaison 2002/2003 ein oder mehrere Spiele“ möglicherweise durch einen Beauftragten von Bayer Leverkusen oder durch Reiner Calmund gekauft worden seien. Der „Hinweisgeber“ sei der Spiegel-Mann, der sich am Vortag bei dem Beamten telefonisch gemeldet und erklärt habe, dass er sich mit ihm über „einen Sachverhalt unterhalten wolle, der für die Polizei und die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit Sicherheit von großem Interesse sei“.


    Wallmeier begann mit Vorermittlungen. Die Entstehungsgeschichte der Affäre ist so ungewöhnlich wie die mutmaßliche Quelle. Nicht nur Calmund vermutet sie bei Bayer. Irgendwo haben alle Affären-Geschichten ihren Ursprung, aber es wäre schon interessant, festzustellen, wer wen warum jagt.


    Im November 2004 schickte Bayer 04 einen Münchner Wirtschaftsanwalt nach Florida. Der sollte dort auskundschaften, ob es von dem Spielervermittler Juan Figer Schmiergeldzahlungen („Kickback“) an Calmund gegeben hat. Der Uruguayer Figer hat eine Art Monopol für die Auslands-Transfers auf dem brasilianischen Fußballermarkt.


    Calmund und Figer haben viele Millionen-Geschäfte gemacht. Am 8. November 2004 traf sich der Bayer-Anwalt im feinen Ritz-Charlton-Hotel in Naples/Florida mit Gerrit Niehaus. Der ist finanzkräftiger Bayer-Mäzen und ein Calmund-Spezi. Niehaus schrieb am 10. November 2004 an den „lieben Reiner“, der Anwalt habe ihm „eine größere Geldsumme“ geboten, wenn er Angaben über Kickback-Geschäfte und Schwarzgeldkonten Calmunds machen könne. Niehaus will das Gespräch entrüstet abgebrochen haben.


    Dass sich die Chefetage der Bayer AG für Calmunds heikle Fußballgeschäfte interessierte, muss diesem spätestens am 26. Mai 2004, wenige Wochen vor seinem Ausscheiden, klar geworden sein. An diesem Tag hatte ihn der Chefsyndikus des Konzerns, Roland Hartwig, einbestellt. Flankiert von drei weiteren Juristen sprach Hartwig den Bayer-04-Manager auf angebliche Spielmanipulationen an. Laut Protokoll soll sich Calmund dazu kryptisch eingelassen haben. „Wer meint, dass im Fußballgeschäft alles sauber läuft, der ist auf dem Holzweg.“


    Die Bayer-Juristen konfrontierten Calmund mit dessen dubiosen Andeutungen. Beim 3:0-Sieg über 1860 München am vorletzten Spieltag der Saison 2002/2003 soll der Sprücheklopfer auf der Tribüne über den 1860er-Torwart gemunkelt haben: „Meint ihr, der hält immer so schlecht?“ Später habe er einen leistungsschwachen Löwen-Spieler als „unseren Lebensretter“ gelobt. Indizien, dass in diesem Abstiegskampf „etwas gelaufen“ ist, wie die Bayer-Juristen Calmunds Aussagen verstanden haben wollen? Oder nur „das übliche Thekengeschwätz“, wie der Beschuldigte behauptet?


    In Leverkusen herrscht ein Klima nervöser Gereiztheit. Der Ton ist bitter und voller Vorwürfe. „In welch furchtbare Geschichten reitet uns Calmund rein?“, fragt ein Bayer-Verantwortlicher. Calmund hat nur eine ungefähre Ahnung, wo der Feind sitzt. Bei Bayer, das ist für ihn zumindest klar, „aber wo ist das Motiv, wer legt die Bomben?“, fragt er.


    Wenn er über die Affäre spricht, arbeitet es in ihm. Er verschränkt die Arme, will damit nichts zu tun haben. Schnell verfällt er dem Sog seiner eigenen, in sich geschlossenen Redeweise. Ein unfrohes Lachen hat sich verselbständigt. „Ohren steif, Stahlhelm auf und durch die Scheiße durchmarschiert“, solche Sätze sagt er. Er wirkt nicht souverän. Die Verletzungen sind sichtbar. Gegen fahrige Handbewegungen hilft er sich, indem er seine Finger knetet. Sein Gesicht erscheint maskenhaft, als werde es nicht richtig durchblutet. Früher habe er „geschlafen wie ein Bär“, seit Wochen muss er Schlaftabletten nehmen.


    Einst wollte er am Mittelkreis in der BayArena begraben werden. Jetzt will er das Stadion nie mehr betreten. Als beim letzten Heimspiel die Fans Holzhäuser anpöbelten und Calmund hochleben ließen, saß er vor dem Fernseher und weinte vor Glück, Zorn und Trauer. Der Zuspruch der Fans sei wichtig für seine Kinder gewesen, sagt er und weint wieder. Ist das alles eine Inszenierung, ein Bluff, ein Schwank wie bei Millowitsch?


    Schließlich spielt die Geschichte im Schlagschatten des Kölner Doms, und da gibt es den „Grielächer“. Das ist jene Person, deren Hand einmal wäscht, einmal gewaschen wird, die nie etwas ernst nimmt, was ernst genommen zu werden verdient.


    Wird Calmund da draußen richtig verstanden? Wenn er das Karnevalslied summt „Ich bin ene Räuber“, meint er vermutlich etwas anderes, als die Zuhörer im Süden oder Norden der Republik. Es gibt eine Kölner Redensart, die heißt: „Der muss im Dom beichten gehen.“ Das drückt die Ehrfurcht aus, die Gelegenheitskriminelle dem Herrgott entgegenbringen. Und Calmund ist oft im Dom gewesen.


    Quelle: sueddeutsche.de
    http://www.sueddeutsche.de/,tt…el/919/72847/article.html