Versteckte Fouls im Strafraum Teil 1

  • Quelle: Süddeutsche.de


    http://www.sueddeutsche.de/spo…el/919/72847/article.html


    Es gibt wenige Selbsteinschätzungen, die der ehemalige Fußball-Manager Reiner Calmund, 57, seiner Umgebung erspart hat. Dass er ein „Drecksack“, ein „Schlitzohr“, ein „abgewichstes Kerlchen“ sei, hat er so oft gesagt, dass auf seiner Visitenkarte stehen könnte: „Der Drecksack“. Vermutlich wüsste sogar der Postbote im heimischen Odenthal, nahe Köln, wer gemeint ist, wenn als Anschrift nur der Ort und das böse Wort auftauchten.


    Während die meisten seiner Kollegen stets Wert auf eine tadellose Fassade legten, verkündete Calmund früh ungerührt: „Lügen sind im Fußballgeschäft legitim wie beim Pokern“ (1993). Am „Rande der Legalität“ würden die ganz großen Geschäfte gemacht (1998). „Bargeld lacht“ (1979-2006). Er, der Schlaumeier, weiß ganz genau, „wie es in der Welt zugeht“. Er, der Pfiffikus, will, koste es, was es wolle, witzig sein: „Unter den Blinden ist der Dreibeinige König.“


    Über die Frage, ob Calmund in seinen 16 Jahren als Manager bei Bayer 04 Leverkusen das Gefühl für Größenordnungen und Machbarkeit, für die Unterscheidung von richtig und falsch, völlig abhanden gekommen ist, denkt in diesen Tagen der Kölner Staatsanwalt Norbert Reifferscheidt nach. Er ermittelt gegen Calmund und den Spielerberater Volker Graul wegen Verdachts der Untreue „in einem besonders schweren Fall“.


    Vordergründig geht es um den Verbleib von 580000 Euro aus der Bayer-Vereinskasse, die Calmund an Graul für Kaufoptionen auf ausländische Jugend-Nationalspieler bezahlt haben will. Ein Teil des Geldes soll für Operationen in Serbien und Kroatien ausgegeben worden sein. Calmunds Anwalt Stefan Seitz vermutet, Graul werde seine Hintermänner bei der Staatsanwaltschaft nicht nennen können. „Das wäre für ihn auf dem Balkan das sichere Todesurteil.“


    Fast sieben Stunden hat Strafverfolger Reifferscheidt den Beschuldigten Calmund am Montag vernommen. Hinterher zeigte sich Calmund erleichtert wie nach einem schweren Auswärtsspiel. „Das war ein Befreiungsschlag.“ Mit dem Kölner Arbeitsrechtler Seitz und dem Düsseldorfer Strafverteidiger Sven Thomas hat der selbst ernannte „XXL-Manager“ zwei hochkarätige Anwälte verpflichtet, die ihm juristischen Flankenschutz geben. „Wir wollten Champions-League“, sagt Calmund über seine teure Advokatenriege, „sonst stehste am Ende alleine gegen so einen Konzern doof da.“


    Es geht ja auch um eine ganze Menge: Immerhin hat der Ermittler Reifferscheidt den „Anfangsverdacht“, dass in der Bundesliga-Saison 2002/2003 mehrere Spiele von Bayer Leverkusen manipuliert worden sein könnten. Demnach soll Calmund mit den 580000 Euro für die damals abstiegsbedrohten Leverkusener den Klassenerhalt erkauft haben. Diese schlimme Vermutung wurde und wird, erstaunlicherweise, von Bayer-Verantwortlichen genährt, deren Verein, wenn der Verdacht zuträfe, härteste Sanktionen befürchten müsste – bis zum Bundesliga-Lizenzentzug.


    Das alles ist nur schwer zu verstehen und liefert dennoch einen seltenen Einblick in ein Milieu, das Fußballbetrieb genannt wird. „Der Fußball ist zu 95 Prozent sauber“, sagt Bayer-04-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser. Das heißt im Umkehrschluss, dass fünf Prozent unsauber sind, was jährlich einen hohen schmutzigen zweistelligen Millionenbetrag ausmachen würde. Aber welche fünf Prozent sind verseucht?


    Bei Bayer jedenfalls stinkt es gewaltig. Vom Hexenkessel eines Vereins wird der Deckel gehoben und üble Dämpfe steigen auf. Der Fall Calmund ist ein seltsamer Fall. Es gibt ungewöhnliche Durchstechereien, alte Rechnungen werden beglichen und fortwährend treten Leute aus jenem Panoptikum auf, in dem das dicke Auto den schlechten Leumund kompensieren hilft. Kein roter Faden ist zu erkennen, der durchs Labyrinth führt – statt dessen gibt es viel Widersprüchliches und zahlreiche Ungereimtheiten.


    Welches Motiv könnten, wenn sie es denn waren, Verantwortliche der Bayer AG gehabt haben, den Fall Calmund heimlich loszutreten? Weiß der Schlaumeier Calmund eigentlich, was er so erzählt? Oder ist das nur eine gigantische Fiktion, in der alles etwas anderes bedeutet, als es besagt? Alles nicht wahr. Ein Scherz. Karneval. Hat Calmund, im Branchenjargon der „Pate von Leverkusen“, gegen das elfte Gebot verstoßen? Du sollst dich nicht erwischen lassen. Er selbst nennt alle Vorwürfe „totalen Blödsinn.“ Er versichert: „Ich habe nie in meinem Leben ein Spiel gekauft.“




    In der Fußball-Welt gelten eigene Regeln, und die Usancen in Leverkusen sind besonders komplex. Jede Stadt hat, trotz ihrer Vielfalt, ein eigenes Gesicht. Wenn man Hamburg sagt, denkt man an Elbluft und steifen Hanseatengeist. Wenn man Köln sagt, riecht man etwas Katholisches, wenn man Leverkusen sagt, denkt man an Tiefgaragen, die über der Erde Stadtmitte heißen. Hier wurde eine Stadt um eine Fabrik gebaut. Es gibt ein Bayer-Kaufhaus, ein Bayer-Erholungshaus, ein Bayer-Kasino und einen Bayer-Sportverein, dessen bekannteste Abteilung der Fußball-Klub ist.


    „Als ich kam, war das ein Kaninchenstall“, sagt Calmund etwas salopp. Der gelernte Außenhandelskaufmann und Außenverteidiger wurde 1976 bei Bayer04 Jugendleiter, Personalkoordinator und Stadionsprecher. Dann machte er aus dem Plastik- und Pillenclub, der biederen Beamtenfußball spielte, einen richtigen Verein.


    Er holte den holländischen Meistertrainer Rinus Michels, importierte junge afrikanische Ballartisten, kaufte DDR-Nationalkicker und brasilianische Stars - und immer floss das Bargeld. Selbst in Brasilien wurde Calmund zur Berühmtheit. „Kleines, dickes Bandito“, nannte der Fußball-Profi Tita den massigen Bayer-Manager. Ein größeres Kompliment hätte er ihm nicht machen können. Calmund – ein Gassenjunge, einer von der Straße – wie die Brasilianer.


    Als er noch talentierte Spieler für die Jugendmannschaften von Leverkusen anheuerte, stellte er schon mal einen Fuß in die Tür, wenn ihn die Eltern nicht reinlassen wollten. Calmund machte Karriere: „Der Verein ist mir“, sagte er bald, was die Eigentumsverhältnisse nicht ganz korrekt wiedergab. Aber er hatte den Bayer-Vorstandschef Jürgen Schneider auf seiner Seite und den damaligen Sportbeauftragten der Bayer AG, Jürgen von Einem, auch.


    Der Mann, den seine Frau zärtlich „Moby“ nennt und der etwa 150 Kilogramm schwer ist, inszenierte sich gern als „absoluten Stressfresser“ und stellte sich als Angehöriger der „Blutgruppe positiv bekloppt“ vor. Ex-Bayer-Vorstand Günter W. Becker rühmt Calmund heute noch als „kleines Genie, das nicht immer genau war“. Unter seriösen Geschäftspartnern schwadronierte er über die „Banco di Hoppsassa“ und ähnliches.


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