WM-Stars, die schon da sind: Der für Bayer Leverkusen spielende Schweizer Barnetta heißt wie seine Vorfahren mit Vornamen Tranquillo. Das bedeutet: ruhig und bescheiden
Für Loni gibt es überhaupt keine Zweifel: "Drr Barnetta isch wükli super." Und Maureen findet: "Er esch de bescht Schwyzer Fuessballer, er hed e geniali Technik und riese Spelöbersecht." Die Schweizer Fußball-Fans singen im weltweiten Netz eine Lobeshymne nach der anderen auf Tranquillo Barnetta. Auf Schwyzer Dütsch, Französisch oder Italienisch: Die Fan-Foren quillen über von Superlativen über den Fußball-Profi von Bayer Leverkusen. In der Schweiz ist Tranquillo Barnetta so populär wie bei uns der ebenfalls erst 20-jährige Lukas Podolski. Allerdings ist "Quillo" im Gegensatz zu "Prinz Poldi" schon in Topform für die Weltmeisterschaft in Deutschland.
"Tranquillo bringt sämtliche Voraussetzungen mit, die man für eine außergewöhnliche Karriere braucht", urteilt Köbi Kuhn. Für den 62-jährigen Schweizer Nationaltrainer, stets ruhig und besonnen, sind dies geradezu euphorische Töne, die für die Wertschätzung Barnettas sprechen. Kuhn brachte nicht nur dieses Juwel zum Funkeln. Er machte am 16. November 2005 mit der WM-Qualifikation ein ganzes Land glücklich. Über Jahrzehnte gehörte unter Eidgenossen der Begriff der "ehrenhaften Niederlage" zum Standardvokabular. Es wurde schon als toller Erfolg angesehen, wenn die Schweizer gegen England oder Deutschland nicht die Hucke voll bekamen. Jetzt wird nicht länger der "Wir-waren-nahe-dran-Blues" gesungen. Köbi Kuhn formte ein neues, selbstbewusstes Team, in dem Barnetta trotz seiner Jugend schon zu den Leistungsträgern zählt.
Als Barnetta Anfang März beim 3:1 über Schottland im elften Länderspiel zum ersten Mal ins Netz traf, überschlugen sich nicht nur die Fans in den Internet-Foren. Auch die Schweizer Medien gerieten in Verzückung. "Barnetta ist der kreative Mehrwert", schrieb die seriöse "Neue Zürcher Zeitung", "er ragt aus der Arbeiterschaft heraus, er hebt das Team in einer Weise auf eine höhere Stufe, wie es nur wenige können. Und dabei tat das Federgewicht mit dem dünnen Fleisch um die Knochen nur das, wofür er in der Bundesliga geschätzt wird."
Es gibt viele, viele Beispiele von Senkrechtstartern im Fußball, die angesichts solcher Töne die Bodenhaftung verloren. Bei dem 1,77 Meter großen und 62 Kilo schweren Barnetta ist die Gefahr gering. Im Stammbuch ist die Mahnung festgeschrieben. Seit Generationen wird ein männlicher Nachkomme der aus Italien stammenden Barnettas auf den Namen "Tranquillo", der Ruhige, der Bescheidene, getauft. "Nur weil ich einige Tore in der Bundesliga geschossen habe, bin ich noch längst kein Star", macht Tranquillo seinem Namen alle Ehre, "ich kann noch viel lernen."
Trotzdem ist er schon ein internationaler Star. Als Adidas zur Präsentation seiner ultramodernen Neu-Kreation auf das Gelände von Real Madrid bat, gehörte auch Barnetta neben Zinedine Zidane oder David Beckham zum hochillustren Kreis der eingeladenen Ballzauberer. "Ja, es war ganz witzig", sagt Barnetta, der in seinem Elternhaus in St. Gallen ein Trikot seines Vorbilds Zidane an der Wand hängen hat. Bei der WM in Deutschland wird er allerdings seinem Idol auf die Füße treten, wenn es am 13. Juni in Stuttgart zum Gruppenspiel der Schweizer gegen die Franzosen kommt.
"Bei der Weltmeisterschaft ist alles möglich", sagt Barnetta, "wir wollen auf jeden Fall die Gruppenphase überstehen. Es ist doch klar, dass wir so weit wie möglich kommen wollen. Wer weiss, vielleicht bis ins Finale." Gegen Frankreich sei nach zwei Unentschieden in der Qualifikation endlich der erste Sieg fällig. Außer gegen die Franzosen muss die Schweiz in der Gruppe G gegen Togo und Südkorea ("das wird unangenehm, weil die so viel rennen") ran.
Erst einmal gilt Barnettas Aufmerksamkeit aber Bayer Leverkusen. Schließlich will er mit seiner Vereins-Mannschaft auf internationaler Ebene vertreten sein. "In Leverkusen konnte ich mich gut weiter entwickeln", sagt er. Seit Monaten zählt er zu den besten Spielern in seinem Klub. Das 2:0 vor einer Woche in Stuttgart will er aber nicht überbewerten: "Nur weil wir jetzt einmal gewonnen haben, dürfen wir nicht abheben." Barnetta bleibt eben immer tranquillo.
WAZ