Calmund - Die Ich-AG im Börsentief (Artikel Rheinische Post Hauptteil)

  • Die Ich-AG im Börsentief


    Reiner Calmund arbeitete sich aus einfachen Verhältnissen bis in die feinste Gesellschaft
    des Fußballs empor. Er wollte immer gewinnen und er gewann viel. Jetzt steht das Spiel auf der Kippe.


    Von UDO BONNEKOH
    LEVERKUSEN Damals, als die „Schwadbud” noch existierte im seinerzeit betulichen Leverkusen, ist Reiner Calmund beinahe allabendlich in den beliebten Treff am Rande des Haberland-Stadions gekommen. Hat sich in dieser „Schwatzbude”, eingepflanzt als Kleinstgaststätte in einen Container, hemdsärmelig zu diskutierenden Rentnern, Jugendtrainern und Freunden gesetzt. Einen wichtigen Termin hat er vorgeschützt, wenn Nahestehende nach dem Mann mit gewöhnungsbedürftigem Zeitbegriff forschten. Er ließ aus avisierten „füneff Minutte” schon mal Tage werden. Und wenig später fand sich ein Kreis zum beliebten Skat, Abart Ramsch zu viert. Als am späten Abend alle Spiele gespielt und, „Maria, noch ‘n Kotelett mit ‘ner Extra-Portion Kartoffelsalat”, fast alles Essbare vertilgt waren, gab es die von „Calli” erfundene „olympische Wertung”. Das vorhersehbare Ende aller flotten Kalkulationen: Der Sieger hieß selbstverständlich Calmund.
    Immer gewinnen: Das ist auch heute noch der ungebremste Antrieb des Mannes, der von ganz unten gekommen ist. Mit sieben Jahren schon hat er den Vater verloren. Der Stiefvater hat bei Rheinbraun in Brühl im Tagebau Braunkohle abgebaut. Die Calmunds wohnten in einer Zechensiedlung mit dem Charme der 50er Jahre, wie sie im Film „Das Wunder von Bern” als Kulisse hätte dienen können. Später der Umzug der Kleinbürger-Familie nach Frechen, weil der Stiefvater versetzt worden war im Energie-Unternehmen.
    Schule schließlich, Fachhochschule mit dem Abschluss als staatlich geprüfter Betriebswirt, Fachrichtung Personalwesen. Nebenbei immer gejobbt ob als Zeitungsbote oder später als freier Mitarbeiter im Lokalsport der „Kölnischen Rundschau”, Ausgabe Köln-Land. Layouten, Schreiben, Redigieren „dat wor dat volle Programm”. Und wenn ihm heute ein Journalist bei einem störenden Anruf etwas von zeitlichem Druck erzählt, winkt er müde lächelnd von der hohen Warte ab. Er kennt das alles und meistens besser. Der (gefühlte) Sieger heißt auch da wie selbstverständlich Calmund.
    Immer gewinnen: Behäbig ist der einst zarte, schlanke Reinhard (so steht der Vorname im Pass) nie gewesen bei seinem Aufstieg zu einem der bekanntesten Deutschen. 1976 lotste ihn der „Jüchener Jung” Willibert Kremer, gerade als Trainer beim Noch-Zweitligisten Bayer installiert, nach Leverkusen. Kremers Auftrag an Calli: Jugendabteilung aufbauen, Spielbetrieb organisieren, Mannschaften mit Trikots ausstatten. Verbunden war dies mit einer ordentlich dotierten Stelle im Personalwesen des Konzerns. Das Ressort Fußball-Nachwuchs blühte bald, sportlich und als Abteilung mit familiärer Atmosphäre als Mini-Gegenentwurf zum „Plastik- und Pillenklub”, der schon allein deshalb auf spärliche Sympathien stieß, weil er sich nur übers Geld definierte.
    Immer gewinnen: Zimperlich ist der heute 57-Jährige mit dem großen Herzen, der bei den Liedern der kölschen Mundartgruppe „De Höhner” schnell ins Sentimentale verfällt, beim behenden Klettern auf der Karriereleiter auch nie gewesen. Zwölf Jahre nach seinem absolut unspektakulären Einzug bei Bayer, als das heute als BayArena firmierende Haberland-Stadion tatsächlich eher einem Kaninchenstall ähnelte, wurde der Name Calmund im Organigramm des Unternehmens als Manager geführt. Michael Meier, einst als Calmunds zähmender Partner vorgesehen in der Führung der Sparte Profi-Fußball und heute beim 1. FC Köln einer der Macher, hat früh aufgegeben in der zehrenden Konkurrenz zum gewichtigen Strippenzieher, der sich Vorteile auch mit rüden Methoden zu verschaffen versteht.
    Immer gewinnen: „Calli hat das Pech, dass er intelligenter ist als die meisten, mit denen er zu tun hat”, sagt einer der wenigen Vertrauten des nun um seinen Ruf kämpfenden „Dicken”, der immer leicht unaufgeräumt daherkommt. Intelligenz schafft entweder Neider oder schreckt ab. Und Calmund hat sich fortschreitend weniger um die Befindlichkeiten der meisten Menschen in seiner Umgebung gekümmert. Abgehobenheit schafft Feinde.
    Er, allen Freuden des Lebens zugetan, hat gleichsam als Synergieeffekt zur sportlich prosperierenden Fußball-Tochter eifrig gewerkelt an der „Marke Calmund”, einer im Handelsregister eingetragenen massigen Ich-AG, mit einer wundersam einfachen Marketingstrategie: Volksnähe über Originalität bis hin zum Abgleiten ins leicht Ordinäre („Man soll nitt höher pisse wolle als man kann”), ständige Präsenz auf allen Wellen, in allen Kanälen und möglichst vielen Druckerzeugnissen. Die Fans hat es nicht gestört, im Gegenteil, sie nennen ihn „das Gesicht von Bayer”, das einem einst steril anmutenden, künstlichen Gebilde Herz und Profil verliehen hat. Und das kostet.
    „Ein Finale in der Champions League und entsprechende Werbung fürs Unternehmen ist eben nicht nur für ein paar Millionen zu haben.” Das sagt er zu der Mannschaft, die seinerzeit den attraktivsten Fußball in der Republik gespielt und entzückte Liebhaber im In- und Ausland hinter sich versammelt hat angesichts der zauberhaften Darbietungen der Ballack, Bastürk, Ze Roberto, Lucio.
    Immer gewinnen: Auch Erfolg und reichlich Anerkennung haben dem generösen Calmund, dem durch ständig gesteigerte Popularität in vielen Belangen das Maß abhanden gekommen ist, nie zu innerer Balance gereicht. „Wenn Ruhe am Berg herrschte, trat er Schneebretter los, die donnernd zu Tal stürzten” heißt es in einer Passage eines Schlüsselromans („Gefährlicher Strafraum”) von Jürgen von Einem über den rastlosen „Calli” und seine Transferaktivitäten in Südamerika auf (lebens-)gefährlichem, schmierigem Terrain. „Risiko gehört zum Geschäft”, hat er immer wieder gesagt, wenn er der Konkurrenz in der Verpflichtung der Brasilianer Emerson oder Lucio mal wieder ein Schnippchen geschlagen hat. Und: „Die Großen fressen nicht die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.” Gerade bei und mit den Brasilianern hat der mit einem fotografischen Gedächtnis und einem lange Zeit fast untrüglichen Instinkt für Talente Ausgestattete gute Geschäfte gemacht Ausgleich quasi für manchen Flop bei in typischen Schnellschüssen engagierten Spielern und Trainern.
    Immer gewinnen: Fix, vor allem im Kopf, ist der 150-Kilo-Kerl, und das lässt er unbedarftere Menschen in seiner Umgebung zuweilen auf barsche, gar verletzende Art spüren, damit immer klar ist, wer der Sieger in jedwedem Duell sein wird. Überlegenheit wandelt sich da manchmal gefährlich schnell in abstoßende Selbstherrlichkeit nach Platz-da-jetzt-komm-ich-Art. Verdrängung pur und Schattenwerfen. Im Unternehmen hat er sich in seiner Leverkusener Spätzeit vor der Trennung im Juni 2004 natürlich Feinde geschaffen mit seinem Absolutheitsanspruch nach Fürstenart, seinem Umgang mit Geld nach dem Muster levantinischer Kaufleute. Die, die ihn näher kennen, aber lassen nichts auf ihn kommen, schätzen das auch sensible Schwergewicht als schützenden, fürsorglichen Chef, als mimisch begabten Entertainer, als clownesken Erzähler (allerdings nur beim ersten oder zweiten Durchlauf).
    Immer gewinnen: Calmund, ein „Politik-Chaot”, erzählt gern von seinen Kontakten zum „von mir verehrten” Helmut Kohl oder zu Angela Merkel Merkmale für den gesellschaftlichen Aufstieg in der Vor- und Nach- „Big-Boss” Zeit” bei RTL und Laudationen bei der „Bambi-Verleihung”. Eintritt in die Bussi- und Smoking-Gesellschaft.
    Immer gewinnen: Das Spiel steht für den Leverkusener Ex-Impresario, den „König der Optionen”, im Moment auf der Kippe. „Erstmals als Beschuldigter vor der Justiz, damit musst du erst mal fertig werden, das geht an die Substanz”, sagt er, und meint nicht nur seine eigene. Verdacht der schweren Untreue, Barabhebungen von 580\x10000 Euro, netto gezahlt an einen Spielerberater. Schiebung bei den letzten Leverkusener Spielen der Saison 2002/2003 sogar, als alles den Bach hinunter zu gehen drohte? „Ich kämpfe vor allem für meine Kinder, dass diese haltlosen Verdächtigungen widerlegt werden”, sagt er, der sich selbst gern mal kokettierend als „kleiner Ganove” und „Drecksack” oder als einen bezeichnet, der „auch in die asoziale Kiste greift”. Seine Frau Sylvia, schwer mitgenommen schon 2000 in der Kokain-Affäre um Trainer Christoph Daum, leidet unsäglich unter dem, was sich mittlerweile nicht mehr nur als ein Fall der Kölner Staatsanwaltschaft darstellt, sondern als eine auch die Fans anwidernde „Schlammschlacht”. Leverkusen, der Uefa-Cup-Gewinner von 1988, der Champions-League-Finalist von 2002, als Skandalklub.
    Verlieren gehört nicht in die Calmundsche Vorstellungswelt, und wenn, dann allenfalls in gewinnenden Finals wie 2002.