In der Affäre um Reiner Calmund geraten die seltsamen Umgangsformen bei Bayer Leverkusen und mafiöse Strukturen auf dem Transfermarkt an die Öffentlichkeit
von Jörg Winterfeldt
Seine Feinde wähnten sich schon am Ziel. Am vergangenen Montag, exakt um sieben Minuten nach zehn, erschien Reiner Calmund, 57, vor dem Kölner Staatsanwalt Norbert Reifferscheidt zur Vernehmung. Es herrschte beträchtlicher Auflauf im Raum 502: Fast sieben Stunden lang lauschten den Ausführungen des früheren Managers vom Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen neben dem Chefermittler in der Sache 115 JS 32/06 zwei Kriminaloberkommissare, eine Wirtschaftsreferentin, eine Justizangestellte sowie Calmunds renommierte Rechtsanwälte Stefan Seitz und Sven Thomas. "Wenn so ein Konzern so richtig gegen dich auffährt, brauchst du Champions League", ahnt Calmund, "auch wenn's zwickt im Portemonnaie."
Die Fahnder prüfen, wohin 580 000 Euro geraten sind, deren Verbleib Calmunds früherem Geschäftsführer-Kollegen und späterem Nachfolger Wolfgang Holzhäuser angeblich Rätsel aufgibt. Interne Untersuchungen des Klubs schließen zumindest nicht aus, daß Calmund mit dem Geld, das offiziell zum Erwerb von Kaufoptionen an fünf serbischen und kroatischen Fußballprofis diente, Fußballspiele manipulieren ließ.
Doch seit die Vorwürfe durch den "Spiegel" vor vier Wochen öffentlich publik wurden, hat der Fall eine wundersame Wendung hinter sich. Inzwischen ist klar, daß Calmund erst durch die Recherchen des Nachrichtenmagazins ins Visier der Ermittler geraten ist. Wechselweise gerieten verschiedene Spiele und Gegner Bayer Leverkusens im Abstiegskampf der Saison 2002/2003 in und auch wieder aus dem Verdacht, in Schiebungen verwickelt zu sein.
Die Beweislage gegen Calmund hat sich trotz der fleißigen Ermittlungen nicht erhärten können, gleichzeitig erscheint die Rolle des Bayer-04-Geschäftsführers Holzhäuser in der verworrenen Affäre immer dubioser. Am Freitag räumte der Leitende Kölner Oberstaatsanwalt Jürgen Kapischke gegenüber dem Kölner "Express" ein, es sei "zwar denkbar, daß Herr Calmund etwas großzügig mit dem Geld umgegangen ist, aber dafür, daß er in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, gibt es bislang keine klaren Hinweise".
Statt dessen eröffnet sich den Ermittlern nur ein erhellendes Bild von den zerstrittenen Verhältnissen im Ligaspitzenklub Leverkusen, mit denen Calmund bis zu seinem Ausscheiden im Juni 2004 zu kämpfen hatte. Und, wichtiger noch: Die Dokumente und Aussagen bieten einen Einblick in die Gepflogenheiten, Tricksereien und mafiösen Strukturen beim Millionengeschacher um internationale Fußballprofis. Inzwischen muß Bayer Leverkusen damit rechnen, daß viele Transfers Calmunds durchleuchtet werden, da immer wieder Unterlagen aus dem Klub an die Öffentlichkeit kommen.
Schon am Montag hatte Calmund, sagt sein Anwalt Seitz, "die Staatsanwaltschaft über die tatsächlichen Sachverhalte bei drei Transfers von brasilianischen Profis informiert". Es geht dabei um die Transfers von Ze Roberto von Bayer Leverkusen zu Bayern München und die Verpflichtung von Juan im Sommer 2002 sowie die Rückkehr von Robson Ponte aus Wolfsburg ein Jahr darauf. Jeweils seien Holzhäuser oder andere Bayer-Leute einbezogen gewesen.
Dabei macht Calmund kein Hehl daraus, daß die verheerende Verkettung der Sitten des Gewerbes, der Finanzvorräte seines Klubs und seines Temperaments zuweilen für skurrile Transfergeschichten gut waren. "Bei mir gab's immer nur zwei Verhandlungsrunden", sagt Calmund, "wenn ich einen nicht mehr gewollt hab', hab' ich den Berater nach der zweiten Runde durchs Fenster geworfen - wenn ich einen gewollt hab', hab' ich ihm zuviel Geld bezahlt."
Beim Untreuevorwurf geht es um den Verbleib jener 580 000 Euro, die im Juni 2003 in drei Tranchen und in bar von Calmund bei der Sparkasse Leverkusen abgeholt und an den Borgholzhausener Spielervermittler Volker Graul weitergereicht wurden. Der gilt spätestens als Schlitzohr, seit er Anfang der 80er Jahre vom Deutschen Fußball-Bund bestraft wurde, weil er vom Oberligisten Gütersloh 180 000 Mark jährlich für das Fußballspielen kassierte, obwohl das nach dem Amateurstatut verboten war.
Später handelte Graul mit Autos und Fußballprofis. Finanzkräftige Vereine wie Leverkusen nutzen die Dienste von Leuten wie Graul, um zunächst nicht bei Verhandlungen in Erscheinung treten zu müssen. Einerseits kann einer wie Graul vertraglich noch gebundene Spieler ansprechen, was offiziell verboten ist, andererseits vermeiden Spitzenklubs so, daß der abgebende Verein nur ihretwegen gleich den Preis in die Höhe treibt. Graul besorgt über Mittelsmänner jeweils die Zusage des Klubs und des Spielers, dem Transfer zuzustimmen. Für die 580 000 Euro wollen er und Calmund sich Kaufoptionen an fünf Profis vom Balkan gesichert haben, "alle heute Nationalspieler", sagt Graul.
Die Deals sind offensichtlich nicht ungefährlich. "Graul hat sich da unten mit Personenschutz bewegt", sagt sein Münsteraner Anwalt Veith Wirth, "die sind immer in Kolonnen mit drei Autos im Höllentempo gerast, Graul im mittleren Wagen, vorne und hinten schwerbewaffnete Männer."
Das Problem seines Mandanten ist heute, daß er seine Unterlagen an Bayer weitergereicht haben will, sie sich dort aber nicht mehr finden lassen. Und, daß Bayer keine der Optionen wahrgenommen hat, weil ein Transfer des Brasilianers Lucio nach Italien geplatzt ist. Grauls Anwälte, neben Wirth der Bielefelder Strafrechtler Detlev Binder, gehen in der Sache nun gegen Holzhäuser vor. Am Freitag ließen sie ihn mit einer "Unterlassungserklärung" abmahnen, weil Holzhäuser in einem Interview behauptet hatte: "Wir wissen nicht, wofür Volker Graul die 580 000 Euro erhalten hat' und "die Steuerfahndung ist hinter Graul her'", was angeblich die Ermittlungen ausgelöst habe. Wirth arbeitet nun daran, erneut Bestätigungen für den Erhalt des Geldes aufzutreiben. Gegen Holzhäuser will er Strafanzeige wegen Falschbeschuldigung, übler Nachrede, Verleumdung und Urkundenunterdrückung erstatten. Der Bayer-Geschäftsführer verschweige, daß er die von Graul abgelieferten Options-Belege "vernichtet" habe, weil er sie angeblich "buchhalterisch" als unverwertbar einstufte. Holzhäuser bestreitet das: "Die Vorwürfe sind so absurd, daß ich sie gar nicht kommentiere."
Ausgangspunkt der nicht einmal intern ernst genommenen, dennoch aber aktenkundig gemachten Manipulationshinweise gegen Calmund ist offensichtlich eine Kurznachricht mit Glückwünschen des früheren Nationalspielers Thomas Häßler an Calmund am Tag nach dessen 55. Geburtstag, die der Manager in größerer Runde im Bayer-Casino zum besten gab.
Weil Häßler mit 1860 München im Abstiegskampf Monate zuvor gegen Bayer verloren hatte, kommentierte Calmund launig: "Das war der Icke. Durch seinen Stolperer hat er uns das Leben gerettet." Anschließend will Calmund vom Sportbeauftragten der Bayer AG Meinolf Sprink gewarnt worden sein: "Der Holzhäuser versucht Klaus Beck (Vorsitzender des vierköpfigen Gesellschafterausschusses, d.R.) zu beeinflussen, aufgrund dieser Aussage eine rechtliche Prüfung vorzunehmen. Das ist zwar Blödsinn. Aber Sie wissen ja, wo der Holzhäuser ihnen eine reinhauen kann, macht er das."
Tatsächlich mußte Calmund am 26. Mai 2004 im Büro von Roland Hartwig, dem Chefsyndikus der Bayer AG, antanzen, um förmlich zu dem Vorgang Stellung zu nehmen. Weil er den Ernst der Lage verkannt hat, zog Calmund ungehalten vom Leder, bei welchen Spielen noch überall manipuliert sein worden könnte.Ursprünglich auf vier Seiten protokolliert, wurde das Ergebnis Anfang März vom Bayer-Anwalt Walther Graf auf nun zwölf Seiten zusammen gefaßt an die Staatsanwaltschaft gegeben.
Seit seinem Aussagemarathon beobachtet Calmund beruhigter, wie sich die Lage wendet: "Das fliegt den Heckenschützen hoffentlich alles um die Ohren, aber volle Möhre."