Bayer und die Schmerzen des Sports

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    Quelle: http://www.spiegel.de/sport/sonst/0,1518,410003,00.html


    Von Daniel Theweleit


    Sie holten Titel im Basketball und Goldmedaillen bei Olympia: Von Bayer gesponserte Sportler standen über Jahre für Erfolg. Doch in der Krise sparte der Weltkonzern auch im Sport. Das bekam auch der spendable Reiner Calmund zu spüren, der im großen Stil Geld ausgegeben hat.


    Man kann ihn immer noch riechen auf den Anlagen der Bayer-Sportvereine, den Duft des Wohlfahrtsstaates. Sauber verputzte Fassaden, die Hallenböden gewienert, die Rasenflächen sauber gestutzt, und aus den Duschen kommt heißes Wasser. "Nein, verändert hat sich hier in den letzten 20 Jahren wenig", sagt Platzwart Smail Hodzic, der sich um die Kurt-Rieß-Anlage direkt neben der BayArena kümmert. Eine Gruppe Jogger läuft vorbei, eine Mutter bringt ihren Sohn zum Kindersport, in der Halle kicken ein paar bierbäuchige Männer - direkt neben dem Training der Bundesliga-Volleyballerinnen. Dann fällt dem älteren Herrn in der Latzhose doch noch etwas ein, das anders ist als früher: "Wir gewinnen nicht mehr so viele Medaillen."


    Erfolge, das war in der Hoch-Zeit des Bayer-Sports die Währung, mit der das Millionen-Engagement des Chemiekonzerns zurückgezahlt wurde. Mittlerweile liegen die letzten olympischen Goldmedaillen der Bayer-Sportler 14 Jahre zurück: Dieter Baumann (5000 Meter) und Heike Henkel im Hochsprung. Namen aus einer anderen Zeit.


    Neuere Meldungen lesen sich ernüchternd. Die Basketball-Männer, Serienmeister in den Neunzigern haben erneut die Playoffs verpasst. Die Boxer, 2002 noch nationaler Champion: abgestiegen in die dritte Liga. Die besten Schwimmer, Thomas Rupprath und Antje Buschulte: Sie haben Bayer Wuppertal längst verlassen. Mittlerweile gilt es als gute Nachricht, wenn die Handballmänner von Bayer Dormagen um den Aufstieg in die Bundesliga kämpfen. Immerhin stehen die Handball-Frauen im Meisterschafts-Halbfinale. "Bayer Dormagen ist Zweiter, und die Heimspiele sind das größte gesellschaftliche Ereignis der Stadt", sagt Meinolf Sprink, der Sportbeauftragte des Weltkonzerns.


    Was ist passiert bei Bayer, wo die großen Erfolge einst so selbstverständlich waren wie die guten Verkaufszahlen von Aspirin? Was ist in Zeiten von Shareholder Value und globalisierten Märkten aus den Ressourcen für den Sport geworden? "Die Bedingungen sind mit den früheren Jahren nicht mehr vergleichbar", sagt Steffi Nerius. Sie war schon als Sportlerin für Bayer aktiv, jetzt arbeitet die Speerwerferin, Olympiazweite 2004, als Trainerin im Bayer-Behindertensport.


    Was Nerius jetzt erlebt, brachte schon das System Calmund bei der Bayer Leverkusen Fußball GmbH ins Wanken. Als die Bayer AG 2002 ihre Lipobay-Katastrophe zu bewältigen hatte, musste an allen Ecken gespart werden, die Sportetats wurden in der Folge auf den Prüfstand gestellt. Besonders kostspielig war die Fußball-Sparte. Denn Calmund ging während seiner Tätigkeit als Manager stets großzügig mit dem Geld um. Das konnte unmöglich so weiter gehen. Auch die anderen Spitzensportetats sind "ein wenig zurückgegangen", wie Sprink vorsichtig sagt. Nur noch gut drei Millionen Euro steckt der Konzern heute jährlich in diesen Bereich.


    "Die Basketballer konnten früher in Amerika shoppen und da Spieler holen, das ist jetzt sicher anders", sagt der Sportbeauftragte, ohne konkrete Zahlen nennen zu wollen. Man schaut jetzt genauer hin. In den kommenden Wochen wird die Arbeit der Basketballabteilung überprüft werden, erzählt deren Geschäftsführer Otto Reintjes, der trotz der durchwachsenen Saison aber an ein mildes Urteil glaubt. "Der Konzern reagiert nicht auf kurzfristige Höhen oder Tiefen. Man überprüft von Zeit zu Zeit, ob das Engagement in dieser Form Sinn macht", sagt Reintjes. Als er mit den Bayer Giants 1992 Meister geworden ist, habe er sich gar nicht richtig freuen können, erzählt er, "andere wären mit so guten Rahmenbedingungen vielleicht auch so erfolgreich gewesen". Heutige Titel hätten da einen bedeutend höheren Wert. Wenn es sie denn gäbe.


    In der Not setzt man deshalb auf das Programm, das immer hilft, wenn die Mittel fehlen: das Prinzip Eigengewächs. "Wir wollen unsere Nachwuchssportler nach vorne bringen", erklärt Sprink, Verpflichtungen von etablierten Kräften wie "Claudia Gesell oder Dieter Baumann wären für uns heute kein Thema mehr". Doch diese neue Vereinspolitik zahle sich selbstredend erst in den kommenden Jahren aus. Vielleicht.


    Einstweilen regiert also der Optimismus in den Sportabteilungen und die Erkenntnis, dass nichts mehr so sein wird wie früher. "Wir müssen schon mit weniger auskommen, als es früher der Fall gewesen ist", sagt Hans-Jörg Thomaskamp, der Trainer der Hoch- und Weitspringer. Und auch wenn es "Potenzial gibt, einzusparen, ohne dass Qualität verloren geht" (Thomaskamp) - die Furcht geht um, dass Ereignisse wie die geplante Schering-Übernahme durch die Bayer AG zu weiteren tiefen Einschnitten führen könnten. Schließlich sollen 6000 Arbeitsplätze wegfallen.


    Es gibt aber auch Leute im Verein, die die sportliche Krise nicht allein an geschrumpften Fördermitteln festmachen wollen. Leute wie Otto Reintjes, der fordert, dass die gemütlichen Strukturen des Vereinslebens der vergangenen 20 Jahre erneuert werden müssten. "Man hat das ja oft, dass jemand, der jahrelang Vorreiter war, am Alten festhält und dann irgendwann überholt wird", sagt er. Die Krise als Chance? Vielleicht ist Bayer etwas spät dran, aber immerhin weiß mittlerweile jeder, dass die Idylle der Wohlfahrt wohl nicht mehr zurückkehren wird.