VON CHRISTOPH PLUSCHKE, 24.04.06, 06:57h
Hamburger SV - Bayer 04 Leverkusen
Simon Rolfes und Paul Freier treffen für das Team von Michael Skibbe.
Hamburg - Es gibt sie immer wieder, diese Spiele. Da agiert die eine Mannschaft hoch überlegen, erarbeitet sich eine Chance nach der anderen, trifft aber partout das Tor nicht und wird zunehmend nervös, ja sogar verzweifelt. Auf der anderen Seite verteidigt ein Team mit jeder Menge Glück, aber auch einigem Geschick und nutzt vorne die eigenen Gelegenheiten gnadenlos aus. So fasste HSV-Trainer Thomas Doll am frühen Samstagabend nach der 0:2-Heimniederlage seiner Elf gegen Bayer 04 Leverkusen treffend zusammen: „Wir haben eine großartige Leistung abgeliefert, hätten aber heute noch stundenlang so weitermachen können und trotzdem nicht getroffen.“ Es gibt sie eben, diese Spiele.
Und weil das so ist, konnte Bayer dank des vierten Sieges hintereinander mit nunmehr 28 Rückrundenpunkten die Hamburger (27) als erfolgreichsten Bundesligisten nach der Winterpause ablösen und seine Chance auf die Uefa-Cup-Qualifikation nachhaltig verbessern. Dabei hätten die Leverkusener bereits zur Pause hoffnungslos zurückliegen können, bei „normalem“ Verlauf vielleicht sogar müssen. Außerhalb jeder Norm war jedoch, was die um ihre letzte Titelchance fightenden Hamburger an Torchancen vergaben - teils mit Pech (wie bei Ailtons Pfostentreffer nach sieben Minuten), teils aber auch auf Grund von Unvermögen (wie bei Benjamin Lauths diversen Stolpereien in des Gegners Strafraum). Enorm war aber auch, was Bayer-Keeper Hans-Jörg Butt an ehemaliger Wirkungsstätte in der AOL-Arena zeigte: zahlreiche Glanzparaden und großartige Reflexe auf der Linie, sichere Strafraumbeherrschung, couragiertes Herauslaufen, kurzum eine überragende Torhüterleistung. „Er allein hat uns in der ersten Halbzeit im Rennen gehalten“, konstatierte Trainer Michael Skibbe, dem nicht verborgen geblieben war, wie ungeschickt sich seine Abwehrspieler - auch der zum WM-Kandidaten avancierte Jens Nowotny - bis dahin angestellt hatten. Keinen Anlass zur Kritik hatte der Bayer-Coach dagegen bei der Bewertung des Offensivverhaltens seiner Mannschaft. „Das hat prima funktioniert.“
Zum Beispiel beim 0:1 in der achten Minute, als Dimitar Berbatow im gegnerischen Sechzehner per Hackentrick spektakulär den Kollegen Simon Rolfes freispielte, der die Kugel am machtlosen HSV-Schlussmann Sascha Kirschstein vorbei ins Netz bugsierte. Oder nach 77 Minuten, als Tranquillo Barnetta als vorletzte Station eines perfekt vorgetragenen Konters nach rechts zu Paul Freier passte, der zunächst den viel zu ungestüm herangrätschenden Timothee Atouba mit seinem Standardtrick ins Leere rutschen ließ und anschließend mit einem präzisen Schuss ins lange Eck zum 0:2 traf.
Geradezu entzückt reagierte Rudi Völler. „Wie wir unsere Tore erzielt haben, das sah schon ein bisschen nach Barcelona aus“, befand der Bayer-Sportdirektor mit seinem berühmten Augenzwinkern, räumte aber ernsthaft ein, „dass wir heute auch eine große Portion Glück benötigt haben“. Nach einer Halbzeit zwischen Hoffen und Bangen habe die Mannschaft nach der Pause aber immer mehr an Sicherheit gewonnen. „Wir besitzen jetzt genug Selbstbewusstsein, um auch mit kritischen Situationen umgehen zu können und uns immer wieder daraus zu befreien“, sagte Völler und fügte hinzu: „So ist das eben, wenn man einen Lauf hat.“
So gesehen, kommt die pokalfinalbedingte, zehntägige Bundesliga-Pause den Leverkusenern eher etwas ungelegen. Sie sind erst am 2. Mai wieder im Einsatz - im „Endspiel“ um die Uefacup-Teilnahme beim direkten Konkurrenten Hertha BSC Berlin. „Sollten wir auch dort gewinnen, müssten wir eigentlich durch sein“, glaubt Rudi Völler.