Spurensuche in Brasilien

  • 27.04.2006 22:10 Uhr


    Die Affäre Calmund


    Wer hat wen für was bezahlt? Die Kölner Staatsanwaltschaft prüft nun Zahlungen über 11,8 Millionen Dollar.


    Von Johannes Nitschmann


    Die Finanzaffäre um Reiner Calmund, den ehemaligen Fußball-Manager von Bayer Leverkusen, wird immer mysteriöser. Bayer 04-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser bestätigte der SZ am Donnerstag, der Verein habe bereits am 18. Mai 2004 eine strafbefreiende Selbstanzeige beim Finanzamt Leverkusen erstattet.


    Dabei sei es um undurchsichtige Zahlungsvorgänge in Höhe von 11,85 Millionen Dollar – also damals etwa 7,3 Millionen Euro – für Provisionen an Spielerberater „aus dem lateinamerikanischen Raum“ gegangen.


    Bei Bayer 04 standen in der Ära Calmund zahlreiche brasilianische Profis wie Zé Roberto, Paulo Rink, Robson Ponte, Franca und Juan unter Vertrag. Diese waren über den uruguayischen Spielervermittler Juan Figer transferiert worden.


    Das Bekanntwerden der Selbstanzeige löste Spekulationen aus, dass Bayer 04 mit den millionenschweren Überweisungen nach Brasilien womöglich verdeckte Gehaltszahlungen für seine hochkarätigen Profis geleistet hat, um beiderseitig die Steuer zu umgehen.


    Mit der Selbstanzeige wären aber nur Steuerdelikte von weiterer Strafvervolgung ausgeschlossen. Die Kölner Staatsanwaltschaft, die gegen Calmund bereits seit Wochen wegen Untreue-Verdachts ermittelt, will die mit der Selbstanzeige bekannt gewordenen Provisionszahlungen nun mit Blick auf mögliche andere Strafdelikte untersuchen.


    Der Leitende Oberstaatsanwalt der Kölner Ermittlungsbehörde, Jürgen Kapischke, erklärte der SZ am Donnerstag, die Provisions-Zahlungen von Bayer 04 in Höhe von annähernd zwölf Millionen Dollar würden von der Staatsanwaltschaft „unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft“.


    Dabei müsse „selbstverständlich“ auch dem Verdacht der Untreue nachgegangen werden, sagte Kapiscke. Calmund-Anwalt Stefan Seitz erklärte, die mit der Selbstanzeige offen gelegten Zahlungen seien „keineswegs spektakulär“. Für ihn sei der Sachverhalt „längst abgehakt“. Hier gehe es „nicht um Calmund, sondern allenfalls um einen Fall Bayer“.


    Über die tatsächliche Verwendung der Provisionsgelder habe „keine letzte Klarheit“ bestanden, erklärte Holzhäuser. Deshalb seien von dem Bundesligisten „aus äußerster Vorsorge“ nachträglich etwa 3,8 Millionen Euro Steuern gezahlt worden. Zwei Wochen nach der Selbstanzeige hatten sich Bayer und dessen langjähriger Fußball-Manager im Jahr 2004 überraschend getrennt.


    Holzhäuser hatte nach eigener Darstellung im Frühherbst 2003 den Gesellschafterausschuss von Bayer 04 unterrichtet, als ihm dubiose Provisions-Rechnungen für Spielertransfers aus Brasilien zur Überweisung vorgelegt worden seien. Die in Rechnung gestellten Transfervorgänge seien für ihn „nicht plausibel“ gewesen. Wenig später seien die Rechnungen auf der Bayer-Geschäftsstelle verschwunden. Die Forderungen seien auch nie wieder geltend gemacht worden.


    Nach diesem merkwürdigen Vorgang war offenbar die Revisionsabteilung des Bayer-Konzerns eingeschaltet worden. Bereits bei deren ersten Prüfungen hatte es laut eines Vermerks „Hinweise auf zweifelhafte Geschäftsvorgänge“ gegeben.


    Vereinbarungen, auf denen die Provisionsforderungen basierten, seien „nicht schriftlich eindeutig“ oder in einigen Fällen lediglich mündlich getroffen worden, monierten die Prüfer.


    Angesichts dieser alarmierenden Feststellungen habe er „darauf gedrungen, sämtliche Zahlungen in den lateinamerikanischen Raum“ bei Bayer 04 zusammen zu stellen und diese dem zuständigen Finanzamt zu melden, erklärte Holzhäuser der SZ.


    Dies sei am 18. Mai 2004 im Wege einer von Calmund und ihm gemeinsam unterzeichneten Selbstanzeige geschehen. Gegenüber dem Finanzamt seien von Bayer 04 für den Zeitraum zwischen 1998 und 2003 Provisionszahlungen in Höhe von 11,85 Millionen Dollar erklärt und darauf Steuern von etwa 3,8 Millionen Euro entrichtet worden.


    Schwarzgeldkonten in Florida vermutet


    Er gehe immer noch davon aus, dass es sich bei den Ausgaben „weitgehend um Provisionzahlungen“ für Spielervermittler gehandelt habe, erklärte Holzhäuser. Diese kassierten in der Regel zwischen zehn und 20 Prozent des Jahresgehalts der von ihnen betreuten Akteure. Die Durchsicht der Verträge habe „keine wirklichen Anhaltspunkte“ für so genannte Netto-Zahlungen ergeben.


    Nach Informationen des Kölner Stadtanzeigers sollen die 11,85 Millionen Dollar von Bayer 04 sämtlich auf Konten von Firmen in Lateinamerika geflossen sein, die dem Spielerberater Figer zuzurechnen seien. Calmund hatte mit Figer zahlreiche Brasilien-Transfers abgewickelt.


    Im November 2004 hatte Bayer 04 einen Münchner Wirtschaftsanwalt nach Florida geschickt, um dort zu erkunden, ob es Schmiergeldzahlungen (Kickback-Geschäfte) von Figer an Calmund gegeben hatte. Der Bayer-Konzern hatte in Florida offenbar Schwarzgeldkonten seines ehemaligen Fußball-Managers vermutet.


    Seit dem 8. März ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft gegen Calmund und den Spielerberater Volker Graul wegen des Verdachts der Untreue „in einem besonders schweren Fall“. Dabei geht es um den Verbleib von 580.000 Euro, die Calmund in drei Tranchen bar aus der Bayer-Kasse an Graul für Vorkaufsrechte auf serbische und kroatische Nationalspieler übergeben haben will.


    Bayer 04 liegen aber keine Dokumente über solche Optionsgeschäfte vor. Auf einem der drei von Calmund eingelösten Barschecks über 380.000 Euro sind als Verwendungszweck nicht etwa Vorkaufsrechte für Spieler vom Balkan, sondern „Vorauszahlung an J. Figer Transfers 03/04“ vermerkt.


    (SZ vom vom 28.4.2006)


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