Der aufrechte Skibbe als Bayers Krisenhelfer
Von Gregor Derichs
02. Mai 2006
Noch drei Spiele wird Jens Nowotny für Bayer Leverkusen bestreiten, ehe er den Klub nach zehn Jahren verläßt. Versüßt wird dem 32 Jahre alten Profi der Abschied mit einer Abfindung in Höhe von 4,7 Millionen Euro, jenem Betrag, den er für zwei weitere Jahre in Leverkusen erhalten hätte. Die seltsame Vertragsregelung, die ihm als Ausstandsgeschenk ein üppiges Handgeld garantiert, hat dem Abwehrspieler die Entscheidung erleichtert, eine neue Herausforderung zu suchen. Der AC Florenz soll, wie auch einige Bundesligaklubs, Interesse an seiner Verpflichtung haben.
Schließlich ist der Nationalspieler zur Schlüsselfigur für den aktuellen Aufschwung geworden, durch den die Leverkusener nach fünf Siegen hintereinander wieder zu einem Aspiranten auf die Teilnahme am nächsten Uefa-Pokal-Wettbewerb wurden. In Berlin gegen Hertha BSC findet an diesem Dienstag nach dem DFB-Pokalfinale eine weitere Partie mit Endspielcharakter statt. Der Sieger besäße die beste Perspektive auf einen Europapokalstart. "Ich werde weiterhin alles tun, daß wir es schaffen", sagt Nowotny, der auf eigenes Risiko spielt. Falls der Innenverteidiger, der erst im Februar nach einem vierten Kreuzbandriß ein Comeback gab, durch eine neue Verletzung zum Sportinvaliden würde, wäre die Abfindung des Vereins hinfällig. Ob auch mögliche Einsätze in der Nationalmannschaft während der WM bis zum Vertragsende bei Bayer 04 am 30. Juni unter die Risikoklausel fallen, ist noch ungeklärt.
Konzept-Änderung in relativer Ruhe
Bayer-Trainer Michael Skibbe empfiehlt seinen Abwehrchef jedenfalls für eine WM-Berufung: "Durch seine Präsenz, seine Erfahrung, sein Organisationstalent gibt er der Mannschaft einen großen Rückhalt. Junge Spieler können sich an ihm aufrichten." Die Integration Nowotnys, den der Verein wegen diverser juristischer Auseinandersetzungen während der Saison schon suspendiert hatte, ist eine von mehreren Maßnahmen Skibbes, die den sportlichen Aufschwung einleiteten.
Mitte März nach den Niederlagen gegen Bielefeld und Mainz war der Glaube an ein befriedigendes Saisonende noch schwer beschädigt. Danach aber änderte der frühere Bundestrainer Skibbe das taktische Konzept, setzte die Nationalspieler Marko Babic (Kroatien), Andrej Woronin (Ukraine) und Jacek Krzynowek (Polen) auf die Ersatzbank. Selbst der brasilianische Weltmeister Roque Junior, für den Nowotny einsprang, hat momentan nach einer Achillessehnenverletzung vorerst keine Aussicht, wieder Stammspieler zu werden. Obwohl das Team lange benötigte, um die gewünschte Stabilität zu erreichen, konnte Skibbe in relativer Ruhe arbeiten.
Von der „Calmund-Krise“ profitiert
"Wir hatten das Glück in der Phase, als wir nicht so gut gespielt haben, daß wir nicht Zielscheibe der Medien waren", sagt der Vierzigjährige. Das Theater um die "Calmund-Krise" sorgte für die größeren Schlagzeilen. "Davon haben wir profitiert", sagt Skibbe. Inzwischen ist es umgekehrt, denn die Vereinsführung kann aufatmen, daß die Teilnahme am Uefa-Cup wieder greifbar geworden ist. In der vorigen Woche wurden weitere finanzielle Unregelmäßigkeiten bekannt, die an Brisanz auch den Fall Calmund und die versickerten Provisionszahlungen in Höhe von mehr als 580.000 Euro übertreffen könnten. Kurz vor dem Rücktritt des früheren Managers im Juni 2004 hatte der Verein Selbstanzeige beim Finanzamt erstattet, weil Rechnungsbelege über 11,85 Millionen Dollar an den Spielervermittler Juan Figer aus Uruguay für Transfers von brasilianischen Profis nicht eindeutig zugeordnet werden konnten.
Wegen eines anderen Transfers wurden vor ein paar Tagen Klubräume und Wohnungen ehemaliger Mitarbeiter von Steuerfahndern durchsucht. Dazu wurde publik, daß der Verein die Saison 2002/03 mit einem Verlust von 42 Millionen Euro abgeschlossen hatte. Angesichts der Tatsache, daß die Bayer AG zwischen 2001 und 2004 rund 200 Millionen in den Verein pumpte, und den ständig neuen Enthüllungen wird Bayer 04 künftig wohl auf das Image verzichten, zu den besser organisierten Vereinen zu zählen.
Text: F.A.Z., 02.05.2006, Nr. 101 / Seite 36