"Nur nicht die Nerven verlieren"
Als Michael Skibbe nach Leverkusen kam, wurde dies nicht ohne Skepsis registriert. Doch die anfänglichen Probleme sind längst überwunden, Bayer ist mit ihm als Trainer das beste Rückrundenteam
kicker: Herr Skibbe, ein 5:1-Sieg in Berlin, und es schien, als wollten Sie sich für diesen Triumph entschuldigen? War das wirklich nötig?
Michael Skibbe (40): Wir haben einfach zu viele Torchancen zugelassen. Und das war nach der sicheren 3:0-Führung nicht nötig. Wir wurden nachlässig.
kicker: Wurden diese Nachlässigkeiten bereits aufgearbeitet? Oder haben Sie der Mannschaft trotz allem gratuliert?
Skibbe: Natürlich habe ich ihr zuerst gratuliert. Aber wir werden das Spiel noch in der Videoanalyse aufarbeiten. Die guten wie die schlechten Szenen.
kicker: Die Freude steht also im Vordergrund?
Skibbe: Natürlich, es war ein Big Point.
kicker: Ist Bayer durch im Rennen um Platz fünf?
Skibbe: Nein! Auf keinen Fall.
kicker: Sie stapeln tief!
Skibbe: Wir haben die beste Ausgangsposition. Das war vor Wochen anders. Da hatten wir von allen Bewerbern die schlechteste Basis. Und jetzt wollen wir es schaffen.
kicker: Sechs Siege hintereinander - was an dieser Serie ist Glück, was Können und was entspringt dem so genannten "Lauf"?
Skibbe: Es ist eine Kombination aus allem. Wir spielen guten Fußball und haben das Glück, dass die Gegner den Pfosten treffen.
kicker: Ist die Offensivkraft Bayers größtes Faustpfand?
Skibbe: Nein, das ist die mannschaftliche Homogenität. Wir präsentieren uns aggressiv, stören früh, suchen den Weg nach vorne und schließen schnell ab.
kicker: Und nehmen dafür Schwächen im Defensivverhalten in Kauf...
Skibbe: Die treten dann auf, wenn wir, wie in Hamburg oder in Berlin, zu tief stehen, zu spät attackieren.
kicker: Bayer war nach der Hinrunde potenzielles Kellerkind. Was geschah in der Winterpause?
Skibbe: Klar, der UEFA-Cup-Platz war Wunschdenken damals. Aber ich war davon überzeugt, dass die Qualität stimmt.
kicker: Seit der Umstellung auf das 4-3-3-System stimmen die Ergebnisse. Warum erfolgte sie so spät?
Skibbe: Es stimmt, die Mannschaft fühlt sich wohl in dieser Formation. Weil jeder da spielt, wo er seine Stärken hat. Ich habe mir mit Peter Hermann (Co-Trainer,Anm. d. Red.) lange und intensiv Gedanken gemacht, welche Ausrichtung die beste ist. Es hat ein bisschen gedauert, aber letztlich haben wir sie gefunden.
kicker: Wird dieses System auch in Zukunft gespielt?
Skibbe: Sagen wir so: Es ist die Basis. Wobei wir noch abwarten müssen, was in Sachen Neueinkäufen geschieht.
kicker: Anders als andere Trainer laufen Sie nicht mit dem Wunschzettel durch die Öffentlichkeit. Wollen Sie überhaupt neue Spieler?
Skibbe: Bei uns wird jeder Transfer sauber und in Ruhe vorbereitet. Rudi Völler, Michael Reschke und ich arbeiten im Team. So haben wir mit Stefan Kießling einen echten Coup geschafft.
kicker: Wer kommt noch?
Skibbe: Pirmin Schwegler von Young Boys Bern.
kicker: Das war’s?
Skibbe: Wir sind zufrieden mit der Kaderzusammenstellung.
kicker: Wer soll Fritz und Nowotny ersetzen?
Skibbe: Schwegler oder Castro können rechter Außenverteidiger spielen. Ansonsten überlegen wir, ob wir mit dem vorhandenen Personal auskommen oder nachrüsten müssen. Wir sehen uns um.
kicker: Was wird aus Dimitar Berbatov? Die unklare Situation scheint ihn ja immerhin zu beflügeln, er trifft wie selten zuvor.
Skibbe: So unklar ist die Situation nicht. Zunächst mal hat er ja Vertrag bei uns. Mal sehen, ob einer kommt und so viel Geld aufbringt. Beflügelt ist er seit der Systemumstellung, seitdem er einzige Spitze spielt. Dimitar genießt gerade die Situation, unser unangefochtener Stürmer Nummer eins zu sein.
kicker: Als Sie nach Leverkusen kamen, galten Sie für viele als zweite Wahl. Hat Sie dies getroffen?
Skibbe: Nein, weil ich aus Gesprächen mit Rudi Völler immer gewusst habe, dass ich einer der ersten Kandidaten war.
kicker: Und die Kritik nach den anfänglichen Schwierigkeiten mit nur einem Sieg aus zehn Spielen?
Skibbe: Eine Mannschaft zu finden und zu formen, das dauert. Man darf nur nicht die Nerven verlieren. Und diesen Fehler hat hier eben keiner gemacht.
kicker: Zwischenzeitlich landete Kapitän Carsten Ramelow auf der Bank, zuletzt traf es mit Jacek Krzynowek und Andrey Voronin zwei Nationalspieler und WM-Teilnehmer. Wie schwer fällt es Ihnen, solch prominente Spieler zu opfern?
Skibbe: Entscheidungen für Spieler sind immer auch Entscheidungen gegen andere. Deren Enttäuschung kann ich verstehen. Aber diese Personalentscheidungen zeigen auch, wie gut unser Kader tatsächlich besetzt ist.
kicker: Sie haben geäußert, die diversen Skandale um Bayer hätten der Mannschaft auf ihrem Weg geholfen. Inwiefern?
Skibbe: Zunächst muss man festhalten, dass das, was passiert ist, nicht angenehm war für die Beteiligten. Aber der Mannschaft hat es nicht geschadet, sie konnte genau in dieser Zeit ihre innere Festigkeit entwickeln, ist sozusagen im Schatten der Vorkommnisse gewachsen. Verrückt, aber wahr.
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