• Bayer 04 Leverkusen


    Big Mama


    Von Johannes Röhrig


    Wie viel darf Fußball kosten? Ohne üppige Finanzspritzen vom Mutterkonzern wäre der Fußball-Betrieb Bayer 04 Leverkusen wohl am Ende gewesen.


    Wenn Werner Wenning von der Tribüne auf das Spielfeld blickt, macht er eine Wandlung durch. Dann vergisst der bedächtige Mann alles, manchmal sogar sich selbst. Wenning jubelt und singt, schreit sich in Rage und flucht. In solchen Situationen sei der 59-Jährige nicht mehr der besonnene Konzernchef, sagen Leute aus seiner Umgebung, sondern nur noch glühender Fan des Fußballvereins Bayer 04 Leverkusen. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn das Hobby nicht ein bisschen teuer wäre.


    Bayer ist größter Fußballsponsor
    Wenning ist Vorstandschef der Bayer AG, der Pharmakonzern ist Deutschlands größter Fußballsponsor. Und neben VW in Wolfsburg der einzige Konzern, der sich einen eigenen Erstligaklub leistet. Doch trotz guter Aussichten des Vereins auf einen Platz im Uefa-Cup wird Wenning die Freude am Ballsport in jüngster Zeit vergällt. Das Image des Klubs ist lädiert, seit die Staatsanwaltschaft gegen Ex-Geschäftsführer Reiner Calmund wegen des Verdachts der Untreue ermittelt. Gleichzeitig beschert der Fußball seit Jahren Verluste. Nun steht bis Sommer die nächste teure Entscheidung an: 50 Millionen Euro soll der Stadionausbau kosten.


    Die Zeit für grosszügige Gesten ist bei Bayer ungünstig. An diesem Freitag treffen sich die Aktionäre zur Hauptversammlung. Ein Thema dort: die geplante milliardenteure Übernahme des Konkurrenten Schering und damit verbundene mögliche Entlassungen. Ist es angesichts von Stellenstreichungen vermittelbar, weiter hohe Millionensummen in den Fußball zu stecken? Die Kicker-Leidenschaft droht zur Gewissensfrage zu werden.


    Nur Millionenspritze half
    Die sportlichen Erfolge - viermal Vizemeister in den vergangenen Jahren - haben überdeckt, dass das Management unter Calmund und Ko-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser den Verein finanziell fast ins Aus manövriert hatte. Teure Spielereinkäufe und eine sportliche Flaute, die 2003 fast den Abstieg bedeutet hätte - das reichte, um die Weiterführung des Spielbetriebs massiv zu gefährden. "Wir mussten von den Krediten runter, bevor die Überschuldungsfrage sich stellte", gibt Holzhäuser heute zu. Seit Calmunds Abgang im Sommer 2004 führt er den Verein allein. Um die Pleite zu verhindern, musste die Pharma-Mutter Bayer zuletzt zusätzlich mindestens 70 Millionen Euro in den Spielbetrieb stecken. Alle "Sondermaßnahmen zur Sanierung", so Holzhäuser, hätten rund 100 Millionen Euro betragen.


    In normalen Zeiten überweist die Marketingabteilung der Bayer AG pro Saison 25 Millionen Euro an die Fußballabteilung, als Imagegeld für den Werbeeffekt der Kicker. Zusammen mit den Einnahmen etwa aus TV-Geldern und Stadioneintritt soll es der Klub finanziell schaffen und möglichst international mitspielen. Mitte 2003 brach dieses Gefüge zusammen. Damals ging es wegen wegbrechender TV-Einnahmen vielen Erstligavereinen schlecht, aber in kaum einem war die Situation so dramatisch wie bei den Kickern aus Leverkusen, wie sich nun zeigt. Die Fußball-GmbH schloss ihr Geschäftsjahr mit einem Minus von gut 42 Millionen Euro ab. Die kurzfristigen Bankschulden lagen bei 60,6 Millionen Euro.


    Griff in die Buchhalter-Trickkiste
    Da griff die Mutter Bayer AG noch tiefer in die Schatulle - und der Verein in die Buchhalter-Trickkiste. Das Gros der Bankverbindlichkeiten wurde auf einen Cash-Pool des Pharmariesen mit günstigeren Konditionen umgeschuldet. Für 37,3 Millionen Euro verkaufte der Fußball-Betrieb mögliche künftige Spieler-Transfererlöse vorab an eine Bayer-Tochter - obwohl alle wussten, dass der Spielermarkt am Boden lag. Schließlich kaufte die AG 2004 für 36 Millionen Euro für zehn Jahre die Namensrechte an der BayArena zurück. Dabei hatte der Konzern das Stadion erst kurz zuvor zum Freundschaftspreis an die Fußball-Tochter abgegeben.


    Um unangenehme Fragen zu vermeiden, hat sich die Fußball-Tochter der Bayer AG nun von der Veröffentlichungspflicht der Geschäftszahlen befreien lassen. Stattdessen sendet Manager Holzhäuser Positiv-Signale aus: Sein Betrieb liege "voll im Fünf-Jahres-Sanierungsplan".


    Zwar schreibt Bayer 04 immer noch Miese - 2005 waren es knapp fünf Millionen Euro. Doch spätestens 2008 soll die Klub-Rettung abgeschlossen sein. Denn an einem Punkt gibt es bei Bayer intern keinen Zweifel: Dann wird der Patient vom Tropf der Pharma-Mutter wohl abgeklemmt.


    Stern 13.05.2006