„Da ist irgendwie was schiefgelaufen“

  • Nowotnys Comeback


    Von Peter Heß, Leverkusen


    "Man kommt rein, und es gibt sofort ein Gegentor"
    31. Mai 2006


    Fast zwei Jahre mußte Jens Nowotny auf sein 46. Länderspiel warten - er hätte sich gerne noch ein bißchen länger geduldet. Keine zwei Minuten stand der 32 Jahre alte Abwehrspieler gegen Japan auf dem Platz, und schon stand es 1:0 für Japan. Nicht, daß er direkt schuld gewesen wäre. Aber es machte einfach keinen guten Eindruck.


    Nowotny hob bei einem mit klinischer Präzision geführten japanischen Konter das Abseits auf und ermöglichte dadurch dem Bundesligaprofi Takahara den Führungstreffer. Aber der Innenverteidiger von Bayer Leverkusen hätte sich in seinem Heimspiel schon in Windeseile in Luft auflösen müssen, um rechtzeitig aus dem Weg zu kommen. "Es ist optimal gelaufen. Ein Comeback, ausgerechnet in Leverkusen, man kommt rein, und es gibt sofort ein Gegentor", meinte der Routinier mit ironischem Unterton.


    Selbst Klinsmann findet kein Lob


    Nowotny kann bei beiden Gegentoren nicht eingreifen


    Auch bei Takaharas 0:2 stand Nowotny in der Nähe, wobei Ballack die bessere Möglichkeit zum Stören hatte und die schlechtere Figur abgab. Vor ein paar Jahren wäre dem Leverkusener in beiden Situationen vielleicht doch noch eine Lösung eingefallen. Aber nach vier Kreuzbandrissen hat der ehemals schnellste Abwehrspieler der Bundesliga einiges von seiner Spritzigkeit und seinem Antrittsvermögen eingebüßt. Stellungsspiel, Kopfballstärke und Antizipationsvermögen hat sich Nowotny bewahrt. Aber diese Tugenden haben ihn zumindest nicht beim 2:2 gegen Japan über seine jungen Kollegen in der Innenverteidigung, Per Mertesacker und Christoph Metzelder, erhoben. In der guten halben Stunde seines Mitwirkens vermochte Nowotny nicht stabilisierend auf die wankende deutsche Abwehr einzuwirken.


    Bundestrainer Jürgen Klinsmann konnte den Rückkehrer beim besten Willen nicht für diesen Auftritt loben, also unterließ er es, auf dessen Begegnung mit den quirligen Japanern einzugehen. Der Kalifornien-Schwabe wählte einen Ausflug ins Grundsätzliche. "Jens spielt in unseren Überlegungen eine große Rolle wegen seiner ungeheuren Erfahrung. Er kann im Spiel sehr gut lesen, was passiert. Wir müssen abwarten, wie die Zusammensetzung der Innenverteidigung aussieht. Aber ob Jens spielt oder nicht, er weiß, er genießt eine große Wertschätzung."


    Weit zurückgezogen


    Klinsmanns Plädoyer für die Erfahrung steht im krassen Gegensatz zu seiner Entscheidung gegen Christian Wörns. Der Bundestrainer ließ den Verteidiger von Borussia Dortmund zu Hause, obwohl er eine bessere Bundesligasaison spielte als sein Klubkollege Metzelder. Seine Begründung: Wörns passe mit seiner Mentalität der Rückwärtsverteidigung nicht ins deutsche Abwehrsystem, das auf frühe Attacken setzt. Nun fehlt dem Nowotny des Jahres 2006 aber die alte Frische, um diese Forderung umzusetzen. Gegen Japan jedenfalls zog er sich relativ weit zurück. Aber vielleicht kehrt bei dem Defensivstrategen die Forschheit zurück, wenn die Müdigkeit der harten Vorbereitungsarbeit aus den Knochen ist. Ältere Spieler brauchen länger, bis sie Belastungen verarbeitet haben.


    Auf jeden Fall behandelte Nowotny sein persönliches Pech mit der ganzen Gelassenheit eines erfahrenen Profis. "Da ist irgendwie was schiefgelaufen heute", bemerkte er mit einem schiefen Grinsen. Immerhin hat er seinen jungen Kollegen Mertesacker, Metzelder und Huth voraus, die Ruhe zu bewahren, wenn Fehler geschehen. Das kann sehr wertvoll werden während der WM. Spätestens nach den Erfahrungen gegen Japan gehen alle davon aus, daß das deutsche Team im Turnier mit Abwehrschnitzern wird leben müssen.


    Wie groß Nowotnys spielerischer Beitrag während der Weltmeisterschaft sein wird, ist noch offen. Im Moment tendiert Klinsmann wohl zum Duo Mertesacker/Metzelder. Das wird aus dem Einsatzplan des Leverkuseners deutlich, der zuletzt 2004 beim 1:2 gegen Tschechien dabei war, das das deutsche Scheitern bei der Europameisterschaft in Portugal besiegelte. "Jens Nowotnys Einwechslung war geplant, ursprünglich in der Halbzeitpause. Aber dann haben wir die Beobachtung gemacht, daß Per Mertesacker und Christoph Metzelder immer besser harmoniert haben. Das wollten wir noch einmal 15, 20 Minuten so laufen lassen", sagte Klinsmann. Daß der Leverkusener dann doch schon in der 55. Minute ran durfte, lag an einer leichten Verletzung Metzelders. Im nachhinein hätte er gerne noch ein paar Minuten länger gewartet.


    Text: F.A.Z. 1. Juni 2006