Routinier Nowotny polarisiert die Öffentlichkeit

  • Er ist über 30, hat vier Kreuzbandrisse hinter sich und ist nicht gerade das Paradebeispiel eines modernen, offensiv ausgerichteten Verteidigers. Dennoch gilt er als Hoffnungsträger für die Abwehr der deutschen Nationalmannschaft: Die Rede ist von Jens Nowotny, der zur Überraschung vieler von Bundestrainer Jürgen Klinsmann kurzfristig noch in den WM-Kader berufen wurde.


    Zu langsam, zu verletzungsanfällig, zu sicherheitsbetont – so die Argumente seiner Kritiker, doch auf öffentliche Vorbehalte ist der 32-Jährige in seiner langen, von Höhen und Tiefen durchzogenen Karriere immer wieder gestoßen. In der Tat passt Nowotny so gar nicht in Klinsmanns fast zwei Jahre lang fast schon gebetsmühlenhaft verbreitete Philosophie des Jugendstils. Was bewegt den deutschen Coach dennoch, bei der WM auf den Leverkusener Verteidiger zu setzen?


    Nowotny spielte in den vergangenen Monaten vor seiner Nominierung sicherlich in die Hände, dass die deutsche Innenverteidigung eklatante Probleme offenbarte, gipfelnd in der 1:4-Niederlage in Italien. Grund genug für Klinsmann, von seinem ursprünglichen Konzept abzuweichen, nur Spieler zu nominieren, die jung sind, über aktuelle Spielpraxis in der Nationalmannschaft verfügen und schon immer im erweiterten Kandidatenkreis standen.


    Das Zauberwort heißt Erfahrung. So kann Nowotny nicht nur auf zahlreiche internationale Einsätze in der Champions League zurückblicken, auch bei den Europameisterschaften 2000 und 2004 war er mit von der Partie, wenngleich er bei beiden Turnieren nicht rundum überzeugen konnte. Wie wichtig er dennoch ist, sah man vor allem, als er fehlte: So stand er 2002 mit Bayer Leverkusen im Halbfinale der UEFA Champions League, bevor er durch seinen zweiten von vier Kreuzbandrissen außer Gefecht gesetzt wurde. Danach verlor Leverkusen nicht nur das Champions-League-Finale, sondern musste sich auch mit dem Vizemeistertitel begnügen, nachdem man zuvor Tabellenführer war.



    Rolle Nowotnys noch nicht klar umrissen


    Dass Nowotny sicherlich nicht zu den schnellsten Spielern gehört und auch das Offensivkonzept Klinsmanns zu konterkarieren scheint, beeindruckt den deutschen Cheftrainer nicht. Vielmehr musste der 41-Jährige erkennen, dass sein junges Team auf die Erfahrung routinierter Kräfte nicht völlig verzichten kann. Nicht nur auf, sondern auch außerhalb des Platzes soll Nowotny eine tragende Rolle einnehmen. Immer wieder hat Nowotny sich von Nackenschlägen erholt und sich wieder herangekämpft, eine Tugend, die auch im Laufe eines großen Turniers vonnöten sein könnte.


    Die Zeiten, in denen er als bester Verteidiger der Bundesliga galt, sind zwar vorbei, doch auch heute noch erachtet Klinsmann Nowotnys Routine als wichtigen Baustein für das Team. „Wir setzen auf seine ungeheure Erfahrung.“ Die Rolle Nowotnys umreißt er folgendermaßen: „Es müssen Leute da sein, die bestimmte Dinge erkennen. Jens ist ein Spieler, der Einfluss auf seine Mitspieler nimmt.“ Auch in DFB-Kapitän Michael Ballack, seinem ehemaligen Teamkollegen bei Bayer Leverkusen, hat Nowotny einen Fürsprecher: „Er kann helfen, der Mannschaft ein Gesicht zu verleihen.“


    Im Training hat der 1,87 Meter große Abwehrspieler nach zweijähriger Abstinenz in der Nationalmannschaft scheinbar nahtlos wieder seinen Platz gefunden, gibt den jungen Spielern Anweisungen und es wirkt, als wäre er nie wirklich weg gewesen.


    Ob er mit seiner ruhigen Art der Mannschaft allerdings wirklich weiterhelfen kann, wird erst der Turnierverlauf zeigen. Welche Rolle das Trainergespann für ihn letztendlich vorgesehen hat, ist noch unklar. Vom gut gelaunten WM-Touristen bis zum Abwehrchef mit Stammplatzgarantie scheint alles möglich zu sein. Der abschließende Härtetest gegen Kolumbien dürfte seine Position jedoch nicht gestärkt haben, denn die Vierer-Abwehrkette mit Philipp Lahm, Christoph Metzelder, Per Mertesacker und Arne Friedrich wusste auch ohne Nowotny zu gefallen.


    Doch egal, in welcher Funktion er bei der WM zu sehen sein wird, allein die WM-Teilnahme ist für ihn ein neuer Karriere-Höhepunkt. Und schon oft hat sich gerade eine gewisse Lockerheit als viel versprechende Komponente für mannschaftlichen Erfolg erwiesen.


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