2005.09.30
Der Medizinmann feiert Jubiläum
Die Szene hatte erheblichen Symbolcharakter. Im Jubel über seinen Führungstreffer zum 1:0 im rheinischen Derby gegen den 1. FC Köln drehte Bayer-Profi Andrej Voronin ab und stürzte mit ausgebreiteten Armen auf die Reservebank zu, um dem Physiotherapeuten Dieter Trzolek einen Kuss ins lichte Haupthaar zu drücken. Der Medizinmann hatte ihn durch Intensivbehandlung von den Schmerzen einer Verletzung am Sprunggelenk befreit und ihm das Erlebnis dieses Spiels, dem er seit Wochen entgegengefiebert hatte, überhaupt erst ermöglicht: „Tscholli hat mich fit gemacht. Ich wollte ihm meine Anerkennung zeigen.“
Der ukrainische Vollblutstürmer ist nicht der erste und wird auch nicht der letzte sein, der dem „Mann mit den heilenden Händen“ sein Herz zu Füßen legt. Am 1. Oktober kann „Tscholli“ auf 30 Jahre bei Bayer 04 zurückblicken.
Seit 1979 zählt Leverkusens hagerer Masseur zu den unverwechselbaren Typen der Seifenoper Bundesliga.
Zu denen, die zur Walstatt rennen, wo sie scheinbar nur ihren Wunderkoffer aufklappen müssen, um Lahme zum Laufen und Verwundete zur Verwunderung des verehrten Publikums schnellstens wieder auf die Beine zu bringen.
Ein Ende der Heilungen ist nicht in Sicht. An Rente ist nicht zu denken. Warum auch? Trzolek ist 58, fit wie mehrere Paare Turnschuhe, hat in den vergangenen drei Jahrzehnten trotz seines Stressberufs sage und schreibe vier Tage krankheitsbedingt aussetzen müssen. Seine Personalakte müsste eigentlich einen Ehrenplatz im Gesundheitsministerium finden.
Sein Tagesablauf beginnt regelmäßig morgens um fünf in Spich und dürfte so nicht jedermanns Sache sein. Zwischen sechs und sieben widmet er sich in seiner 1974 eröffneten und mittlerweile vermieteten Praxis in Troisdorf einigen Stammpatienten, die sich nur seiner Kompetenz anvertrauen.
Dank an Dettmar Cramer
Spätestens um neun ist in seinem Reich in den Katakomben der BayArena alles gerichtet für die Pflege und Behandlung des laufenden Kapitals der Fußball GmbH, ihrer Spieler. Die medizinische Abteilung – neben Dieter Trzolek seine Mitstreiter Till Rothweiler, Frank Glass und Ralf Scheuchl sowie die Mannschaftsärzte Dr. Thomas Pfeifer, Dr. Karl-Heinz Dittmar und Dr. Josef Schmitt – hat mit ihren Bemühungen nicht unwesentlichen Anteil am Erfolg des Unternehmens.
Trzolek, der Herr der Bäder und der Salben, verlässt seinen Arbeitsplatz selten vor dem frühen Abend. Zum täglichen Pensum gehören regelmäßig 40 bis 45 Minuten Jogging in gestrecktem Tempo: „Das bin ich meinem Wohlbefinden schuldig.“ Noch heute ist er in diesem Zusammenhang Dettmar Cramer dankbar. Der Trainer-Guru, der Anfang der 80er Jahre bei Bayer 04 angeheuert hatte, überredete den damals rund 90 Kilo schweren Trzolek zum Laufen:
„Er war wie eine Vaterfigur. Er hat mich geradezu gezwungen, etwas für meine Gesundheit zu tun. Seiner ebenso natürlichen wie herzlichen Autorität konnte man einfach nicht widerstehen.“ Der Physiotherapeut verlor deutlich Pfunde und gewann an Zähigkeit: „Ich kann mich quälen. Wenn ich etwas unbedingt erreichen will, beiße ich mich durch.“
Geradezu paradiesische Voraussetzungen
Über den Namen Cramer schweift Trzoleks Blick wie von selbst weiter zurück in die Gründerzeiten des Berufsfußballs bei Bayer 04. Als der gebürtige Norddeutsche (Rothenburg/Wemme), der zuvor als Masseur und Krankenpfleger bei den Klöckner-Werken in seiner Wahlheimat Troisdorf gearbeitet hatte, 1975 vom Manager Hermann Büchel für das Zweitliga-Team verpflichtet wurde und im damaligen Ulrich Haberland-Stadion seine Tätigkeit aufnahm, waren die Begleitumstände noch ein bisschen vorsintflutlich.
„Ein Spieler saß in der Wanne, fünf waren in einem Entmüdungsbecken, das wir selbst gebaut hatten, und der Rest versuchte, sich irgendwie behandeln zu lassen“, lächelt er. Heute zählt die Medizinische Abteilung bei Bayer 04 zweifellos zu den besten der Liga, ist personell und technisch erstklassig ausgestattet.
Trzolek rühmt das fast blinde Verständnis mit der Geschäftsführung unter Wolfgang Holzhäuser („Vieles kann man nur machen, wenn es so zu sagen formlos akzeptiert wird. Ich kann mir gar nicht vorstellen, bei jeder Kleinigkeit um Erlaubnis fragen und Antragsformulare in x-facher Ausfertigung ausfüllen zu müssen“) und versucht den Spielern immer wieder klar zu machen, dass sie hier ihrem Job unter optimalen, geradezu paradiesischen Voraussetzungen nachgehen können. Bei solchen Gelegenheiten greift er gerne zu einer Lebensweisheit, die zu seiner Arbeitsstätte passt: „Wenn man im Glück badet, sollte man möglichst nicht den Stöpsel aus der Wanne ziehen.“
"Kein Wundermann"
„Ich bin ja kein Wundermann“, sagt „Tscholli“, obwohl ihn der Boulevard gerne als solchen beschreibt. Wohl aber ist er jederzeit offen, neugierig, kommunikativ. Die Erkenntnis, dass die Sportmedizin keinen Stillstand kennt, trifft auf kaum einen zu wie ihn. Er ist Fachmann in verschiedenen Naturheilkunde-Verfahren, kümmert sich intensiv um die überaus wichtigen Ernährungsfragen („Die meisten Sportler sind übersäuert und wissen’s gar nicht“), beherrscht die Triggerpunkt-Akupunktur und betätigt sich in seinem Gebiet durchaus als Forscher für den Hausgebrauch und darüber hinaus.
Dabei kommt ihm seine Vernetzung mit Kollegen, aber auch mit interessierten Laien, etwa einigen besonders kundigen Lesern seines Erfolgsbuches „Die natürliche Sport-Apotheke“ (Südwest-Verlag), zu Hilfe. Carsten Ramelow half er jüngst mit erhitztem Murmeltier-Fett. Clemens Fritz überwand Entzündungen durch den „Genuss“ von Kohlsuppe und dunklem Kirschsaft. Nur zwei von zahllosen Beispielen.
Trzolek, der beim Fußball, wie manchmal auf der Mattscheibe zu besichtigen ist, seine Emotionen auslebt, ist ein positiv denkender Mensch. Muss er auch sein, denn er verlangt von den Spielern, deren Gesundheit schließlich ihr Kapital ist, die unbedingte Bereitschaft, etwa bei der Behandlung von Verletzungen selbstständig und positiv mitzuarbeiten.
Vorlesungen an der Kölner Fortbildungsakademie
Wer sich hängen lässt, hat’s schwerer, wieder auf Touren zu kommen. Dazu gehört auch ein sehr sensibles Vertrauensverhältnis. Die Massageliege wird für die körperlich hoch entwickelten Athleten nicht selten zur Couch. Der Physiotherapeut wird zum Psychologen. „Tscholli ist ein Ansprechpartner für jeden“, sagt Team-Betreuer Hans-Peter Lehnhoff, der sich bis vor einigen Jahren selbst noch hier durchkneten ließ, „er ist so lange dabei, er hat praktische alle Situationen schon mal erlebt. Er ist wie die Mutter der Kompanie.“
Er ist ein gefragter Mann, der Dieter Trzolek, Bayers Urgestein. Bei drei Weltmeisterschaften (1986/1990/1994) hat er die Kicker Südkoreas betreut: „Das waren zweifellos die Highlights meiner beruflichen Laufbahn.“ Christoph Daum wollte ihn vor Jahren in die Türkei holen. „Tscholli“ sagte ab: „Alles, was hier steht, habe ich aufgebaut. Das ist das stärkste Argument.“ Er hält regelmäßig Vorlesungen an der Kölner Fortbildungsakademie für Medizinisch-Therapeutische Berufe. Auch das liegt ihm sehr am Herzen. Und dann sind da ja auch noch seine Burschen. Der Umgang mit den Jungs hält ihn jung.
„Echte Siegertypen werden in schlechten Zeiten geboren“, hat jemand auf eine kleine Wandapotheke in Trzoleks Behandlungsraum gekritzelt. Ein gutes Motto. Der Mann, der hier arbeitet, sorgt mit seiner Hände Geschick dafür, dass aus Menschen, die sich schlecht fühlen, weil sie nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte sind, wieder echte Siegertypen werden.
In diesem Sinne: Glück Auf „Tscholli“!
bayer04.de