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VON WOLFGANG HETTFLEISCH
Es ist noch nicht so lange her, da sah die Welt ziemlich düster aus beim Fußball-Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen. Nach der Hinrunde der vorigen Saison belegte der Champions-League-Finalist von 2002 mit kargen 19 Punkten Tabellenplatz zwölf. Und Trainer Michael Skibbe, der im Oktober den glücklosen Klaus Augenthaler abgelöst hatte, hockte während der Spiele oft reglos auf dem Bänkchen an der Seitenlinie und schien sich mitunter zu fragen, was er da eigentlich tue. Doch die Leverkusener Depression, die es in ähnlicher Form - und noch schlimmer - ja schon einige Male zuvor gegeben hatte, erwies sich mal wieder als vorübergehendes Phänomen.
Zwar kochte dann im frostigen März 2006 zu allem Übel auch noch die Affäre um dubiose Geldtransfers von Ex-Manager Reiner Calmund hoch; und Finanz-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser, Calmunds Gegenspieler, musste sich in der BayArena von den eigenen Fans beschimpfen lassen. Doch auf den meist mühsam von Schnee und Eis befreiten Spielfeldern der Bundesliga erblühte unversehens der Leverkusener Fußballfrühling. Die Mannschaft gewann und spielte von Woche zu Woche besser. Die Zweifel an Skibbe, den anfangs viele im Rheinland für ein Leichtgewicht unter den Übungsleitern hielten, verstummten.
Und was zwischenzeitlich für fast unmöglich gehalten worden war, gelang: Bayer erreichte das nicht zuletzt aus ökonomischer Sicht wichtige Saisonziel und qualifizierte sich für den Uefa-Cup. "Wir haben in der Hinrunde nicht unsere wahre Qualität gezeigt und in der Rückrunde vielleicht den einen oder anderen glücklichen Punkt geholt", sagt Bayer-Sportchef Rudi Völler. Der Ex-Bundestrainer und Weltmeister weiß die Dinge einzuordnen. Zwar freut sich auch Völler, "dass wir als zweitbestes Team der Rückrunde hinter Werder sogar besser waren als die Bayern". Und der 46-Jährige ist durchaus zuversichtlich, dass die Mannschaft in der kommenden Spielzeit "da anknüpfen kann". Aber man hat es jetzt gern ein bisschen bescheidener unterm Bayerkreuz. Das Ziel heißt erneut: Uefa-Cup-Qualifikation. "Das muss unser Anspruch sein", sagt Völler, der weiß, dass das Erreichen der Champions League wohl kaum zu realisieren sein wird. "Es ist unheimlich schwer, da wieder hinzukommen", sagt er, "auch weil wir finanziell anders aufgestellt sind."
Es wird strenger gewirtschaftet als früher bei Bayer 04, auch wenn sich einige Bundesligisten diese Art von neuer Bescheidenheit gewiss wünschten. Der Transfer von Dimitar Berbatow nach Tottenham (16,5 Millionen Euro) machte zwei hochkarätige Neuzugänge möglich: Stefan Kießling kam aus Nürnberg, Sergej Barbarez vom HSV.
"Das Spiel nach vorne sieht schon richtig manierlich aus", freute sich Völler nach einem Testspiel gegen den Zweitligisten Kickers Offenbach vorigen Freitag im Rhein-Main-Gebiet, das die Rheinländer mit 3:1 gewannen. Zweimal traf Kießling, einmal Barbarez. "Vorn sind wir richtig gut besetzt", so der Bayer-Sportchef, der überzeugt ist, dass der junge Franke und der bosnische Routinier den Verlust des bulgarischen Torjägers kompensieren werden.
"Kießling ist nach Podolski der talentierteste Stürmer in Deutschland", lobt Völler den 22-jährigen Blonden, der bei Neu-Bundestrainer Joachim Löw ganz oben auf der Liste potenzieller Debütanten in Weiß steht. Auch Barbarez' fußballerisches Format steht außer Frage. Allerdings gilt der bald 35-Jährige als eigenwilliger und mitunter schwieriger Profi. Völler ist das nur recht: "Einer wie Sergej, der auch mal lauter wird, hat uns im letzten Jahr vielleicht ein bisschen gefehlt." Im positiven Fall könnte Barbarez im Team für die nötige Reibungshitze sorgen. Jedenfalls sprachen laut Völler ausdrücklich auch "sein geradliniges Auftreten und sein ehrlicher Charakter" für die Verpflichtung des torgefährlichen Technikers. Der Bayer-Sportchef: "Das wollten wir so."
Während Barbarez und Kießling fraglos Schlüsselfiguren in Skibbes Saisonplanungen sind, bleibt die Rolle der übrigen Neuen abzuwarten. Der junge Schweizer Pirmin Schwegler ist eine Option für die Nachfolge des nach Bremen abgewanderten rechten Verteidigers Clemens Fritz. Ob es im Ringen um den Stammplatz hinten rechts aber wirklich zum Kampf der Teenager zwischen Schwegler und Gonzalo Castro kommen wird, bleibt abzuwarten. "Wir werden erst mal versuchen, das intern zu lösen", sagt Rudi Völler, "das heißt aber nicht, dass wir nicht trotzdem noch was tun."
Für die Innenverteidigung hat Bayer nach dem Wechsel von Jens Nowotny nach Belgrad bereits personell nachgelegt. Vor wenigen Tagen traf WM-Teilnehmer Karim Haggui im Trainingslager im mittelhessischen Grünberg ein. Der 22-jährige tunesische Nationalspieler kam vom französischen Erstligisten Racing Straßburg und unterschrieb für drei Jahre. Da Bernd Schneider nach dem WM-Stress erfahrungsgemäß ein bisschen brauchen wird, um auf Touren zu kommen, wird für einen gelungenen Saisonstart von Bayer Leverkusen viel von zwei Aufsteigern der vergangenen Spielzeit abhängen: Tranquillo Barnetta und Simon Rolfes. Der junge Schweizer Barnetta bestätigte bei der Weltmeisterschaft sein Potenzial. Der Westfale Rolfes muss seine überzeugenden Leistungen aus dem Vorjahr als "Nummer sechs" nun bestätigen. "Wir sind absolut im Soll", sagt Rudi Völler zum Stand der Vorbereitungen. Es könnte zur Abwechslung mal eine Saison ohne größere Depression werden bei Bayer 04 Leverkusen.
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Copyright © FR online 2006
Dokument erstellt am 23.07.2006 um 16:44:07 Uhr
Letzte Änderung am 23.07.2006 um 18:15:26 Uhr
Erscheinungsdatum 24.07.2006