Nach der WM stehen nun neue Kandidaten vor dem Sprung in die deutsche Nationalelf. Als aussichtsreichster Aspirant gilt dabei Bayer Leverkusens Stürmer Stefan Kießling (22).
kicker: Herr Kießling, wie haben Sie die Weltmeisterschaft verfolgt?
Stefan Kießling: Ich war zunächst im Urlaub und habe mir bis auf die deutschen Begegnungen kein Spiel im Fernsehen angeschaut. Ich wollte nach unserem Aus bei der U-21-EM einfach abschalten.
kicker: Hat Sie dann auch das deutsche WM-Fieber gepackt?
Kießling: Natürlich. Das war Gänsehaut-Feeling mit den Fanmeilen und der Begeisterung im Land.
kicker: Wie sehr schmerzte es, den Sprung in die Nationalelf nicht geschafft zu haben?
Kießling: Ich würde lügen, wenn ich behaupte, ich wäre bei so einem Ereignis nicht gerne dabei gewesen. Andererseits galt meine ganze Konzentration der U 21. Ganz ehrlich.
kicker: Jürgen Klinsmann hatte Sie auch für die WM auf der Rechnung.
Kießling: Gut, die Diskussionen gab es in der Öffentlichkeit. Den Kopf habe ich mir darüber trotzdem nicht zerbrochen.
kicker: Bundestrainer Joachim Löw hat Sie nach seinem Amtsantritt als einen der ersten Kandidaten für die nächsten Länderspiele ins Gespräch gebracht. Ist das ein Ansporn für die neue Bundesligasaison oder erhöht es den Druck auf Sie?
Kießling: Ich sehe es als Ansporn. Ich will mich in Leverkusen entwickeln und für die Nationalmannschaft empfehlen. Privat wie sportlich ist der Wechsel ein großer Schritt für mich.
kicker: Haben Sie sich zeitlich ein Ziel gesetzt, bis wann Sie den Sprung zu Joachim Löw geschafft haben wollen?
Kießling: Es kann jetzt bald sein, am Saisonende oder erst in zwei Jahren. Ich hoffe, dass der Anruf des Bundestrainers kommt - irgendwann. Das Ziel Nationalmannschaft hat jeder Profi. Den Zeitpunkt kann ich nur indirekt bestimmen, über meine Leistung. Für die Berufung ist der Bundestrainer zuständig. Aber klar: Die EM 2008 habe ich schon im Hinterkopf. Erst recht die WM 2010.
kicker: Spielten diese Überlegungen eine Rolle, als Sie sich für den Wechsel von Nürnberg nach Leverkusen entschieden?
Kießling: Es war das Gefühl, bei Bayer richtig aufgehoben zu sein. Schon nach den ersten Gesprächen spürte ich: Entweder Nürnberg oder Leverkusen. Bei Bayer gab man mir das Vertrauen, sie wollten mich unbedingt und zeigten mir Perspektiven auf. Das hat mich beeindruckt.
kicker: Leverkusen bot für junge Spieler in der Vergangenheit die Chance zur Weiterentwicklung und war gleichzeitig das Sprungbrett zu größeren Vereinen. Dachten Sie auch daran?
Kießling: Überhaupt nicht! Warum sollte ich es als Sprungbrett sehen? Mein Ziel ist es, in den nächsten Jahren, einen Titel zu holen - vielleicht sogar die Meisterschaft.
kicker: Sehen Sie dafür eine realistische Chance?
Kießling: Wenn ein Fußballer nicht das Ziel hat, Meister zu werden, kann er den Job an den Nagel hängen. Ich spreche auch nicht von der nächsten Saison, sondern in absehbarer Zukunft. Wir haben eine junge Mannschaft mit einigen erfahrenen Spielern, die uns in allen Bereichen helfen. Diese Mischung ist vielversprechend.
kicker: Was ist in der neuen Saison möglich?
Kießling: Wir wollen Platz fünf aus dem Vorjahr auf jeden Fall wieder erreichen. Möglicherweise ist auch mehr drin.
kicker: Sie kosteten fünf Millionen Euro und sollen Dimitar Berbatov ersetzen, der in seiner Abschiedssaison 21 Tore geschossen hat. Spüren Sie die Erwartungen an Sie?
Kießling: Trainer Michael Skibbe hat lange mit mir gesprochen. Er sagte: Lass dich nicht verrückt machen. Die Ablöse, Berbatov - das interessiert mich alles nicht. Außerdem hat Berbatov auch seine Zeit gebraucht.
kicker: Können Sie das wirklich ausklammern?
Kießling: Ich bin unkompliziert, ich kann abschalten. Da mache ich mir keine Sorgen. Als Stürmer ist man generell unter Druck, weil die Aufgabe darin besteht, Tore zu schießen. Doch für die Trainer sind auch andere Dinge wichtig: das Vorbereiten, die Arbeit fürs Team. Defensiv müssen die Stürmer heutzutage viel leisten. Auch wenn die Öffentlichkeit das anders sieht und sich bei der Bewertung lieber an Torquoten orientiert.
kicker: Können Sie überhaupt sicher sein, einen Stammplatz zu ergattern, da es neben Sergej Barbarez auch noch Andrey Voronin gibt?
Kießling: Sicher kann ich nie sein. Aber ich weiß, dass ich spiele, wenn ich meine Leistung abrufe und im Training Gas gebe. Dafür wurde ich geholt.
kicker: Wie weit hat Sie die Knöchelverletzung zu Beginn der Vorbereitung zurückgeworfen?
Kießling: Läuferisch nicht sehr weit, schließlich ist das eine meiner Stärken. Das Versäumte hole ich bis zum Start auf.
kicker: Sie und Barbarez sind beide neu. Wie funktioniert das Zusammenspiel?
Kießling: Es lässt sich sehr gut an. Wir reden viel miteinander, er gibt Tipps. Ich glaube, wir kommen gut zurecht.
kicker: In welchen Bereichen müssen Sie sich persönlich noch verbessern?
Kießling: In allen.
kicker: Und speziell?
Kießling: Für meine Größe (1,91m, die Red.) müsste mein Kopfballspiel besser sein. Auch körperlich kann ich noch ein bisschen an Kraft zulegen.
Interview: Jan Lustig