WELT-Serie: Die deutschen Talente der neuen Saison
Von Jens Bierschwale
Stefan Kießling würde Stefan Kießling kaufen. Soviel Vertrauen in seine Fähigkeiten hat er. In den diversen Managerspielen, die dieser Tage wieder rege im Internet oder im privaten Kreis gestartet werden, sei der neue Stürmer von Bayer Leverkusen sicher eine gute Wahl - meint er selbst. "Ich habe schon einige Leute kennen gelernt, die mich in ihrem Spiel im vorigen Jahr gekauft und es nicht bereut haben", sagt er. "Ich denke, man kann auch in der neuen Saison auf mich setzen."
Kießlings Reputation ist rasant gestiegen. Nicht nur unter den Hobbymanagern. Als er in der vergangenen Saison beim 1. FC Nürnberg vom Talent zum Stammspieler aufstieg, bemühte sich die halbe Liga um die Dienste des hoch veranlagten Angreifers. Den Zuschlag erhielt schließlich Bayer Leverkusen, das den 22-Jährigen für sechs Millionen Euro Ablöse verpflichtete. Seither hat sich vieles geändert im Leben des Mannes, der so frappierende Ähnlichkeiten mit seinem Idol besitzt und dem Experten eine gleichsam erfolgreiche Karriere prognostizieren: Kießling könnte ein neuer Jürgen Klinsmann werden, viele sehen in ihm den legitimen Nachfolger des früheren Weltklassestürmers und ehemaligen Bundestrainers.
Doch erst mal kommt Leverkusen. Dieser vom großen Glanz befreite Klub soll das Sprungbrett werden für Kießling. Hier soll er vom Talent zum Star reifen. So wie Dimitar Berbatow, der es in fünfeinhalb Jahren bei Bayer zum Spitzenstürmer brachte und im Sommer für knapp 16 Millionen Euro zu Tottenham Hotspur wechselte. Kießling soll zusammen mit dem vom Hamburger SV verpflichteten Routinier Sergej Barbarez (34) die entstandene Lücke im Angriff schließen. Nicht unbedingt auf Anhieb. "Seine optimale Leistungsfähigkeit wird er erst in zwei, drei Jahren erreichen", sagt Trainer Michael Skibbe. "Stefan ist also eine Investition in die Zukunft."
Erste Erfolge an neuer Wirkungsstätte hat Kießling aber schon feiern dürfen. Er hat seine Premierentore im Dress der Leverkusener erzielt, und er wiegt jetzt 81,5 Kilogramm, was für den 1,91 großen Schlacks durchaus beachtlich ist "Wir haben hier viele Fitness- und Krafttests gemacht, das habe ich aus Nürnberg gar nicht gekannt", sagt er. "In der Vorbereitung habe ich schon zwei Kilogramm zugenommen. Darauf bin ich stolz."
Die fehlende körperliche Masse ist noch ein großes Manko des Angreifers, den Sportchef Rudi Völler für das größte deutsche Sturmtalent nach Lukas Podolski hält. Er müsse da noch ein paar Kilo zulegen, sagt Kießling. Seine Durchschlagskraft auf dem Platz ist aber auch so schon außergewöhnlich. Wenn er den Ball hat, kennt er nur einen Weg: ab in den Strafraum.
Er hat sich diese Eigenart angeeignet, denn frühzeitig musste er sich durchkämpfen. Als er sechs Jahre alt war, ließen sich seine Eltern scheiden, zusammen mit seiner drei Jahre jüngeren Schwester wuchs er bei der Mutter auf. "Ich habe nicht den richtigen klassischen Vater tagtäglich gehabt, das war wirklich nicht einfach für mich", sagt Kießling. "Obwohl meine Mutter mir viel geholfen hat, war ich oft auch auf mich allein gestellt und musste mich durchbeißen. Vielleicht kommt daher mein Durchsetzungsvermögen. Wenn ich ein Ziel habe, möchte ich es mit aller Macht erreichen."
Dieser Wille hat seinen neuen Arbeitgeber beeindruckt. Die Verantwortlichen jedenfalls sind davon überzeugt, dass die sechs Millionen Euro gut angelegt sind. "Stefan ist ein Spieler, der mit seiner Jugend und Dynamik eine Menge Frische in unser Spiel bringen kann", sagt Skibbe. Er sei überzeugt, dass Kießling seinen Weg gehen werde. Und damit sich der Jungspund nicht verrückt machen lässt, hat ihn Skibbe bereits zum Trainingsauftakt beiseite genommen und ihm Eingewöhnungszeit zugestanden. "Auf der einen Seite ehrt es mich, dass ein Klub so viel Geld für mich ausgibt. Aber auf der anderen Seite weiß ich um den Druck, den die Medien entfachen, wenn ich mal drei nicht so gute Spiele zu Beginn der Saison machen sollte", sagt Kießling. "Aber ich kann ja nichts für die hohe Ablöse, ich spiele ja nur Fußball." Das allerdings macht er ziemlich gut.