Sergej Barbarez war in der vergangenen Runde der Top-Scorer des HSV, nun soll er Bayer nach vorne bringen. bundesliga.de porträtiert den Bosnier.
Für die einen ist er ein begnadeter Fußballer, ein Techniker, der den Ball so manches Mal streichelt als wäre es sein Kind. Der aber auch über einen strammen Schuss verfügt, der Torhütern "heiße Fäuste" bescheren kann.
Der immer alles gibt auf dem Platz, der kämpft, schreit, schimpft und antreibt. Ein Anführer. Einer, der Spiele entscheiden kann. Entweder selbst, mit Hilfe seiner guten Grundtechnik und seines Torriechers. Oder dadurch, dass er seine Kameraden anfeuert, nach vorne peitscht und aufmuntert.
Launisch, lauffaul, unnahbar
Andere wiederum sehen ihn als eigenwilligen, oft sturen Kopf, der auf dem Platz mehr schreit als rennt. Der launisch ist und die Moral der Mannschaft negativ beeinträchtigen kann. Der viele Chancen ungenutzt lässt.
Dessen Art Fußball zu spielen auf Kosten seiner Teamkameraden geht, die für ihn laufen müssen. Ein alternder Star mit Allüren. Ein Querkopf. Ein Hitzkopf, der seine beste Zeit hinter sich hat. Manche halten ihn gar für arrogant.
"Sollen die Leute doch denken, ich bin arrogant"
Dass er polarisiert, ja ganze Fanscharen teilt, ist Sergej Barbarez nicht neu. Der 35-Jährige weiß das. Schließlich hat er selbst an seinem Image mitgewirkt. Und ihm ist es schlichtweg egal: "Sollen die Leute doch denken, ich bin arrogant - dann habe ich meine Ruhe. Ich weiß, wie ich bin. Meine Familie und Kollegen wissen es auch. Das reicht." Früher, so gesteht er, wollte er jeden von sich überzeugen. "Aber das bringt nichts."
Überzeugt hat er die Verantwortlichen von Bayer Leverkusen. Deshalb holten sie den Routinier im Sommer vom Hamburger SV zu sich. Und statteten ihn mit einem Vertrag bis 2008 aus. Und Barbarez arbeitet fleißig daran, das Vertrauen zurück zu zahlen. In den bisherigen sieben Spielen legte er ein Tor auf und traf einmal selbst. Bei Hannover 96 hatte er für die zwischenzeitliche Führung gesorgt, Endstand: 1:1.
Torschützenkönig mit 22 Treffern
In Hamburg ging der Allrounder, der als Sturmspitze, hinter den Stürmern und im offensiven Mittelfeld eingesetzt werden kann, sechs Jahre lang auf Torejagd. Und erlebte das Auf und Ab. Mit seinen Treffern hielt er den Club in der Bundesliga, schoss ihn in den UEFA-Cup und auch in die Champions League.
In 174 Erstliga-Partien für den HSV erzielte die Nummer 10 insgesamt 66 Tore. Die meisten in seiner ersten Saison 2000/2001, als er gemeinsam mit dem Schalker Ebbe Sand (jeweils 22 Treffer) Torschützenkönig wurde. In der vergangenen Saison war der gelernte Maschinentechniker mit neun Toren und 13 Vorlagen bester Scorer der Truppe von Thomas Doll.
Emotionaler Barbarez
"2005 war mein bestes Jahr", erklärt Barbarez zurückblickend. Das heißt etwas, schließlich kickt er in der Bundesliga seit genau zehn Jahren. Er kennt die Bundesliga und die Bundesliga kennt ihn. Die ersten Erfahrungen in der höchsten Spielklasse sammelte er bei Hansa Rostock. Nach zwei Spielzeiten schloss er sich Borussia Dortmund an, ehe 2000 der HSV neuer Brötchengeber wurde.
Der zweifache Familienvater hat aktuell über 276 Bundesliga-Spiele auf dem Buckel sowie 85 Tore und 39 Vorlagen auf seinem Konto. Aber auch vier Rote, drei Gelb-Rote und 75 Gelbe Karten - für einen Stürmer eine ganze Menge. Ein Spiel ohne Gefühlsausbrüche kennt Barbarez eben nicht.
"Ich spiele mit Kopf"
Meine Emotionen", so erklärt er, "wurden mir von Geburt an mitgegeben. Wir Bosnier sind sehr schnell aufgebracht, aber wir kommen dann auch schnell wieder auf Normaltemperatur. Ich kann mich eben nicht mit schlechten Aktionen, Ungerechtigkeiten oder Niederlagen abfinden." Daher bekommen seine Gefühlsregungen alle zu spüren: Gegenspieler, Schiedsrichter, und die eigenen Teamkollegen, wenn sie Fehler machen.
Deswegen sehen seine Kritiker ihn als Streithahn und als Rüpel. Viele bemängeln auch seine laufarme Spielweise. Doch Barbarez entgegnet: "Ich spiele eine Art Fußball, die auf Effektivität basiert. Ich grätsche nicht zehnmal nach Bällen, die man gar nicht bekommen kann. Ich spiele mit Kopf."
In der Heimat ein Held
In seiner Heimat hingegen gibt es kaum kritische Stimmen. Barbarez ist in Bosnien-Herzegowina ein Star. Ein Held. Diverse Auszeichnungen sind ihm schon zu teil geworden: Fußballer des Jahres, Sportler des Jahres und auch Mann des Jahres. In Mostar, wo er als 19-Jähriger im Profikader des ortsansässigen Clubs Velez stand, wurde 2005 eine Straße nach ihm benannt.
Vor nicht allzu langer Zeit wollte ihn der Verband als spielenden Nationaltrainer verpflichten. Doch Barbarez verzichtete auf den Posten. Und schockte vor kurzem all seine Landsleute, als er nach 46 Länderspielen und 17 Toren aus Altersgründen seinen Rücktritt aus der Auswahlmannschaft bekannt gab.
Urlaub in Deutschland wird zum Wendepunkt
In jungen Jahren hätte Barbarez eine andere Sportler-Karriere eingeschlagen können - und zwar als Basketballer. Als junger Erwachsener streckte er sich in der obersten Liga seines Landes nach dem Korb. Dass es dann doch Fußball wurde und er seine Leidenschaft zum Beruf machte, kam eher zufällig.
Als Barbarez 1992 seinen Onkel in Deutschland besuchte, begann der Krieg in Jugoslawien. Deshalb beharrte sein Verwandter darauf, dass der 21-Jährige bleibt. Er blieb tatsächlich und begab sich auf Arbeitssuche. Er organisierte ein Probetraining beim damaligen Zweitligisten Hannover 96. Barbarez wurde verpflichtet und gewann gleich im ersten Jahr mit den Niedersachsen den DFB-Pokal. Nach einem Jahr wechselte er zum 1. FC Union Berlin, dem anschließend die Lizenz für die 2. Bundesliga verweigert wurde. Daraufhin heuerte Barbarez bei Rostock an und schaffte den Sprung in die Bundesliga.
Stiftung für Kinder mit Behinderung
Dort wird er noch zwei Jahre bis 2008 wirbeln. In Leverkusen will sich der Bosnier noch einmal beweisen. Wohl wissend, dass seine Karriere zu Ende geht. Eine Karriere mit Höhen und Tiefen. Im harten Geschäft des Profifußballs ist Barbarez aber Mensch geblieben.
So unterstützt er seit Jahren Kinder und Jugendliche mit Behinderung mit einer eigenen Stiftung. Er engagiert sich, nicht nur finanziell. Für ihn eine Selbstverständlichkeit: "Ich verdiene viel Geld mit meinem Beruf. Es ist normal, dass ich etwas zurückgebe, dass ich Leuten helfe, denen es schlechter geht als mir."
Über den Sportler Barbarez kann man verschiedener Meinung sein - nicht aber, wenn es um den Menschen Barbarez geht.
Thorsten Schaff