Das Gegenteil von besser

  • VON CHRISTIAN OEYNHAUSEN, 26.10.06, 21:52h


    Leverkusen - Ein Blick auf das Pokal-Tableau der zweiten Runde hat den Schmerz bei Simon Rolfes noch einmal verschlimmert: „Leichter war es fast nie, ins Finale zu kommen“, sagte Bayer 04 Leverkusens Mittelfeldspieler mit Blick auf die vielen bereits ausgeschiedenen Erstligaklubs. Aber Rolfes und seine Kollegen haben sich am Mittwoch mit dem 2:3 nach Verlängerung beim MSV Duisburg selbst in die Reihe der Gescheiterten eingereiht. „Unsere Situation hat sich nicht verbessert, ganz im Gegenteil“, sagte sein Trainer Michael Skibbe.


    Am Samstag muss Leverkusen in der Bundesliga bei der Borussia in Mönchengladbach antreten, die im Pokal beim 1:2 in Osnabrück ebenfalls unterlag. „Gladbach gehört zu den Mannschaften, von denen wir wissen, dass wir sie schlagen können, wenn wir in einer guten Verfassung sind“, sagte Skibbe. Aber Leverkusen ist eigentlich nicht in einer guten Verfassung. „Wir haben zu viele Schwankungen im Spiel. Es ist immer ein Tanz auf der Rasierklinge“, sagte Rolfes, der mit seinem Kopfballtor wenigstens noch die Verlängerung erzwang. Sein Trainer war zwar mit dem Ergebnis unzufrieden, aber nicht mit der Leistung: „Die Mannschaft hat alles gezeigt, was man auf dem Weg nach vorn bei einem Rückstand tun muss, um eine Pokalniederlage abzuwenden“, sagte Skibbe. Immerhin habe die Hälfte der Mannschaft am Donnerstagmorgen beim Auslaufen gefehlt: „Wegen Prellungen und Zweikampfverletzungen“. Auch Sportchef Rudi Völler hatte zwar eine „verschlafene Anfangsphase“ gesehen, freute sich aber über die „tolle Reaktion darauf“.


    Skibbe wiederum sagte, er sei nach der Partie beim Zweitligisten „ein bisschen zuversichtlicher als nach Stuttgart und dem HSV“. Einige Spieler wie Rolfes, der zweite Torschütze Tranquillo Barnetta und der eingewechselte Paul Freier hätten sich „stark formverbessert“ gezeigt. Die individuellen Fehler, aber auch die gruppentaktischen Aussetzer wie beim entscheidenden Gegentor durch Lavric (113.) lägen, so Skibbe, „in der Jugend und in Umstellungen begründet“. Alles in allem aber betreue er ein „stabiles Gebilde in miserabler Situation“. Stabil scheint immerhin auch seine eigene Position, wenigstens zurzeit noch. Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser warf sich schon unmittelbar nach Spielende schützend vor den Trainer: „Eine Trainerdiskussion gibt es bei uns nicht.“ „Ich spüre großes Vertrauen“, sagte Skibbe, der nach etwas mehr als einem Jahr in Leverkusen eine sehr gemischte Bilanz vorlegen kann: 15 Siege, 14 Niederlagen in 41 Partien.


    Im 42. Spiel seiner Amtszeit am Samstag muss der Coach womöglich auf Kapitän Carsten Ramelow verzichten, der in Duisburg eine Knöchelverletzung erlitt. Der Rest erhält eine weitere Bewährungschance. In Einzelgesprächen will Skibbe bis Samstag das Personal auf die Prüfung beim Team von Jupp Heynckes einschwören. Zuspruch brauchen vor allem Verteidiger Karim Haggui, der mit zwei schweren Fehlern die ersten beiden Duisburger Tore verschuldete, und Stürmer Stefan Kießling, der wieder alle großen Chancen ausließ. „Er macht sich selbst den meisten Druck. Je lockerer er bleibt, desto eher klappt es“, sagte Kollege Rolfes über den Kapitän der deutschen U 21. Ein ernstes Wort sollte Skibbe auch mit Sergej Barbarez reden. Der Bosnier ließ sich in der ersten Halbzeit zu einer Schimpftirade gegen Schiedsrichter Günther Perl hinreißen und näherte sich dem Platzverweis so stark, dass ihn Skibbe zur Pause sicherheitshalber auswechselte. Für die Duisburger war das Teil ihrer erfolgreichen Strategie, wie MSV-Torwart Georg Koch berichtete: „Barbarez und Woronin musst Du nur ein bisschen wehtun und sie provozieren. Das weiß jeder.

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    KOMMENTAR


    Die Klasse der Anderen


    VON CHRISTIAN OEYNHAUSEN, 26.10.06, 21:52h


    Bei der Analyse des Pokalspiels in Duisburg ist Bayer 04 Leverkusen ganz ohne Begriffe wie „Blamage“, „Pleite“ oder „Peinlichkeit“ ausgekommen. Wer Trainer Michael Skibbe und Sportchef Rudi Völler reden hörte und die Augen schloss, der konnte sich in der Champions League wähnen. Tolle Reaktion auf einen Rückstand, summte es da, auch spielerisch viele gute Momente, ja, und ein ambitionierter Gegner - man sah vor dem geistigen Auge das prall gefüllte Stadion des FC Chelsea, in dem Ballack per Kopfball nach Flanke von Lampard der jungen Bayer-Elf gerade einen sensationellen Auswärtssieg vermasselt hat. Raus mit Applaus. Schade.


    Aber die einzige Parallele zum großen Fußball war der Mittwoch als Spieltag. Völler und Skibbe sprachen über ein Spiel beim Zweitligisten MSV Duisburg, der ja vor allem deswegen in der zweiten Liga spielt, weil er in der vergangenen Saison für die Bundesliga zu schlecht war. Noch schlechter als Köln sogar.


    Schon nach den Uefacup-Vergleichen mit dem biederen Schweizer Vertreter FC Sion fiel auf, dass Leverkusen seine besten Leistungen in der Teildisziplin Schönreden bringt. Das eigene Spiel wird aufgewertet, in dem man die Gegner einfach für großartig erklärt. Damit steigt indirekt auch die Qualität des eigenen Kaders und der Ruhm derer, die ihn zusammengestellt haben. Die Idee ist das Ziel - so jedenfalls sieht es bei Transfers wie Barbarez, Kießling, Athirson, Stenman, Papadopulos aus.


    Das funktioniert wie an der Börse: Wenn die Bayer AG meldet, sie habe einen Impfstoff gegen Krebs erfunden, steigt die Aktie. Das Problem: Wenn dann rauskommt, dass das gar nicht stimmt, fällt sie sehr tief. Wenn die Fußball-Tochtergesellschaft nicht bald in den Realitätsmodus umschaltet, droht ihr das Gleiche.

    http://www.ksta.de/jks/artikel.jsp?id=1161673305404