Bayer vertagt die Zerschlagung
VON THOMAS KÄDING, 15.12.06, 18:39h
Vorstand und Betriebsräte suchen einen Ausweg aus den festgefahrenen Gesprächen.
Bayer zieht die Konsequenzen aus den Problemen bei seinen Dienstleistungsgesellschaften - vor allem beim Chemiepark-Betreiber Bayer Industry Services (BIS) - und betritt tarifpolitisches Neuland. Am Freitag veröffentlichten Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter eine gemeinsame Erklärung, in der sie Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag ankündigten, der für alle drei Servicegesellschaften gelten soll: Neben BIS ist das die Konstruktionsfirma Bayer Technology Services (BTS) und das Datenverarbeitungsunternehmen Bayer Business Services (BBS). Alle leiden unter starker Konkurrenz durch Spezialunternehmen aus ihren Branchen. Auch bei BBS wird derzeit über die Ausgliederung verschiedener Abteilungen nachgedacht. Die Verhandlungen über einen Dienstleistertarif sollen nach dem Jahreswechsel aufgenommen und bis April abgeschlossen werden. Bis dahin würden Entscheidungen über den Verkauf großer Teile von Bayer Industry Services ausgesetzt, heißt es in der Erklärung, die von Vorstandschef Werner Wenning, dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Thomas de Win und Peter Hausmann, Landesbezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie unterzeichnet ist. Auch BIS-Betriebsratschef Jörg Feldmann verbindet mit einem neuen Tarifvertrag Hoffnungen. Er könne den Betriebsrat seinem Ziel, BIS zusammenzuhalten, „einen guten Schritt näher“ bringen. Feldmann kündigte - wie auch sein Gegenüber, BIS-Geschäftsführer Klaus Schäfer - an, seine Vorstellungen in die Tarifgespräche einzubringen. „Wir brauchen angepasste und flexible Tarifstrukturen, um angemessen auf unterschiedliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen reagieren zu können“, erklärte Schäfer. Der BIS-Chef schließt nicht aus, dass seine Einsparziele „unter diesen neuen Voraussetzungen zu erreichen“ sind. IG BCE-Funktionär Hausmann warnte allerdings vor zu großem Optimismus: „Verhandlungsbereitschaft bedeutet nicht Verhandlungserfolg. Es ist völlig offen, ob wir auch in den Verhandlungen selbst zu einem positiven Ergebnis kommen werden.“
http://www.leverkusener-anzeig…ikel.jsp?id=1162473182502
Kommentar
Ausweg gesucht
ERSTELLT 15.12.06, 18:40h
Sieg der Vernunft oder Zementierung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft? Dass man bei Bayer jetzt über einen neuen Tarifvertrag für die renditemäßig abgehängten Dienstleistungstöchter spricht, ist wahrscheinlich der einzig gangbare Ausweg aus der Misere, in der vor allem die Bayer Industry Services stecken. Das Prinzip lautet: Wer Geld abgibt, darf im Konzern bleiben.
Um welche Größenordnungen es gehen wird, zeigt der Blick auf die Personalabteilung, der gerade erst ein Haustarifvertrag verpasst wurde: Die Mitarbeiter geben 17 Prozent ihres Gehalts ab. Weil sie sonst nicht konkurrenzfähig sind. Hier zeigt sich konkret, nämlich im Portemonnaie, was Bayers Selbstzerschlagung für die Mitarbeiter bedeutet: Wer bei einem der produzierenden Konzernteile einsortiert wurde, kann sich heute und fürderhin über den komfortablen Chemietarif und Bonuszahlungen freuen. Wer „nur“ Dienstleister ist, wird als solcher bezahlt. Das ist das Zukunftsmodell eines bestverdienenden Konzerns, der nicht mehr die Summe seiner Einzelteile ist.