1. FC Köln
Ein masochistischer Freudenkult
Von Tim Farin und Christian Parth
Die Anhänger des 1. FC Köln haben nur eine Sehnsucht: Endlich wieder erstklassig spielen. Der Club hat Geld, einen erfahrenen Manager und Christoph Daum ist Trainer - trotzdem scheiterte Köln in der vergangenen Saison kläglich. Vor allem am eigenen Größenwahn.
Letztlich muss der Geißbock schuld sein. Die Besten der Besten sind doch längst da. Wolfgang Overath, Weltmeister, Self-Made-Man, heute Präsident. Michael Meier, Champions-League-Sieger, nun FC-Manager. Trainer Christoph Daum, internationaler Titelsammler, Motivations-Guru und ja, in Köln, nichts weniger als der Heiland. Es gibt die Top-Verträge der 2. Bundesliga und Geld wie Heu, aber es bleibt immer Krise. Auch zum Start der neuen Spielzeit ist der große FC wieder gescheitert, in der ersten Pokalrunde, mit 2:4 auf einem Nebenplatz an der Weser, bei den Amateuren des SV Werder.
Hennes VII. bietet sich an als Sündenbock dafür, dass der FC heute im Mittelmaß der Zweiten Bundesliga dümpelt. Seit das meckernde Vieh vor elf Jahren das ehrenwerte Amt des Vereinsmaskottchens übernahm, ist es bergab gegangen, viermal stieg man aus der Bundesliga ab. Erstaunlich, dass nicht der Geißbock um Entschuldigung bat, sondern das Präsidium seinen leidgeplagten Mitgliedern in der zurückliegenden Sommerpause einen zweiseitigen Brief mit Kölscher Krisenkommunikation zuschickte. Mit der vergangenen Spielzeit könne keiner zufrieden sein, gestand man ein, es habe "mehr Tiefen als Höhen" gegeben. Das große Ziel, den Aufstieg, hatte man verfehlt. Die Vereinsbosse konterten mit Weisheiten aus der Seemanns-Sprache: "In stürmischen Zeiten kommt es nicht darauf an, woher der Wind weht, sondern wie man die Segel setzt."
Es knarzt gewaltig beim FC
Nachdem die Winde während der Sommerpause dank personeller Umstrukturierungen und einer ordentlichen Vorbereitung abgeflaut waren, knarzt es jetzt wieder gewaltig in der Takelage. Das frühe Pokal-Aus ist wie ein Kaventsmann vor den Bug geprallt, und am Freitag, zum Liga-Start, schippert man zu den "Freibeutern der Liga" in St. Pauli, die gerade Kölns rheinischen Rivalen Bayer Leverkusen versenkt haben. Es scheint so weiterzugehen wie in der vergangenen Spielzeit, als der Zweitliga-Krösus so erbärmlich absoff wie das berühmte Schatzschiff Sussex 1694 vor Gibraltar.
Am Ende der vergangenen Saison stand Platz neun zu Buche, 14 Punkte und 27 Tore abgeschlagen hinter dem dritten Aufsteiger. Nur einmal, nach seinem ersten Abstieg 1998, war der FC schlechter gewesen. Coach damals war Bernd Schuster, der es abseits der Karnevalshochburg bis zum Trainer bei Real Madrid geschafft hat. Der Kölner Misserfolg hat dramatische Ausmaße: 41 Millionen Euro hatte der Klub zuletzt zur Verfügung, 17 Millionen davon flossen an die Profispieler. Zum Vergleich: Der souveräne Aufsteiger Karlsruher SC plante mit 5,5 Millionen Euro.
Das aktuelle Kapitel der Kölner Gigantomanie begann im vergangenen November, als sich Christoph Daum in einem Kölner Krankenhaus einen Abszess aus dem Hals schneiden ließ. 16 Jahre nachdem ihn der einstige Vorstand grundlos und mit desaströsen Folgen entlassen hatte, war Daum wieder ganz nah am FC, und man bekniete ihn, als Trainer anzuheuern. Daum gab zum Karnevalsauftakt am 11. November eine legendäre Pressekonferenz im Foyer des Hospitals mit kryptischer Botschaft, drei Tage später sagte er ab, wieder vier Tage später zu. In der folgenden Woche strömten 1500 neue Mitglieder in den Verein.
Vielleicht ging es auch ums Geld
"Es ging nicht mehr um mich", sagt der 53-Jährige mit dem länglichen braunen Haar und dem Schnurrbart zum stern.de, "es ging um den Verein, die Menschen in der Stadt, in der ganzen Region." Vielleicht auch ums Geld, acht Millionen Euro bekommt Daum bis 2010 und darf private Sponsoren behalten.
Dafür erwartete man wahre Wunder. Sein erstes Training musste ins Stadion verlegt werden, wo Daum vor fast 10.000 Zuschauern Hände schütteln und Kinder segnen sollte. Es war ein Raunen und Staunen wie bei einer päpstlichen Prozession. Doch die Heilung blieb aus. Daum versuchte es der Reihe nach mit der Kasteiung seiner Spieler, mit Motivations-Musik, mit Psycho-Tricks und Nüchternheit - doch nichts wirkte.
Der vermeintliche Messias ist eben doch nur ein Mensch. Er sagt: "Ich bin kein Handaufleger. Mein ganzes Leben besteht doch nur aus Arbeit. Ich bin immer Arbeiter gewesen." Er erzählt das gerne, wenn er zum Beispiel in Schulen spricht. Man dürfe nie aufgeben, sagt er. Daum wuchs in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs auf, er kickte das Leder in den staubigen Straßen von Duisburg-Beeck, bis er raus war aus dem grauen Ruhrpott.
Den Platz im Hirn entfalten
Daums Intellekt spielt Tag und Nacht Fußball, dazwischen ein bisschen Yoga, und dann denkt er wieder nach, wie er den Platz im Hirn entfalten möchte. Hütchenspiel im Kopf, die Spieler müssen laufen, wie an seiner Schnur gezogen, doch im Inneren der Kölner Kicker sieht es wohl so wirr aus wie in der verschlüsselten Übertragung eines Nachrichtendienstes. Daum sagt, er habe inzwischen gelernt, schlicht und präzise zu sprechen. Er hatte nämlich mal einen Satz geprägt, der ging so: "Je mehr mir die Irrationalität des Fußballs bewusst wird, desto realer ist er." Verstanden habe den nur ein Redakteur aus dem FAZ-Feuilleton. Inzwischen greift Daum auf eine populäre Fassung zurück: "Fußball ist ein Spiel der Realitäten."
Gerade im Umgang mit der grausamen Realität hat man in Köln eine verzückte Leichtigkeit erfunden, einen masochistischen Freudenkult. Immer wieder ist auf der Südtribüne ein Transparent zu sehen, auf dem steht: "Am 8. Tag schuf Gott den FC." Es muss sehr spät an diesem Tag gewesen sein, als der Herr den passenden Fan erfand: Durchgeknallt, von Sinnen, nicht normal, aber ein leidenschaftlicher Leider. Denn egal wie schlimm das Gekicke ist, die Scharen kommen so zuverlässig in den Prachtbau wie polnische Katholiken zur Sonntagsmesse.
Dabei nährt sich die Leidenschaft der Kölner Seele aus fernen Zeiten, aus dem Titel des ersten Bundesligameisters und dem Double von 1978. Damals schlugen der FC den Erzrivalen Fortuna Düsseldorf im Pokalfinale und holte die Meisterschale. Der Jubel hallt weiter im kollektiven Gedächtnis
Artikel vom 07. August 2007
Fortsetzung folgt