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Volkssport ohne Volk
Die Fans als Kunden, das Spiel als Event: Der Fußball verliert seinen Charme. So ruppig es früher im Stadion zuging, so schön ehrlich war es auch. Inzwischen ist der Fußball nur noch - nett.
Joachim Stadler leistete noch echte Handarbeit. Am Abend vor dem letzten Saisonspiel kam dem Verteidiger von Borussia Mönchengladbach die Idee, sich irgendwie bei den Fans für die Unterstützung zu bedanken. Stadler besorgte sich vom Masseur ein paar Leinentücher, hockte sich auf den Flur im Mannschaftshotel, nahm einen Edding und malte los. „Unseren treuen Fans“ oder so was, an den genauen Wortlaut erinnert er sich nicht mehr. Ist ja auch schon mehr als zehn Jahre her. „Das war einiges an Arbeit“, sagt Stadler.
Die Profis von heute haben es da einfacher. Für die deutschen Nationalspieler war nach dem letzten Länderspiel des Jahres 2007 alles vorbereitet. Sie mussten das Transparent nur noch über den Platz tragen. „Danke Fans. Mit euch zur Euro 2008“, stand darauf, und zu ihrer Ehrenrunde dudelte „Oh, wie ist das schön“ aus den Lautsprechern. Blöd nur, dass die Fans das 0:0 gegen Wales alles andere als schön gefunden hatten. Sie pfiffen.
„Ich habe eine Identitätskrise“
Die Entfremdung des Fußballs von seinen Fans ist auch in diesem Jahr weiter vorangeschritten. „Ich habe eine Identitätskrise“, sagte Ralf Seeliger, der bei der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München als Mitglied mit der Nummer 73 693 angekündigt worden war und dann mit seinem Wortbeitrag die legendäre Wutrede von Uli Hoeneß provozierte. Dabei hatte Seeliger nur angemerkt, dass man mit einem Sektglas in der Hand nun mal keine La Ola hinbekomme.
Der Fußball verliert seinen Charme, das Urtümliche und Archaische, das stets einen Teil seiner Faszination ausgemacht hat. Früher konnte es schon mal passieren, dass einem der Nebenmann in der Kurve – im Wortsinne – ans Bein pinkelte, weil er seinen Platz nicht verlassen wollte. In reinen Sitzplatzstadien gibt es so etwas natürlich nicht mehr. Das Proletariervergnügen Fußball ist familientauglich geworden.
Die Zusammensetzung des Publikums wird zunehmend über den Preis geregelt. In England ist das Volk vom Volkssport Fußball schon weitgehend ausgeschlossen worden. In Deutschland steckt dieser Prozess noch in den Anfängen. Wer in München sein Auto an der Arena parken will, muss dafür zehn Euro bezahlen. Dank solcher Fantasiepreise ist der Stadionbesuch – auch außerhalb der Vip- Logen – immer mehr zu einer Angelegenheit für die gehobenen Kreise geworden. Und als kaufkräftige Kundschaft sind die Fans damit auch für die Werbewirtschaft interessant. Im Berliner Olympiastadion werden sie auf dem Weg zu ihren Plätzen mit Werbemüll überschüttet, von Hostessen belästigt, zu Gewinnspielen genötigt, und je dünner die Stimmung auf den Rängen, desto fetter die Beats aus den Boxen.
Der Radioreporter Manfred Breuckmann hat bereits den „Lärmterrorismus in den Stadien“ gegeißelt; viele Fans klagen, dass vor lauter Kirmes-Techno und Europop-Gedudel kein Platz mehr für eigene Gesänge bleibe: Sämtliche Emotionen werden mit Billomusik übertönt. Am schlimmsten war es nach dem WM-Halbfinale Deutschland gegen Italien in Dortmund. Nach der ersten Enttäuschung rafften sich die deutschen Spieler zu einer letzten Runde durch das Stadion auf; es hätte ein erhebender Moment sein können – dann jagte die Regie „Und dann die Hände zum Himmel“ durch die Boxen.
Freibier für alle – und alles wird gut
In solchen Situationen zeigt sich, dass den „Krawattenträgern“ (Frank Rost) das tiefere Verständnis für die Welt der Fans fehlt, für ihre Besessenheit und ihre Bedürfnisse. „Wer glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid!“, rief Uli Hoeneß in seiner Wutrede während der Jahreshauptversammlung der Bayern. Seitdem bemüht er sich um mehr Konzilianz. Gerade hat er angeboten, den Fans die Arena zur Verfügung zu stellen, damit sie dort Gesänge und Choreografien einstudieren könnten. Hä? Auch Verpflegung stellte Hoeneß den Fans in Aussicht. So ticken sie. Freibier für alle – und alles wird gut. Als wenn es nur ums Saufen ginge. Wie weit die Funktionäre von den Bedürfnissen des normalen Fans entfernt sind, offenbarte auch Karl-Heinz Rummenigge mit seinem Vorschlag, zwecks Stimmungsaufhellung in der Arena eine Kapelle in der Südkurve spielen zu lassen: „In Holland funktioniert das wunderbar.“
In der Wertigkeit der Klubs sind die Kurvenfans ans untere Ende gerückt. Sie bringen nicht viel Geld – und werden mit symbolischen Gesten abgespeist: einem Sonderzug zum Auswärtsspiel, einem Zuschuss für die Busfahrt oder ein bisschen Mitsprache beim Design des neuen Trikots. Die hochpreisige Kundschaft genießt ganz andere Privilegien. Jörn Andersen, der neue Trainer von Kickers Offenbach, hat der „Sport-Bild“ erzählt, dass er in seiner Zeit als Kotrainer bei Borussia Mönchengladbach von der Marketingabteilung dazu verdonnert worden war, den Gästen in der Vip-Loge kurz vor dem Spiel die Taktik der Mannschaft aufzumalen und zu erklären.
Bayern-Mitglied Seeliger hat in seiner Rede bei der Jahreshauptversammlung von seinen Erfahrungen in den teuren Logen berichtet: „Da werden nebenher wichtige Dinge des täglichen Geschäftslebens besprochen.“ Immerhin ein Viertel der Leute dort hätte ein bisschen was vom Fußball verstanden. Ohnehin drängt in die Stadien immer mehr fachfremdes Publikum – jetzt, da man in den neuen schicken Arenen bequem sitzen kann, nicht schon eine halbe Stunde vor dem Anpfiff auf seinem Platz sein und überdies fürchten muss, nass zu werden. Das echte Fußballpublikum ist vom Eventpublikum übrigens ganz leicht zu unterscheiden. Das Eventpublikum hält David Odonkor immer noch für einen guten Fußballer.
Die Gegenbewegung hat sich längst formiert. Sie nennt sich Ultras und besitzt ihrem Selbstverständnis nach eine Art Alleinvertretungsanspruch gegen den modernen Fußball – dabei ist die Ultra-Bewegung selbst ein Phänomen des modernen Fußballs. Mit ihrer hierarchischen Struktur widerspricht sie dem tieferen Wesen der Fankurve. Die Kurve ist eine anarchische Masse, aus der sich theoretisch jeder erheben kann, indem er im richtigen Moment das richtige Lied anstimmt. So viel Individualismus ist den Ultras suspekt. Was zu singen ist, bestimmt deren Vorsänger. Die Masse folgt.
Der Fan führt nur noch Scheingefechte
In Berlin demonstrieren die Ultras gerade ihre Macht. Sie singen nicht mehr, seit Monaten nicht. Die Stimmung im Olympiastadion ist noch miserabler als zuvor. Aber ist bei Hertha deshalb die große Panik ausgebrochen? Der Fußball hat sich neue Publikumsschichten erschlossen, der wahre, echte, gute Fan ist ökonomisch gesehen zu einer vernachlässigenswerten Größe geworden. Er führt noch ein paar Scheingefechte gegen absurde Anstoßzeiten und abstruse Stadionnamen, gegen falsche Farben im neuen Trikot und den Verrat an der Tradition.
Aber was heißt schon Tradition? Jean Löring hat die Vereinsfarben von Fortuna Köln von Schwarz-Gelb in Rot-Weiß geändert – der besseren Vermarktung wegen. Das war Anfang der Siebziger. Die Veränderung ist schleichend vorangeschritten, und irgendwann bemerkt man, dass das, was einem früher unerträglich erschienen wäre, plötzlich ganz normal ist. Das Stadion in Hamburg hat gerade zum zweiten Mal den Namen gewechselt, demnächst spielt die Bundesliga sonntags um eins. Es werden schon noch genügend Leute hingehen. Fragt sich nur, wer?