Später Absturz für Trainer des Tages

  • VON CHRISTIAN OEYNHAUSEN, 13.11.06, 06:57h


    Leverkusen - Nur sieben Minuten haben gefehlt, dann wäre Michael Skibbe der Trainer des Tages geworden, der gefeierte Mann, der mit seinen Auswechslungen die Münchener Bayern besiegt hat. Aber weil eben sieben Minuten fehlten und Bayer 04 Leverkusen nach einer 2:1-Führung noch 2:3 verlor, bleibt von dem scheinbar genialen Griff zu den Jokern nur die positive Innenwirkung: Von Athirson, dem Brasilianer, den Skibbe für den verletzten Schneider aus den Tiefen der Reservebank auftauchen ließ, gibt es jetzt immerhin frische Tor-Bilder für das Verkaufsvideo. Der Mann mit dem harten Linksschuss, der in Leverkusen nie zurecht kam, steht seit einiger Zeit im Schaufenster. Ein Abnehmer hat sich bisher noch nicht gefunden.


    Mit und um ihren ersten Torschützen, mit und um Stefan Kießling planen die Leverkusener dagegen ihre Zukunft. Deshalb gab es wenigstens etwas Trost: Der junge Mann hatte sein erstes Pflichtspieltor für Bayer 04 erzielt. Unter Fußballern gilt es als unfein, sich über individuelle Erfolge zu freuen, wenn das Kollektiv verloren hat. Aber am Samstag gab es eine Ausnahme von dieser Regel. Brav diktierte Kießling den Satz „Schade, dass es nicht gereicht hat“ in die Blöcke, und das konnte man ihm ja auch abnehmen. Aber das Grinsen bekam er an diesem Abend nicht aus dem Gesicht. „»Endlich« - so etwas in der Richtung habe ich gedacht“, sagte der 21 Jahre alte Stürmer, den Skibbe im Zuge einer taktischen Umstellung für den enttäuschenden Simon Rolfes nach der Pause eingewechselt hatte. Er war gerade drei Minuten auf dem Platz, als ihm Kahn den Ball auf den rechten Fuß faustete. Dieses 1:1 war die Art Tor, die ein verunsicherter Stürmer braucht: keine Zeit zum Nachdenken, mehr ein Reflex des Fußes als eine gezielte Aktion. Wer Kießling jubeln und danach befreit spielen sah, der konnte ahnen, unter welchem Druck der Franke gestanden hatte - ein zum großen Teil selbst gemachter Druck. Der Klub hatte sich zurückgehalten: Es gab seit Monaten keinen Satz von Trainer Skibbe und Sportdirektor Rudi Völler über Kießling, in dem nicht die Wort „Geduld haben“ und „Zeit geben“ vorkamen. Nur war die Zeit gekommen, doch der schönen Geschichte fehlte das Happyend.


    Skibbe hatte nach Athirsons 2:1 schon böse Vorahnungen: „Mir war klar: Sie würden offensiv wechseln und einen Verteidiger nach vorn schicken. Aber gerade dann muss man mutig bleiben, wie in den ersten 30 Minuten der zweiten Halbzeit“, sagte der Coach. Stattdessen leistete sich sein Team nach der Führung einige Momente mangelnder Konzentration und agierte zögerlich gegen entschlossene Bayern. 177 Sekunden und Tore von Demichelis und Pizarro kosteten das Spiel. „Totale Aussetzer“ hatte Kapitän Ramelow beobachtet: „Wir haben schön geschlafen.“ Leverkusen blieb nichts anderes übrig, als die Kaltblütigkeit des Gegners zu bewundern. „Sie stechen zu, wenn es richtig wehtut. Die Bayern sind eben die Bayern“, philosophierte Rudi Völler. Trainer Skibbe führte den Gedanken weiter: „Sie werden es auch immer bleiben.“


    Also stand Bayer 04 am Ende mit leeren Händen da und muss nun einen Tiefschlag verarbeiten. „Es war ein richtiger Schock“, sagte Ramelow. In der Tabelle klebt sein Team fest im Mittelfeld. Sportdirektor Völler warnt: „Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir den Anschluss nach oben nicht verlieren.“

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