VON KERSTIN THESING, 19.11.06, 21:54h
NÜRNBERG. Stefan Kießling sprintet in die Freistoßflanke, der Ball kommt, Kießling schießt - neben das Tor. Dann ist Schluss. Den Pfiff von Schiedsrichter Markus Schmidt nimmt Kießling noch neben dem Tor stehend wahr. Ein kurzer Schritt zurück, ein zögerlicher vor - der Angreifer von Bayer 04 Leverkusen sieht ziemlich einsam aus in diesem Moment. Erst nachdem er mit bedächtigen Schritten den Kasten des 1. FC Nürnberg umrundet hat, kommt sein alter Kumpel und heutiger Gegenspieler Thomas Paulus auf ihn zu, drückt ihn und spricht ein paar tröstende Worte.
Der unbefriedigende Besuch in der alten Heimat endet für Stefan Kießling und seine Leverkusener mit einer 2:3 (1:1)-Niederlage. Der Oberfranke hat zwei gute Chancen herausgespielt und ihm ist ein klarer Elfmeter nach Foul des Nürnbergers Gláuber (43.) verwehrt worden, ansonsten agierte er überwiegend unglücklich. Der positive Aspekt seines Abstechers: „Ich habe meine Familie gesehen.“
„Stefan ist ein junger Mann“, findet auch sein Ex-Trainer Hans Meyer später tröstende Worte für Kießling: „Wenn sich die Mannschaft erst stabilisiert hat und er permanent spielt, wird Leverkusen viel Freude an ihm haben.“
Von Stabilität ist Bayer im Frankenland allerdings weit entfernt. Nach der Verletzung von Bernd Schneider versetzte Trainer Michael Skibbe Offensivmann Sergej Barbarez ins defensive Mittelfeld und bot mit Kießling, Voronin sowie Freier drei Spitzen auf. Es folgen die gewohnten Fehler im Spielaufbau. Und doch geht Skibbes Team in Führung: Andrey Voronin schlägt in der 8. Minute eine Freistoßflanke, die Ahmed Madouni zum 1:0 einköpft. Die Hausherren geben sich unbeeindruckt. Nach einem doppelten Hackenspiel von Ivan Saenko sowie des Torschützen Robert Vittek gleichen sie zum 1:1 (12.) aus. Und es kommt noch dicker für Bayer: In den ersten 20 Minuten der zweiten Hälfte hat Nürnberg gleich fünf bombige Torchancen - mit dem 2:1 durch Markus Schroth (48.) sind die Gäste noch gut bedient.
Doch die Leverkusener kommen noch einmal heran. Wieder tritt Voronin einen Freistoß herein, wieder trifft Madouni (69.) - denken zumindest viele Betrachter. „Ich war nicht dran“, gibt Madouni jedoch unumwunden zu. Es ist ein Eigentor des Kießling-Freundes Paulus, das Bayer zurück ins Spiel bringt.
Der entscheidenden Szene kann man vorweg schicken, dass Leverkusens Torwart Jörg Butt von seinen Vorderleuten an diesem Nachmittag ziemlich oft allein gelassen wird. Doch das 2:3 geht - wie schon der Siegtreffer der Bayern in Leverkusen vergangene Woche - auf die Kappe des Torhüters. Nach einem langen Ball stürmt Butt aus seinem Kasten - und fällt hin. Die Kopfballabwehr von Juan landet bei Ivan Saenko, der an Butt vorbei zum 3:2 (85.) einschiebt. „Wenn er rausgeht, muss er den haben“, ärgert sich Trainer Michael Skibbe.
Während sich die Nürnberger über den ersten Sieg seit zehn (!) Spielen freuen, stürmt Bayer-Sportdirektor Rudi Völler mit einer Miene, die nichts Gutes verheißt, Richtung Spieler-Kabine. „Mit solchen Ergebnissen wird die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer größer“, hadert ein „verdammt enttäuschter“ Skibbe. Die deutlichsten Worte aber findet Carsten Ramelow: „Wir sollten langsam aufwachen und nicht mehr von oben träumen“, poltert der Kapitän: „Man muss sich doch nur die Tabelle anschauen: Das ist Abstiegskampf und da musst du anders ins Spiel gehen.“ Am Sonntag kommt der eigentliche Abstiegskandidat Cottbus (11.) zum eigentlichen Uefacup-Aspiranten Bayer (12.).
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