BARBAREZ-INTERVIEW: "Manchmal braucht man etwas auf die Fresse"

  • Sergej Barbarez, 35, ist einer der treffsichersten Bundesligaspieler - und einer der provozierendsten. Im "RUND"-Interview spricht der Bayer-Stürmer über Leverkusens schwache Leistungen, Intrigen im bosnischen Fußballverband und seine Abneigung gegen Grätschen


    Frage: Herr Barbarez, woran liegt es, dass die Deutschen nicht sehr viel über Ihre Heimat Bosnien wissen? Sie selbst sprechen von einem "beschränkten Bild".


    Barbarez: Das kommt durch den Krieg, aber wir Spieler aus Bosnien wollen das ändern. Eigentlich ist es unsere Hauptaufgabe, unser Land in einem besseren Licht darzustellen. Wir wissen auch, dass die Situation nicht rosig ist, aber es hat sich viel getan. Viele Firmen investieren, dadurch sind viele Ausländer da. Man braucht nur Zeit.


    Frage: Haben Sie Kontakt zu den anderen bosnischen Fußballern im Ausland?


    Barbarez: Ja. Zlatan Bajramovic von Schalke 04 war kürzlich hier, dann gibt es Ivica Grlic in Duisburg, Zvjezdan Misimovic in Bochum oder Ninoslav Milenkovic in Antwerpen. Wir versuchen, uns zwischen den Spielen zu sehen.


    Frage: Sie sagten einmal, diese Form des Zusammenhalts fehle Ihnen bei den Deutschen.


    Barbarez: Das ist eine Frage der Mentalität. In Deutschland konzentriert man sich mehr auf sich selbst, weniger auf die Familie. Bei uns am Tisch sitzen nie zwei Leute, sondern immer fünf oder zehn. Wenn Freunde oder Familienmitglieder zu einem Spiel nach Leverkusen kommen, kommen nicht zwei, sondern zehn oder 15.


    Frage: Trotz des - wie Sie sagen - starken Gemeinschaftsgefühls hat die bosnische Nationalmannschaft noch nie eine WM erreicht. Was fehlt?


    Barbarez: Nur noch die internationale Erfahrung. Ich bin der zweiterfahrenste Spieler und habe gerade einmal 45 Länderspiele. Wir sind ein kleines Land, haben eine sehr junge Mannschaft und sind zweimal erst im letzten Qualifikationsspiel gescheitert. Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für unser Land bedeutet hätte. In Bosnien ist Fußball alles. Erfolge der Nationalelf bringen den Leuten in dieser schwierigen ökonomischen Situation ein Lachen aufs Gesicht. Deshalb spiele ich Fußball. Man verdient Geld, man hat Ruhm. Aber dass man die Leute mit einem einzigen Tor glücklich machen kann - das ist das reinste und wichtigste Ziel im Fußball. Wir haben aber wegen der WM-Teilnahme noch nicht aufgegeben.


    Frage: Sie persönlich schon. Sie sind gerade als Nationalspieler zurückgetreten, angeblich wegen der zu hohen Belastung durch Verein und Nationalteam.


    Barbarez: Das stimmt nicht. Es ging um die Situation in Bosnien-Herzegowina, denn dort spielt die Politik eine zu wichtige Rolle im Verband. Da hat sich bei mir lange etwas angestaut, das ist jetzt eskaliert. Ich wollte mit diesen Funktionären nicht mehr zusammenarbeiten.


    Frage: Inwiefern mischt sich die Politik in den Fußball ein?


    Barbarez: Jeder weiß, dass wir religiöse Kriege hatten. Es ist das Schlimmste überhaupt, dass es im 21. Jahrhundert noch eine Rolle spielt, wer woran glaubt. Aus der Mannschaft haben wir das schon vor Jahren verbannt. Wir alle sind gesunde Jungs mit normalem Verstand. In unserem Verband wird allerdings immer noch so wie früher gedacht, bei diesen Funktionären ist es ein ständiger Kampf, in der Mannschaft ein so genanntes 'gesundes Klima' beizubehalten. Die wollen den alten Weg weitergehen. Außer dem Trainer gibt es im Verband keinen, der früher etwas mit Fußball zu tun hatte. Gegen diese Leute gibt es jetzt aber sogar große Demonstrationen. Die Menschen wollen, dass alle dort vom Präsidenten bis zur Putzfrau zurücktreten.


    Frage: Möglicherweise sind Sie in punkto Rücktritt bald nicht mehr alleine. 13 Auswahlkollegen haben die Verbandsführung aufgefordert, zurückzutreten. Anderenfalls würden sie nicht mehr für Bosnien spielen.


    Barbarez: Die Leute, die mich kennen, wissen, was in mir alles vorgeht. Der Rücktritt war eine sehr schwere Entscheidung. Wenn ich mit Nationalmannschaftskollegen spreche, rede ich immer noch von "wir", ich kriege das nicht raus.


    Frage: Man hatte Ihnen angeboten, Spielertrainer Bosniens zu werden. War das keine Möglichkeit für Sie?


    Barbarez: Das Angebot gibt es seit drei, vier Jahren, aber das kommt nicht in Frage, so lange diese Leute das Sagen haben. Deshalb werde ich meine Karriere auch auf jeden Fall mit einem weinenden Auge beenden.


    Frage: Das muss aber nicht das Ende des Traumes von der WM sein. Schließlich wollen Sie Trainer werden.


    Barbarez: Ich hoffe wirklich, dass ich mir den Traum einmal an der Seitenlinie erfüllen kann.


    Frage: Mit 35 naht Ihr Karriereende. Viele frühere Spieler sagen, damit gehe die schönste Zeit des Lebens zu Ende. Haben Sie auch das Gefühl?


    Barbarez: Darüber bin ich mir im Klaren. Ich genieße diese traumhafte Zeit in vollen Zügen.


    Frage: Bei den Experten waren Sie oft umstritten, die Fans hingegen mochten Sie meist. Gibt es da eine Erklärung?


    Barbarez: Anfangs gab es in allen Clubs Probleme, das kenne ich schon. Ich laufe halt dem Ball nicht hinterher, wenn ich annehme, dass er ins Aus geht. Ich mache keine Alibi-Grätschen, und das gefällt einigen nicht. Aber am Ende setze ich mich durch, weil ich mit meiner Spielweise immer Erfolg gehabt habe. Ich habe bald 300 Bundesligaspiele gemacht und fast 90 Tore geschossen, das gibt mir Recht. Und es gibt nicht viele Spielertypen wie mich.


    Frage: In Leverkusen läuft es derzeit nicht gut, obwohl das Spiel der Mannschaft eigentlich stets nett anzusehen ist. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?


    Barbarez: Es tut schon richtig weh, wenn man den Eindruck hat, dass man jedes Spiel auch hätte gewinnen können. Wir haben zu selten den Sack zugemacht oder ein 1:0 über die Zeit gerettet. Man muss manchmal zu Mitteln greifen, die nicht schön sind, um Erfolg zu haben. Leverkusen stand immer für schönen Fußball. Das wollen wir beibehalten, manchmal muss man den Ball aber aus dem Stadion kloppen.


    Frage: Seit Jahren hinkt Leverkusen seinen Zielen hinterher, und das, obwohl man nicht so ein kompliziertes Umfeld hat wie etwa in Berlin.


    Barbarez: Man kann den Rummel auch in positive Energie umsetzen. Ich habe in Hamburg sehr gut mit der ganzen Aufregung gelebt. Manchmal braucht man etwas auf die Fresse. Mich motiviert es eher, wenn man mich heftig kritisiert. Aber die Situation in Leverkusen wird sich nicht ändern, hier war es immer ruhig. Aber der eine oder andere Motivationsschub schadet nicht.


    Frage: Man hatte im Sommer den Eindruck, Sie wären gerne beim HSV geblieben.


    Barbarez: Fußball ist kein Wunschkonzert. Leverkusen hat sich sehr viel Mühe gegeben, der Club wollte mich unbedingt haben. Deswegen bin ich verpflichtet, Bayer etwas zurückzugeben und noch das ein oder andere Tor mehr zu schießen.


    Frage: Glauben Sie, beim HSV hat man Ihren Abgang bereut?


    Barbarez: Nein, mir war früh klar, dass das zu keinem guten Ende kommt. Man baute nicht mehr auf mich oder auch auf Stefan Beinlich (überragender Spielmacher beim Zweitliga-Spitzenclub Hansa Rostock; die Red.).


    Frage: Empfinden Sie Schadenfreude?


    Barbarez: Um dem HSV Schlechtes zu wünschen, habe ich zu viele gute Erinnerungen. Ich kehre nach meiner Laufbahn nach Hamburg zurück.


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