Bayer Leverkusen wirtschaftet endlich seriös, verliert dabei aber seine alte Attraktivität
Reiner Calmund hält sich in den vergangenen Tagen auffallend oft dort auf, wo die Entscheidungen beim 1. FC Köln getroffen werden. Vorigen Montag stapfte er durch die Vip-Räume des Rhein-Energie-Stadions, Tags darauf traf er sich in Köln mit seinem Intimus, dem Spielerberater Volker Graul, woraufhin Graul am Geißbockheim gesichtet wurde. Der einkaufsfreudige Trainer Christoph Daum ist mit Calmund befreundet, die alte Leverkusener Seilschaft scheint sich nun beim FC einzunisten. Merkwürdigerweise jubelt die Mehrheit der Kölner Fans über die Anwesenheit der andernorts als untauglich verschmähten Herren.
Noch seltsamer ist, dass man sie dort, wo sie fortgejagt wurden, gerne wieder hätte. "Fans, Sponsoren, aber auch Vertreter der Bayer AG und Medienleute leiden unter einem gewissen Nostalgieeffekt", sagt Meinolf Sprink, der als Sportbeauftragter des Pharmaunternehmens Bayer an der Schnittstelle zwischen Konzern und Fußball GmbH arbeitet. Sieben Mal spielte der Klub, der am Freitag Hertha BSC Berlin empfängt, in den vergangenen zehn Jahren in der Champions League, zwei Mal im Uefa-Cup, Könner wie Michael Ballack, Emerson oder Lucio trugen das Bayer-Trikot, doch angeblich verbrannte Reiner Calmund dafür 200 Millionen Euro. Zusätzlich zu den 20 bis 25 Millionen, die Bayer jährlich regulär zuschießt.
Wenn diese Zahl stimmt, gehört der Klub hinsichtlich des Schuldenstandes zur Kategorie Dortmund oder Schalke - mit dem Unterschied, dass in Leverkusen kein Stadion gebaut wurde und die Bayer AG den Schuldenstand ausglich. Die genannte Summe ist bis heute weder dementiert noch bestätigt worden, allerdings gilt es als sicher, dass Calmund wegen seines Umgangs mit Geld weggelobt wurde. "Wir orientieren uns inzwischen am Machbaren und nicht mehr an den Wünschen", sagt Wolfgang Holzhäuser, Calmunds Nachfolger als Geschäftsführer. Bei Bayer 04 wird mittlerweile seriös gewirtschaftet, es werden Gewinne mit Spielerverkäufen gemacht, man setzt auf den Nachwuchs, doch das ist kein Trost angesichts des Gefühls, dass die große alte Zeit unwiederbringlich vorbei ist. Wenngleich Holzhäuser stets betont, dass man damals auch keinen Titel gewann.
Der Geschäftsführer, das Gesicht des Sparkurses, wird trotzdem fast jede Woche mit "Holzhäuser-Raus"-Rufen beschimpft. Er sagt: "Zur Konsolidierung gibt es keine Alternative. Das war kaufmännische und betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Ich habe immer gesagt: Nicht Deutscher Meister werden kann ich auch mit weniger Geld." Ein Hieb gegen Vorgänger Calmund.
Doch nicht nur hinsichtlich der finanziellen Ausstattung hat der ewige Zweite an Boden verloren. In Leverkusen machen sich die Folgen der WM negativ bemerkbar. Es ist nur acht Jahre her, da galt die BayArena als Schmuckkästchen der Liga, mittlerweile verfügen viele Klubs über größere Stadien mit gewaltigen Vermarktungsmöglichkeiten. Finanziert oft durch Steuermittel, während die Kicker aus Leverkusen unter den globalisierten Zwängen der Pharmabranche zu leiden haben.
Modernisiert wird später
Beim Weltkonzern schrumpfen die Ressourcen für den Sport. "Zuwendungen an den Sport müssen in einen gewissen Kontext passen", sagt Sprink. 6 000 Arbeitsplätze sollen nach der Übernahme des Unternehmens Schering abgebaut werden, da ist es kaum vermittelbar, ungehemmt Millionenbeträge in die Taschen 20-jähriger Fußballspieler abfließen zu lassen. Auch die fertigen Pläne für eine Modernisierung des Stadions, die rund 50 Millionen Euro kosten würde, liegen auf Eis. "Ich bin froh, dass ich mir das nicht mehr antun muss", sagte Calmund nach seinem Abgang.
Die Interessen des Weltkonzerns sind derzeit alles andere als ein Vorteil. "Wir haben ganz bestimmte Rahmenbedingungen, das ist zum Teil positiv, kann aber auch negativ sein", gibt Sprink zu. Bis vor wenigen Jahren profitierte der Bayer-Sport noch von der wohlfahrtsstaatlichen Auffassung, man müsse der Mitarbeiterschaft interessante Freizeitoptionen bieten. Nicht nur die Fußballtochter wurde großzügig finanziert.
Mittlerweile aber droht eine Negativspirale: Für gute Spieler verliert der Klub ebenso an Attraktivität, wie für Sponsoren und den umworbenen Sportdirektor Rudi Völler. Leverkusen muss aufpassen, dass es nicht ausblutet, denn es ist möglich, dass die Kölner Recht behalten: Wer international erfolgreich sein will, verschuldet sich besser, obgleich Holzhäuser betont: "Unser Projekt Nachwuchs braucht Geduld. Aber längerfristig sehe ich gute Perspektiven, auch wieder ganz oben mitzuspielen."