Bayers Weihnachtsgeschenk als Komödie

  • Von Christoph Biermann , Leverkusen


    Die Meisterschaft läuft bescheiden, immerhin darf Bayer Leverkusen nach dem bizzaren Sieg gegen Besiktas Istanbul im Uefa-Cup überwintern. Die Fans sind vorübergehend versöhnt - doch von gutem europäischem Niveau ist die Mannschaft noch weit entfernt.


    Sitzen mochte Meinolf Sprink schon in den letzten zehn Minuten des Spiels nicht mehr. Doch selbst einigermaßen ruhig auf der Stelle stehen konnte der sonst so staatsmännisch und versammelt auftretende Sportkoordinator der Bayer AG kurz vor dem Abpfiff nicht mehr. "Da hängt so viel dran", rief er fast beschwörend in die Nacht über Leverkusen, dann war es endlich geschafft. Bayer hatte Besiktas Istanbul 2:1 geschlagen, wird nach der Winterpause im Uefa-Cup weiterspielen dürfen und hat fürs erste so viele Probleme beseitigt, dass man Sprinks Unruhe gut verstehen konnte.


    Die finanzielle Seite, dass der Club in der nächsten Runde einen hohen sechsstelligen Betrag einnehmen wird, war dabei nicht einmal die wichtigste. Schlimmer wäre es für Bayer gewesen, die internationalen Ambitionen zu einem Zeitpunkt aufgeben zu müssen, wo es auch in der Bundesliga eine "bislang durchwachsene Saison" ist, wie Trainer Michael Skibbe sagte. Außerdem kämpft der Konzernclub derzeit um öffentliche Aufmerksamkeit, die ihm aufgrund eher mittelmäßiger Leistungen zuletzt abhanden gekommen ist. "Es war wichtig, dass wir gezeigt haben, dass wir noch da sind und immer noch begeistern können", sagte Rudi Völler. Der Manager weiß, dass Bayer so erst einmal "nicht in eine Graue-Maus-Schublade geschoben wird".


    Der Sieg bedeutete zudem die Versöhnung mit dem zuletzt verstimmten Publikum und wird die sportliche Führung ruhiger arbeiten lassen können. Aber dass die Qualifikation für die Runde der letzten 32 im Uefa-Cup für Sergej Barbarez "ein Weihnachtsgeschenk war, das man nur abholen musste", war während des Spiels gegen den Tabellendritten aus der Türkei kaum zu sehen. Bayer verwandelte den Abholvorgang jedenfalls eine 90-minütige Komödie mit teils tragischen Elementen und einem Zug zur Farce.


    Nicht zuletzt Barbarez selbst trug dazu bei, wie dem Schützen zum 2:0 auch selber klar war. "Ich freue mich zwar über das Tor, muss mich aber eigentlich schämen, dass ich nur eines gemacht habe", sagte der Stürmer. Ein halbes Dutzend bester Torchancen hatte allein er, die Hälfte davon schon in der ersten Viertelstunde. Zur Hälfte der ersten Halbzeit hätte die Partie längst entschieden sein müssen, als fast alles so kam, wie man sich das in Leverkusen vorgestellt hatte. Der spielstarke aber nicht sonderlich robuste Gegner erwies sich als genau der Typ Mannschaft, wie er Bayer liegt. Nur fehlten halt die Tore.


    Auf den Nerven der Fans herumgetrampelt


    Fast eine dreiviertel Stunde lang dauerte die anschließende Phase der Dominanz ohne Chancen, ehe Stefan Kießling dem Abend durch seine Einwechselung eine Viertelstunde vor Schluss noch eine Wendung ins Bizarre gab. "Bei ihm lagen sicherlich die Nerven blank", sagte Skibbe. Wohl selten hat man im Europacup einen Spieler gesehen, dem dermaßen viel misslang. Eine Ballananahme bedeute bei Kießling Ballverlust, ein Anspiel einen Fehlpass und ein Schuss eine vergebene Chance. Und doch leitete Kießling die Spielszene ein, die zum Elfmeter für Bayer eine Minute nach seiner Einwechselung führte.


    Dass Babic diesen verschoss, hatte Barbarez schon geahnt: "Ich habe gar nicht zugeschaut, weil ich das Gefühl hatte, dass es daneben geht." Zum Glück für Bayer hatte zumindest Bernd Schneider die Augen offen, war als erster in den Strafraum geflitzt und verwandelte den Nachschuss. Kießling lieferte auch die Vorlage zum zweiten Tor vier Minuten vor Schluss, als er erneut eine große Chance vergab und Barbarez den Abpraller nutzte. Aber selbst damit hatten die Spieler von Bayer noch nicht genug auf den Nerven ihrer Fans herumgetrampelt und verursachten in der Schlussminute noch einen Foulelfmeter, so dass sie sich nach dem 2:1-Anschlusstreffer noch durch vier Minuten Nachspielzeit zittern mussten.


    "Wir sind halt eine Mannschaft, die unberechenbar ist - in jeder Hinsicht", sagte Rudi Völler. Er meinte das launig, und dieses Schwanken in den Leistungen gehört bei den Teams von Bayer Leverkusen schon seit Jahren zur Unternehmenskultur. Doch das Niveau, auf dem die Kapriolen vorgeführt werden, sinkt kontinuierlich. Darüber täuschte auch nicht hinweg, dass Bayer im vierten Spiel des Uefa-Cups "endlich europäisches Niveau gezeigt hat", wie Skibbe erklärte. Von gutem europäischen Niveau ist die Mannschaft jedenfalls ein gutes Stück entfernt. Dass der Trainer sagte, er rechne sich im Uefa-Cup "gegen jeden Gegner eine 50:50-Chance aus" kann man da für einen Fall von Selbstüberschätzung halten. Vielleicht drückte sich in diesem Überschwang aber auch nur eine überwältigende Erleichterung aus.


    Bayer Leverkusen - Besiktas Istanbul 2:1 (0:0)
    1:0 Schneider (77.)
    2:0 Barbarez (86.)
    2:1 Ricardinho (90.+1, Foulelfmeter)
    Leverkusen: Butt - Castro (66. Barnetta), Haggui (75. Kießling), Juan, Babic - Rolfes - Freier, Schneider, Athirson - Barbarez, Woronin (78. Callsen-Bracker). - Trainer: Skibbe
    Istanbul: Runje - Ibrahim Toraman, Koray, Baki, Ibrahim Üzülmez - Kleberson, Serdar Kurtulus - Ali Tandogan, Ricardinho, Burak (72. Gökhan) - Deivson (66. Mert Nobre). - Trainer: Tigana Schiedsrichter: Paparesta (Italien)
    Zuschauer: 22.500 (ausverkauft)
    Gelbe Karten: Butt / Ibrahim Üzülmez, Koray, Baki
    Bes. Vorkommnis: Runje hält Foulelfmeter von Babic (77.)


    spiegel.de