Leverkusens Trainer Michael Skibbe hat seine Elf mit großer Gelassenheit ins heutige Viertelfinale des Uefa-Cups gegen CA Osasuna geführt
ANDREAS KÖTTER | DÜSSELDORF
Wer verstehen will, warum Bayer Leverkusen seit Wochen nicht nur feinen, sondern auch erfolgreichen Fußball spielt und heute Abend in der BayArena im Viertelfinale des Uefa-Cups gegen CA Osasuna spielt, der darf die Gründe dafür nicht nur auf dem Rasen bei den Schneiders, Juans oder – neuerdings auch – Adlers suchen. Er muss auch versuchen, Michael Skibbe zu verstehen. Und weil der Trainer von Bayer Leverkusen über sich selbst am liebsten gar nicht spricht („das sollen andere machen“), hilft zunächst eine Anekdote, die sich kürzlich am Rande des Länderspiels Deutschland gegen Dänemark in Duisburg ereignete.
Nach dem Spiel hatte ein Fan Skibbe um eine Mitfahrgelegenheit gebeten. Der packte den nicht mehr ganz nüchternen Fußball-Freund in sein Auto, brachte ihn zum Duisburger Hauptbahnhof und bot ihm noch ein paar Euro für die Fahrkarte gen Heimat an. Macht jeder? Wohl kaum. Ottmar Hitzfeld mag ein Gentleman sein, Peter Neururer ein Kumpeltyp, aber diesen Limousinen-Service kann man sich bei beiden kaum vorstellen.
Das ist Skibbes Stärke: Er genießt einerseits einen unbestrittenen Ruf als ausgewiesener Fußball-Experte, nimmt sich aber andererseits selbst nicht zu wichtig, weiß sich und das laute Fußball-Geschäft einzuordnen ins große Weltengetriebe. Dass der Mann die Contenance verliert und an der Seitenlinie Veitstänze à la Werner Lorant aufführt, ist jedenfalls nicht dokumentiert.
Vor kurzem aber platzte dem 41-Jährigen dann doch mal gehörig der Kragen. So wütend wie nach dem 1:0-Heimsieg seiner Mannschaft gegen Borussia Mönchengladbach hatte man den ehemaligen Bundes- und Vize-Weltmeistertrainer von 2002 noch nie erlebt. Leverkusens Fans hatten ihren eigenen Stürmer Sergej Barbarez zuvor pausenlos ausgepfiffen und schließlich sogar noch mit wütenden „Barbarez raus“-Rufen bedacht. Das, obwohl der Bosnier noch wenige Tage zuvor mit einem Treffer gegen den RC Lens maßgeblichen Anteil daran hatte, dass Bayer das Uefa-Cup-Viertelfinale überhaupt erreichte. „Eine bodenlose Unverschämtheit“, tobte Skibbe, der Barbarez selbstredend nicht auswechselte und dafür zwei Wochen später vom Ex-Hamburger mit zwei Toren beim 3:1-Sieg in Mainz belohnt wurde.
Der Trainer des Tabellen-Fünften schützt seine Spieler stets, scheut sich aber auch nicht vor unbequemen Entscheidungen, wenn er das im Sinne des Erfolgs für notwendig befindet. Wie kürzlich, als er den langjährigen Stammtorwart Hans-Jörg Butt nach abgelaufener Sperre auf die Bank beorderte und seitdem dem jungen U21-Nationaltorwart René Adler vertraut. Und auch der zahlt das Vertrauen zurück, mit Leistungen, die für viele Experten bereits für eine Nominierung in die Nationalmannschaft ausreichen würden.
Barbarez und Adler, zwei Eckpfeiler, die für Skibbes Gespür stehen, was und wen (s)eine Elf wann braucht. Folgerichtig sagt er über sich selbst: „Ich glaube, dass ich ein gutes Auge dafür besitze, wie man eine Mannschaft zusammenstellt und welche Spieler gut zueinander passen.“ So wollte er den als unbequem geltenden Barbarez vor dieser Saison mit aller Macht für seinen Kader haben, „weil Sergej ein charakterlich einwandfreier Führungsspieler ist, wie jede junge Mannschaft zwei, drei braucht.“
Wenige Tage nach dem Eklat besuchte Skibbe eine Abordnung der Bayer-Fans, denen er anhand von allerlei Statistiken penibel darlegte, wie wichtig der Bosnier tatsächlich für das Spiel von Bayer ist.
Skibbe kennt das Fußball-Geschäft trotz seines verhältnismäßig jungen Alters längst aus dem Effeff. Weil seine eigene aktive Karriere im Alter von 21 als Sportinvalide endete, wollte er „eigentlich Publizistik studieren“, nahm stattdessen aber ein Angebot an, auf Schalke Jugendtrainer zu werden. Später arbeitete er auch bei Borussia Dortmund und beim DFB in dieser Funktion.
Einer, der dort vier Jahre mit ihm gearbeitet hatte, ist Harald Stenger. Der Mediendirektor des DFB begleitete Skibbe (und Teamchef Rudi Völler) während dessen Zeit als Bundestrainer der A-Nationalmannschaft von 2000 bis 2004 und ist mit ihm befreundet. „Skibbe hat in Leverkusen eine schwierige Aufgabe zu bewältigen“, sagt Stenger. „Der Verein ist im Umbruch. In dieser Situation arbeitet Michael entschlossen am Aufbau einer neuen Mannschaft. Dabei profitiert er natürlich von seinen Erfahrungen als DFB-Trainer und seinen Kontakten zu den Junioren-Nationalspielern.“
Wie, das zeigte sich in der vergangenen Woche beim Dänemark-Länderspiel, als Bundestrainer Joachim Löw mit Stefan Kießling, Gonzalo Castro und Simon Rolfes gleich drei Leverkusener Jungspieler und auch noch Paul Freier aufbot.
„Löw“ ist ohnehin ein gutes Stichwort. Der schien – in Anlehnung an das vorherige Nationaltrainer-Team Völler/Skibbe – zunächst so eine Art „Klinsmanns Skibbe“ zu sein, zeigt aber jetzt mit seinem Auftreten und seinen Erfolgen, dass er wohl schon in den zwei Jahren unter Klinsmann größeren Einfluss auf die Entwicklung der Nationalmannschaft hatte als zunächst vermutet. Und Ähnliches galt auch für Skibbe. „Skibbes Stellenwert in der Zusammenarbeit mit Rudi Völler wurde in der Öffentlichkeit häufig unterschätzt“, sagt Stenger. „Er hat aus meiner Sicht als Medienmann die Schwäche, dass ihn seine öffentliche Reputation nicht im Geringsten interessiert. Er selbst sieht das aber als Stärke.“
Skibbe gerät tatsächlich nicht aus der Fassung, wenn ihn der Boulevard schon mal zum Abschuss freigibt, und auch nicht, wenn die eigenen Fans wie in der Vorrunde lautstark seinen Rausschmiss fordern. Der Mann pflegt eine gesunde Distanz – weniger zum Trainer-Job an sich, als – zur Parallelwelt Fußball-Bundesliga. „Ich kann mir durchaus vorstellen, wieder im Jugendbereich zu arbeiten“, sagt er. „Ich bin sehr gerne bei Bayer, der Job macht mir großen Spaß, aber mein Seelenheil hängt nicht am Status Bundesligatrainer.“
So schnell aber wird er diesen Job wohl kaum loswerden. Schließlich wurde sein Vertrag gerade erst um zwei Jahre verlängert. Sportdirekor Rudi Völler, Skibbes Chef und seit der gemeinsamen Zeit beim DFB mit ihm befreundet, schätzt an seinem Trainer „neben seiner fachlichen Qualifikation auch seine menschlichen Qualitäten“. Er bewundere Skibbes Fähigkeit, „stets die richtige Ansprache und die passenden Worte für seine Spieler zu finden“.
Ein Problem damit, dass der eine Freund – Völler – den anderen – Skibbe – vielleicht einmal entlassen muss, haben beide nicht. „Diese Situation kann im Profi-Fußball immer einmal eintreten“, sagt Skibbe. „An unserer Freundschaft würde das aber definitiv nichts ändern.“
Handelsblatt - Druckausgabe vom 05.04.2007