Rudi Völler
"Wir sind von Gott geküsst worden"
Rudi Völler spricht im SZ-Interview über seine ersten Lieben: eine Hanauerin, Spiderman und natürlich Fußball.
Interview: Juan Moreno
SZ: Herr Völler, ich bin in Hanau aufgewachsen und kann Ihnen versichern, Sie waren der Held meiner Jugend. Oberlippenbart, Löckchen, Strähnchen, ich wollte exakt so aussehen wie Sie.
So so.
SZ:Das war nichts Ungewöhnliches. Alle in meiner Klassen wollten so aussehen wie Sie. Sie haben uns sehr beeinflusst.
Es freut mich natürlich, dass ich in Hanau so gemocht wurde. Aber ehrlich gesagt, bekam man das damals kaum mit.
SZ: Sind Sie noch manchmal in Hanau?
In meiner Bremer Zeit war ich häufiger hier, dann verlor sich das ein wenig, als ich nach Rom ging. In letzter Zeit komme ich eher mal her. Ich habe wieder mehr Kontakt zu alten Freunden.
SZ: Wie häufig sind Sie hier?
Recht oft, ich geh ja auch regelmäßig meine Eltern besuchen.
SZ: Stimmt es, dass Sie in der Lamboystraße aufgewachsen sind?
Ja.
SZ: Die Jungs von der Lamoystraße galten als harte Kerle.
Da bist du durch eine harte Schule gegangen! Ich weiß noch, dass ich als Kind, wenn ich vom Training nach Hause kam, an einigen Rotlichtkneipen vorbeilaufen musste. Da gab es die eine oder andere Dame, die auf der Lamboystraße auf Kundschaft wartete.
SZ: In Hanau gibt es bessere Wohngegenden, oder? Eine Arme-Leute-Gegend.
Wir waren auf jeden Fall nicht reich, wenn Sie das meinen. Ich weiß noch, dass mir mal die Wochenkarte für das Heinrich-Fischer-Bad in die Kinzig gefallen ist. Ich war auf dem Heimweg, und irgendwie fiel mir die Karte aus der Hand in den Fluss. Eine Katastrophe, es war Sommer, meine Kumpels waren im Freibad. Ich bin am Ufer entlang gerannt. Die Karte trieb im Fluss. Sie war direkt vor mir, und ich war kurz davor reinzuspringen, und sie zu holen. Mir war klar, dass ich von meiner Mutter erstmal keine neue bekommen würde. Fünf Mark hat die gekostet! Zum Glück fehlte mir der Mut, da reinzuspringen.
SZ: Was wäre passiert, wenn Sie in die Kinzig gesprungen wären?
Ich wäre garantiert ersoffen.
SZ: Im Lamboygebiet waren doch auch die Militärkasernen der amerikanischen Soldaten. Hatten Sie Kontakt zu denen?
Ja, natürlich. Ich bin da häufig hingegangen. Die hatten das beste Eis der Stadt, außerdem eine tolle Sporthalle. Amerikaner respektieren dich, wenn du sportlich bist, darum haben die mich reingelassen. Fußball durfte ich in der Halle aber nicht spielen, das ist nicht ihr Sport.
SZ: Was haben Sie da gemacht?
Tja, ich war damals sehr schmal. Meine Trainer sagten mir, dass ich zulegen müsse. Nur gab es in Hanau damals kein einziges Fitnessstudio. Also bin ich zu denen gegangen und habe mit den Soldaten trainiert. Die haben mir ein bisschen was erklärt mit den Gewichten.
SZ: Die Amis haben immer die beste Musik in Hanau gehört.
Stimmt! Während die anderen in der Mannschaft noch Marianne Rosenberg und Chris Roberts gehört haben, war ich schon bei den Temptations. Ich schaute von meinem Fernseher aus auf die Kasernen. Die Jungs hatten immer einen riesigen Ghetto-Blaster an. Irgendwann wurde deren Musik meine.
SZ: Wo sind Sie in Hanau ausgegangen?
Hans Böckler Heim - das war so ein Jugendklub. Ich weiß noch, dass es da immerzu Schlägereien gab. Da ich aber schon recht früh gut Fußball spielen konnte, war ich unter den robusteren Jungs beliebt. Für mich war das sicher. Da durftest du ja als normale Bratwurst zu meiner Zeit gar nicht rein.
SZ:Ich war auch so eine Bratwurst. Ich bin regelmäßig abgewiesen worden.
Schade für Sie, es waren immer ein paar hübsche Mädchen da.
SZ: Wir hatten übrigens denselben Lehrer.
Ja?
Rudi Völler begann in Haunau Fußball zu spielen. Noch heute redet er gerne über seine Heimatstadt
Foto: afp
SZ: Ja, den hatten Sie auf der Höheren Handelsschule, der erzählt gern die Geschichte von Ihrem Trainer, der zu ihm kam, und sagte, dass man den Völler nicht so hart rannehmen solle.
Ach ja? Wusste ich nicht.
SZ: Ja, ein zukünftiger Nationalspieler sollte doch nicht sitzenbleiben!
Aha.
SZ: Der Lehrer hat Sie genau deswegen strenger benotet als alle anderen.
Na super! Aber es stimmt schon, es war schon relativ schnell klar, dass ich Profi werde. Ich habe zwar noch die Lehre als Bürokaufmann gemacht, aber in Wahrheit gab es nur Fußball. Meine Mutter lag mir damals in den Ohren: Du machst gefälligst die Lehre, du nervst mit diesem blöden Fußball da! Und natürlich hatte sie Recht. Es muss dir nur jemand in die Knie treten, und es ist alles vorbei. Ich habe in der Firma des Schatzmeisters des Vereins die Lehre gemacht.
SZ: Abgeschlossen?
Ja, klar, aber wie man so in jungen Jahren eben ist. Die Abmachung war: Wenn du Training hast, bist du freigestellt und musst nicht ins Büro. Also hatte ich für die Firma eigentlich immer Training. Habe in der Zeit viel im Café gegessen und Karten gespielt.
SZ: Werden Sie eigentlich nostalgisch, wenn Sie durch Hanau laufen?
Ja, sehr. Ich habe in den letzten zehn, zwanzig Jahren eine Menge erlebt. Bin viel rum gekommen in der Welt. Und wissen Sie was? An viele Dinge kann ich mich nicht mehr richtig erinnern. Ich bin auf der ganzen Welt gewesen, und irgendwie ist vieles davon wieder weg. Aber an die Hanauer Zeit, die Zeit, als ich zwischen 13 und 17 Jahre war, an diese Zeit kann ich mich am besten erinnern. An Klassenkameraden, an Lehrer, an Geschichten, die mir bei Klassenfahrten passiert sind. Zum Teil, als sei das alles erst gestern gewesen. Ich versuche, meinen Kindern zu vermitteln, dass sie diese Zeit genießen sollen. Es ist die
beste!
SZ: Passiert viel in der Zeit, erster Kuss und solche Sachen. Wann haben Sie zum ersten Mal ein Mädchen geküsst?
Ich war 14, glaube ich ...bei einem Fußballturnier, bei dem wir übernachtet haben. Ich weiß nicht mehr so genau. Bei mir ging das ohnehin erst mit 16 los. Die Mädchen in unserem Alter haben sich für uns damals nicht interessiert. Für die existierten Gleichaltrige nicht. Die Schulpause habe ich damit verbracht, mit einem Tennisball Fußball zu spielen.
SZ: War Ihre erste Liebe Hanauerin?
Ja. Und Ihre?
SZ: Ja, sie wohnte im Lamboygebiet, kann mich gut an sie erinnern. Und Sie?
Das mit der ersten Liebe brennt sich irgendwie ein. Natürlich sammelt man mit den Jahren seine Erfahrungen, aber die erste Liebe, irgendwie vergisst man die nicht. Sie ist etwas Besonderes!
SZ: Sie haben doch jede gekriegt, ein Profikicker, Strähnchen, eine sichere Nummer in Hanau.
SZ: Ging so. Wie gesagt: ich war ein Spätzünder.
Schüchtern?
SZ: Was Mädchen angeht: sehr! In anderen Dingen weniger. Das Selbstbewusstsein kommt da durch den Sport.
Gab es außer Fußball, Henrich-Fischer-Bad und Mädchen, die einen in der Pause ignoriert haben, weil man zu jung war, noch was? Was mochte so ein Hanauer Junge?
SZ: Spiderman.
Spiderman?
Die Hefte habe ich geliebt. Ich kannte alle, und ich habe meine Mutter immer gebeten, mir das neue Heft zu kaufen. Was jedes Mal ein Kampf war.
SZ: Mittlerweile können Sie sich die Dinger ja leisten.
Sie werden lachen, mich hat das noch lange beschäftigt. Irgendwann, ich war schön längst Profi, bin ich zu dem Verlag gefahren, habe mich beim Verlagschef vorgestellt, und habe ihn gefragt, was alle jemals in Deutschland erschienenen Spidermanhefte kosten. Der dachte, ich spinne. Aber ich habe so lange auf den eingeredet, bis er mir die Dinger zu einem Spottpreis verkauft hat.
SZ: Wie teuer waren die?
Ich weiß nicht mehr, hundert Mark vielleicht. Ist Jahre her. Auf jeden Fall bin ich zum Auto, habe den Kofferraum aufgemacht, und die haben mir den Wagen mit Spidermanheften voll gemacht.
SZ: Kann man in Rom leben, so wie Sie das getan haben, und gleichzeitig Hanau vermissen?
Schwer zu sagen. Ich fühle mich als halber Römer, und das sage ich nicht nur so. Es gibt nichts Schöneres als diese Stadt. Ich liebe sie. Sie denken vielleicht, die Deutschen seien fußballverrückt, aber glauben Sie mir: Die Römer sind es. Vielleicht bin ich nicht wirklich objektiv, die Menschen behandeln dich anders, wenn du bekannt bist.
SZ: Was hat Ihnen an Rom am meisten gefallen?
Ich habe es früher geliebt, mit einigen Spielern abends auszugehen, und irgendwann um drei oder vier in der Nacht durch Rom zu fahren. Am Colosseum, Piazza Venezia, am Dom vorbei. Ich fand es herrlich, mitten in der Nacht in Rom im Verkehrsstau zu stehen.
SZ: Ihre Frau ist Römerin.
Ja, wir haben uns kennengelernt, als ich in Italien war.
SZ: Was sagt Sie zu Hanau?
Sie findet Rom schöner.
SZ: Unfassbar!
Tja.
SZ: Dabei haben Sie sie doch langsam an Hanau herangeführt.
Ja, ich bin nach der Zeit in Rom für zwei Jahre nach Marseille gegangen. Da war der Übergang für sie nicht so schwer. Wir haben am Hafen gewohnt. Mir gefiel es da gut, das Flair war südländisch, sehr italienisch.
SZ: Dann Leverkusen. Wie nähern uns also langsam dem Hanauer Niveau.
Ich hatte ihr versprochen, dass ich zwei Jahre in Leverkusen spiele, und dass wir dann nach Rom zurückkehren. Mittlerweile sind es zwölf Jahre.
weiter unter:
http://www.sueddeutsche.de/,tt…t/bundesliga/artikel/75//
(SZ vom 12./13.05.2007)