Drei Mal ist nordafrikanisches Recht
Am 3. Juni 1970 war es gerade noch gut gegangen: Auch damals, am Beginn der neunten WM-Endrunde, stand nur die Höhe des deutschen Auftaktsieges gegen den WM-Neuling aus Nordafrika in Frage. Nach 90 Minuten hatte sich die Elf Bundestrainer Helmut Schöns im mexikanischen León nach 0:1-Rückstand noch zu einem 2:1 über Marokko gezittert. Gegen dessen Nachbarn Algerien reichte es zwölf Jahre später aber nicht mehr. Mit seinem 2:1 bestrafte der Underdog am 16. Juni 1982 im spanischen Gijon die Einfallslosigkeit des Europameisters. Es war die erste und bisher einzige Niederlage einer DFB-Auswahl zum WM-Start - und die zweite im zweiten Vergleich mit Algerien.
Keine Lehren gezogen
Häme und Spott waren dem trotz alldem überheblich daherkommenden Aufgebot des Schön-Nachfolgers Jupp Derwall nach der unerwarteten Blamage sicher. "Man darf auch als Europameister nicht auf Afrika hinabschauen, als würde dort kein Fußball gespielt", schrieben Algeriens Trainer Rachid Mekhloufi und Mahiedine Khalef dem verdutzten Verlierer ins Stammbuch. Der hätte über die Qualität der Algerier spätestens seit dem 0:2 in Algier zu Neujahr 1964 informiert sein müssen. Aber diese 90 Minuten waren vor 25 Jahren in Gijon ebenso längst vergessen wie der mühsame WM-Auftakt 1970 (siehe oben). Und selbst das überaus glückliche 0:0 gegen Tunesien zum Ende der WM-Vorrunde 1978 in Argentinien hatte bezüglich der Wertschätzung für den Fußball auf dem Schwarzen Kontinent keine Langzeitwirkung hinterlassen.
Schumacher: "Vier bis acht Tore"
Stattdessen ruhte sich der haushohe Favorit auf seinen acht Siegen aus ebenso vielen WM-Qualifikationspartien für Spanien aus. "Meine Spieler lachen sich doch tot, wenn ich ihnen einen Film von den Algeriern zeige", gab Derwall preis. Beeindruckende 33:3 Tore hatte der zweimalige Weltmeister gegen Österreich, Bulgarien und Finnland erzielt, und gegen Algerien, so kündigte Keeper Toni Schumacher volImundig an, würden "vier bis acht" fallen, "um in Form zu kommen."
Madjer und Belloumi plötzlich weltweit Begriffe
In Form zeigte sich an jenem unheilvollen Mittwoch allerdings nur der grün-weiß gekleidete Außenseiter. Dessen Torschützen Rabah Madjer und Lakhdar Belloumi - seinerzeit immerhin Afrikas Fußballer des Jahres - wurden über Nacht zu Stars und Volkshelden. Genau ein Treffer fiel für Deutschland, während Schumacher beinahe so viele Bälle aus seinem Netz zu holen hatte wie in acht Qualifikationsbegegnungen zuvor. Als seine Vorderleute noch Karl-Heinz Rummenigges Ausgleich zum 1:1 feierten (68.), hatte der unerschrockene Niemand auch schon wieder zugeschlagen. Belloumi vollendete den schnellen Konter zum Siegtor (69.). Darauf fand Derwalls Zweckgemeinschaft keine Antwort mehr.
Berühmt-berüchtigtes Trainingscamp an einem bayerischen Gewässer
Derwalls lange Leine und die feucht-fröhliche Zeit der Vorbereitung am "Schlucksee" hatten sich prompt gerächt. Insbesondere Rückkehrer Paul Breitner, der am 29. April 1981 nach sechs Jahren Pause sein Comeback im Dress mit dem Bundesadler gefeiert hatte, sah sich nachher harscher Kritik ausgesetzt, "leistete einen Offenbarungseid", wie die "Süddeutsche Zeitung" resümierte.
Überhebliches Auftreten
"Die Deutschen hatten keinen Respekt vor uns", befand Mekhloufi, und den No-Name-Kontrahenten, "bis zur letzten Minute nicht für voll genommen", wie Madjer anfügte. Der 23-jährige Schütze des 1:0 hielt fünf Jahre später noch eine zweite viel beachtete Demütigung für den deutschen Fußball parat. Unvergessen, wie der 87-malige Nationalspieler (40 Tore) am 27. Mai 1987 im Europapokalfinale der Landesmeister in Wien den großen Favoriten FC Bayern München stürzte. Mit der Hacke schaffte der spätere algerische Nationaltrainer den 1:1-Ausgleich für den FC Porto, die Portugiesen siegten mit 2:1. Anschließend unterzeichnete Madjer einen Dreijahresvertrag beim Verlierer, posierte für die Fotografen in dessen Tracht - und ging dann doch zum FC Valencia. Warum, verriet Afrikas damaliger Fußballer der Jahres nie.
quelle: t-online