Pannen und ein "abgerissenes Bein"
Liebe Radsport-Fans,
Tour-Direktor Christian Prudhomme hat mich heute vor dem Start gefragt, was ich über den Ausschluss von Michael Rasmussen denke.
Ich denke, das Team Rabobank wird so viele Informationen gehabt haben, dass sie die Entscheidung, Rasmussen zu entlassen, rechtfertigen können. Ich nehme an, es war sicher keine leichte Entscheidung für die. Sie haben sicher gedacht: "Jetzt müssen wir das Image der Mannschaft und des Sponsors retten."
Unser Image ist sowieso angeschlagen, jetzt können wir auch wirklich bis auf den Boden der Sache gehen und jeden, den wir erwischen, auszusortieren. Es sieht so aus, als ob das System jetzt sehr gut funktioniert und die Maschen des Netzes eng genug sind. Hoffentlich können wir alle, die uns das Leben schwer machen, aussortieren.
Für die restlichen Rabobank-Fahrer ist die Situation nicht leicht. Sie arbeiten, bis sie fast vom Rad fallen, und jetzt war irgendwie alles umsonst. Ich hätte gern noch mit Grischa Niermann darüber gesprochen, aber dann war ich gleich mit vorn in der Ausreißergruppe und habe dann keinen mehr gesehen.
Ich habe mich fast geschämt, mit so einer riesigen Bandage am Bein zu fahren, weil bei meinem Sturz gestern eigentlich nicht viel passiert ist. Am Knie ist ein kleines Loch, aber an der Wade ist die Verletzung nur oberflächlich. Unsere Physiotherapeutin Sabine freut sich. Sie sagt, der Doktor hat das halbe Bein umwickelt, damit weniger zum Massieren übrig ist.
Vor der Etappe hat mich ein Fernsehteam gefilmt, als ich ein paar Autogramme für Kinder geschrieben habe. Ich habe gesagt: "Seht mal, mein Bein! Gestern war das voll abgerissen und lag neben mir auf der Straße!" Was meint Ihr, was die für Augen gemacht haben! Die haben das für eine Sekunde geglaubt! Ich habe ihnen dann schnell gesagt, dass es nur ein Scherz war.
In der Ausreißergruppe waren erfahrene und tempoharte Fahrer. Ich habe die Gruppe dann noch in zwei Teile gesprengt, aber Bennati ließ sich nicht abschütteln. Nun ist es leider mit meiner Reputation manchmal nicht so einfach. Alle wissen: "Wenn wir dem Voigt erstmal 30 Meter geben, dann ist der weg". Also hat Bennati die ganze Zeit ein Auge auf mich gehabt. Ich würde das genauso machen. Ich würde mich fragen: "Wer ist hier der Attackierer? Der Voigt! Den lasse ich nicht mehr weg!"
Nachdem ich gestern schon durch einen Reifenschaden gestürzt war, hatte ich heute schon wieder Pech. Gleich am Anfang bricht die Halterung vom Sattel ab. Die Gruppe war gerade erst entstanden. Den Mannschaftswagen kann man aber erst rufen, wenn man mehr als eine Minute Vorsprung hat.
Also bin ich noch zehn Kilometer so weiter gefahren. Alejandro, der ein sehr guter Mechaniker ist, hat die Lage sofort durchschaut und gemeint: "Du kannst auf dem Rad bleiben, ich wechsel den Sattel für dich. Am Ende hatte ich dann wieder Reifenschaden. Jetzt bin ich hoffentlich für den Rest des Jahres durch mit den Pannen! Es war aber kein so großes Problem, wieder an die Gruppe heran zu kommen.
Immerhin habe ich die rote Startnummer des kämpferischsten Fahrers bekommen. Davon habe ich mindestens schon 20 Stück. Die meisten davon haben meine Eltern. In deren Gästezimmer stehen und hängen viele meiner Pokale, Trikots und Startnummern. In Berlin habe ich auch noch zwei, drei davon.
Dass das Gelbe Trikot heute zunächst nicht vergeben wurde, war symbolisch zu verstehen, steht aber auch im Reglement. Contador bekam also erst nach der Etappe das Gelbe Trikot offiziell überreicht. Es war aber auch eine vernünftige Geste um zu zeigen, dass man nicht einfach zur Tagesordnung übergeht.
Noch ein gute Nachricht: Stuart O'Grady ist am Schlüsselbein operiert worden. Seine Frau hat angerufen. Er kann schon wieder sms schreiben und ist auf dem Weg der Besserung. Es braucht zwar noch einige Zeit, bis alles wieder in Ordnung ist, aber er ist zur Geburt seiner Tochter in zwei Wochen dabei.
Euer Jens Voigt