"40 bis 45 noch offene Fuentes-Fälle"
Warum wird die Fuentes-Affäre nicht richtig aufgeklärt? Wird Ivan Basso Anti-Dopingbotschafter? Pat McQuaid, der Präsident des Weltradsportverbandes UCI, über potenzielle Doper der Operacion Puerto, die Eigenheiten der spanischen Justiz und den Dissidenten Tour de France.
Ein Monat vor Beginn der Tour de France, wie würden Sie die Situation im Radsport derzeit beschreiben?
McQuaid: "Es ist auf jeden Fall eine Situation, mit der ich nicht zufrieden bin. Die Tour de France ist nicht Teil des UCI-Rennkalenders. Es werden keine UCI-Kommissäre dort sein, keine Anti-Doping-Inspektoren der UCI. Es werden nur Offizielle des französischen Verbandes eingesetzt sein. Das ist aus unserer Sicht keine gute Situation. Da haben wir keine Kontrolle über das Event."
Der Streit zwischen dem Tour de France-Veranstalter ASO und der UCI wirkt ein bisschen wie spielen im Sandkasten, wer darf seine Burg wie hoch bauen?
McQuaid: "Die Situation ist für uns so: Wir haben einen Dissidenten, einen Veranstalter, der - so scheint es uns - eine eigene internationale Rad-Organisation aufbauen möchte. Die ASO widersetzt sich den Regularien der UCI. Ökonomisch gesehen ist die ASO eine enorme Macht, weil sie mit dem Radsport und der Tour de France sehr viel Geld verdienen. Und sie nutzen dieses Geld und ihre Macht, um ihre Regeln zu diktieren, wie sie den Radsport gerne haben möchten. Also klar ist das ein - ich würde sagen - großer Konflikt zwischen ASO und UCI."
Die ASO würde wahrscheinlich sagen, dass die Anti-Doping-Arbeit der UCI nicht gerade die effizienteste ist.
McQuaid: "Das weise ich völlig von uns. In der Geschichte des Kampfes gegen Doping waren wir nie nachsichtig. Und mit der Einführung des sogenannten Blutpasses zeigen wir doch, dass die Absicht der UCI da ist, für einen dopingfreien Radsport zu kämpfen."
Wie steht es denn um diesen groß angekündigten Blutpass?
McQuaid: "Lassen Sie mich eines vorwegsagen. Wir haben jahrelang vor allem im Wettkampf kontrolliert, und dann gelernt, dass hauptsächlich im Training gedopt wird. Also haben wir vor drei Jahren mit Trainingskontrollen begonnen. 150 im Jahr 2006, 1.000 in 2007 und dieses Jahr werden wir 10.000 machen. Dadurch geben wir jetzt 5,3 Millionen Euro für den Anti-Doping-Kampf aus. Das zahlt nicht alles die UCI, auch die Radsportteams, die Fahrer, und die Organisatoren der Rundfahrten. Die Tour de France hat übrigens noch nicht bezahlt."
Und der Blutpass, Sie erinnern sich?
McQuaid: "Der Blutpass ist ein Blutprofil mehrerer zu verschiedenen Zeitpunkten genommener Blutwerte eines bestimmten Fahrers. Durch den Blutpass sollen Wissenschaftler erkennen können, wenn ein Fahrer sein Blut manipuliert. Dann müssen wir nicht mehr wissen, wie das geschehen ist. Das reicht schon, um den Fahrer zu sanktionieren. Seit Beginn des Jahres haben wir 2.500 Tests, am Ende werden es die eben genannten 10.000 sein. 20 bis 25 Tests waren so, dass wir weitere Kontrollen mit den entsprechenden Fahrer machen werden."
Das heißt die Werte waren auffällig. Es wurde schon vor Wochen gemeldet, dass 23 Fahrer unter Dopingverdacht stehen.
McQuaid: "Das ist falsch. Die Blutwerte waren leicht abweichend, aber das kann auch am Transport gelegen haben. Wir machen jetzt weitere Zielkontrollen bei diesen Fahrern."
Viel ergiebiger, um Dopingsünder zu fangen, könnten doch momentan noch die Ergebnisse der Affäre um den spanischen Dopingarzt Fuentes und der Operacion Puerto sein. Ist das für Sie erledigt?
McQuaid: "Nein, in Madrid wurde ja das Verfahren wieder aufgenommen, nach der Revisionsklage der UCI und der WADA. Wir haben etwa 40 bis 45 noch offene Fälle von Radsportlern, und wenn das Verfahren in Spanien zu Ende ist, dann können wir weiter machen. Wir hoffen, dass durch das Gerichtsverfahren noch stärkere Beweise ans Licht kommen."
Sind unter den 40 bis 45 Fällen auch deutsche Fahrer?
McQuaid: "Das weiß ich nicht. Eine große Anzahl sind auf jeden Fall Spanier."
Warum nehmen Sie nicht einfach von den 40 bis 45 Fahrern Blutproben und bitte die spanischen Behörden um einen Vergleich mit den Blutbeutel der Operacion Puerto? Dann wüssten Sie, ob die Fahrer Blutdoping-Kunden bei Fuentes waren.
McQuaid: "Das würden wir sehr gerne machen, aber wir werden durch das spanische Justizsystem blockiert. Die Blutproben der Operacion Puerto sind Eigentum des spanischen Gerichts und wir kommen da nicht ran."
Die spanische Justiz lässt Sie nicht Blut von aktuellen Fahrern mit den Blutbeutel der Operacion Puerto vergleichen?
McQuaid: "Nein. Die Proben dürfen nicht an eine dritte Partei gegeben werden, die nicht in den aktuellen Fall verwickelt ist. Am Ende des Prozesses könnte es sein, dass das Gericht es erlaubt. Aber das wissen wir nicht."
Aber die Staatsanwaltschaft Bonn hat vor über einem Jahr das Blut von Jan Ullrich mit Blutbeuteln in Spanien vergleichen dürfen.
McQuaid: "Weil es ein juristisches Verfahren gegen Ullrich gab."
Aber dann könnten Sie doch einfach Anzeige gegen Unbekannt bei einem Schweizer Gericht in Aigle oder Umgebung erstatten, dem Sitz der UCI ?
McQuaid: "Darüber haben wir auch nachgedacht, zusammen mit der Welt-Anti-Doping-Agentur und dem Internationalen Olympischen Komitee, aber das funktioniert auch nicht."
Sie haben gerade Ivan Basso zum Anti-Doping-Botschafter gemacht ...
McQuaid: "Das ist falsch. Was ich gesagt habe war, ich denke, dass Ivan Basso als starker Botschafter gegen Doping zurückkommen wird. Aber wir, die UCI, haben generell keine Anti-Doping-Botschafter, und für Basso werden wir so eine Stelle auch nicht schaffen."
Das Gespräch in Aigle, Schweiz, führte Florian Bauer.