"Die Betreuung ging bis in den Kreißsaal"
Mit Athirson und Roque Junior haben die beiden letzten Brasilianer den Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen verlassen. Vor 20 Jahren kam mit Tita der erste Südamerikaner zum Klub, ihm folgten viele weitere brasilianische Stars. sport.ARD.de sprach mit Ex-Bayer-Manager Reiner Calmund, der einst die Tradition der Sambafußballer in Leverkusen einleitete, über das Ende einer Ära, die Mentalität der brasilianischen Spieler und über das besondere Betreuungsprogramm in Leverkusen.
Herr Calmund, mit Athirson und Roque Junior haben die letzten Brasilianer Bayer Leverkusen verlassen. Geht damit eine Ära zu Ende?
Reiner Calmund: Es war eine gute Tradition, Brasilianer zu verpflichten. Traurig bin ich aber deshalb nicht. Die Zeit ist eben vorbei.
Woran liegt das?
Calmund: Weil es immer schwieriger geworden ist, Spieler von dort zu verpflichten. Brasilianische Fußballer sind sehr teuer geworden, weil sie einen guten Namen in der Welt haben. Als ich angefangen habe mich für Brasilianer zu interessieren, war das noch ein wenig anders.
Wie denn?
Calmund: Als wir 1987 Tita geholt haben, hat der nur 500000 Mark gekostet. Der Junge hatte gleich großen Anteil daran, dass wir 1988 den UEFA-Pokal gewonnen haben. Und für so einen guten Spieler wie Jorginho haben wir später circa 800000 Mark gezahlt. Für Paulo Sergio immerhin schon rund zwei Millionen Mark. Aber danach wurden die Spieler immer teurer und schwerer zu finanzieren.
Es sind aber doch noch einige Brasilianer nach Leverkusen gekommen.
Calmund: Mit Emerson, Lucio und Juan oder Roque Junior und einigen anderen ist uns das zwar noch gelungen, aber wir konnten sie nie so lange bei uns behalten, wie wir wollten. Wir mussten sie immer abgeben, allerdings gegen gute Ablösesummen.
Und weshalb sind diese guten Spieler alle ausgerechnet nach Leverkusen gegangen?
Calmund: Weil wir sehr auf die menschliche Seite geachtet haben. Mit dem leider verstorbenen Heinz Prellwitz hatten wir jemanden im Klub, der sich wie ein väterlicher Freund nicht nur um die Spieler, sondern auch um die ganze Familie gekümmert hat.
Was hat er genau gemacht?
Calmund: Er hat sich um alle Formalitäten gekümmert, zum Beispiel um einen einfachen Antrag für einen Telefonanschluss. Oder er hat beim Einkaufen mit der Familie, wenn sie die deutsche Sprache noch nicht beherrschte, darauf geachtet, dass plötzlich kein "Chappi" im Einkaufskorb lag, sondern echte "Ravioli". Es ging soweit, dass er mit den Frauen der Spieler bis in den Kreißsaal gegangen ist.
Das hat sich bis nach Brasilien herumgesprochen?
Calmund: Ich denke schon. Wir haben einfach eine sehr gute Betreuung gehabt. Es gab einige Vereinsvertreter, die nicht über den Tellerrand hinausgeschaut haben. Vielleicht hat es bei denen deshalb nicht mit Verpflichtungen von brasilianischen Spielern geklappt.
Glauben Sie, dass die Leverkusener künftig ganz auf Brasilianer verzichten werden?
Calmund: Das glaube ich nicht. Ich denke, wenn sie wieder jemanden finden, der für sie interessant ist, dann werden sie auch wieder auf dem Markt zuschlagen. Die brasilianische Mentalität ist herzlich, ausgelassen und die Brasilianer sind einfach gute Fußballer mit ausgeprägter, taktischer Disziplin. Deshalb habe ich es nie bereut, einen Brasilianer verpflichtet zu haben.
Das Gespräch führte Jörg Strohschein