1Die Normalität wurde mittels
einer Haarfärbetinktur wieder
hergestellt. Die rote Strähne – vom
Nacken bis zur Stirn laufend – verschwand
vom Kopf des Arturo Vidal,
natur-schwarz ist angesagt.
„Ich habe so auch sichtlich die
WM in Kanada hinter mir gelassen.
Das alles ist Vergangenheit.“
Vergangenheit, über die der schlaksige
Chilene (1,81 Meter, 72 Kilo)
nicht reden will. Seine Eindrücke
von der ersten Bekanntschaft mit
dem deutschen Fußball behält er
für sich. Schiedsrichter Wolfgang
Stark, an dem sich der Zorn der
chilenischen Mannschaft nach dem
0:3 bei der U-20-WM gegen Argentinien
entlud, ist kein Thema für ihn,
der nach dem Schlusspfi ff der Skandalpartie
heulend auf dem Rasen
lag, traurig, unfähig, irgendwen zu
beschimpfen. Müde ist er. Der Kopf
verschwindet in scheinbar unbeobachteten
Augenblicken einige
Male in der Armbeuge, die Lider
fl attern. Der Jetlag quält Vidal. Er
beantwortet die Fragen, gleichwohl
klingen die Antworten einstudiert.
Kein Wunder, was soll er sagen?
Aufgewachsen in Santiago de
Chile, der Hauptstadt, in einem
wenig noblen Viertel. Die Jugend
des Arturo Vidal bedient alle Klischees.
Fünf Geschwister, der Vater
früh weg, die Mutter verdingt sich in
Knochenjobs. Arturos Schule ist die
Straße, Staub statt Kreide, Fußball
statt Leibesübungen. Der Plan, den
er schon als Kind entwickelt, geht
auf. Colo-Colo, der Topklub Chiles,
wird auf ihn aufmerksam, holt ihn
in die Jugend, mit 18 wird er Profi
und beschließt seine Debütsaison
gleich mit einem Meistertitel: „Das
war eine Erfüllung, so meine Karriere
beginnen zu können“, erinnert
er sich, schiebt nach: „Genauso will
ich sie bei Bayer fortsetzen.“
Meister mit Bayer? Das wäre
in der Tat etwas ganz Neues. Den
Wechsel fädelte Fernando Felicevich
gemeinsam mit Bayer-Manager
Michael Reschke und Sportchef
Rudi Völler ein. Der Argentinier,
keiner der Berater, die auf der eigenen
Schleimspur daher rutschen,
scheint so etwas wie Karriereplanung
für Vidal im Kopf zu haben:
„Barcelona, Inter Mailand und Ajax
wollten ihn vor der WM. Aber hier
kann er sich in Ruhe entwickeln.“
Mit 11 Millionen Dollar Ablöse
(Colo-Colo behielt 30 Prozent der
Transferrechte, so ergibt sich für
Bayer die Summe von 5, 2 Millionen
Euro) ist Vidal der teuerste chilenische
Fußballer aller Zeiten, steht in
der direkten Tradition der Weltstars
Elias Figueroa, Ivan Zamorano und
Marcelo Salas. Ein Trio, das für die
Qualität des chilenischen Fußballs
stand. Arturo Vidal soll helfen, sie
neu zu beleben. So viel ist sicher:
Bange ist ihm vor dieser Aufgabe
nicht. FRANK LUßEM