Freitag, 16. November 2007 von Tim Farin
Es war ein Heldenbild: Mit blutigem Trikot, einer Wunde am Kinn und einer geprellten Brust ließ sich der blonde Hüne im Tor von Bayer 04 Leverkusen vom Adrenalin treiben. In der heiß umkämpften Schlussphase im Auswärtsspiel beim VfL Wolfsburg klärte René Adler nicht nur einen scharfen Freistoß des Brasilianers Marcelinho. "Er hat vier, fünf Mal hervorragend gehalten", lobte sein Trainer Michael Skibbe den 22-Jährigen. Mit diesen Paraden sicherte Adler den Leverkusenern das 2:1. Währenddessen kassierte Oliver Kahn beim 1:3 des FC Bayern München in Stuttgart zumindest einen höchst diskutablen Treffer. Eine Momentaufnahme, die aber auch eine allgemeine Tendenz widerspiegelt: Die "Jungen" verdrängen die "Alten" in den deutschen Toren.
Vom Ersatzmann zum Leader
Der 1,92 Meter große Adler steht für eine Nachwuchsgeneration im Tor, die Hoffnung auf neue Erfolge weckt – in seinem Heimatklub ebenso wie in der Nationalmannschaft. Vor ein paar Wochen bestätigte Bundestrainer Joachim Löw, dass er den Leverkusener genau beobachte. Damit gehört Adler neben Michael Rensing (23 Jahre, FC Bayern München) und Manuel Neuer (21, FC Schalke 04) zu jener neuen Generation, die als Zukunft der Nationalelf gehandelt wird. Gerade nach dem Abgang von Oliver Kahn und in turbulenten Zeiten von Stammkeeper Jens Lehmann avancieren Adler und die Kollegen zu Alternativen.
Aufstieg auf Schalke
Am Morgen des 25. Februar 2007 hätte wohl nicht einmal Adler selbst mit dem Verlauf der nächsten Monate rechnen mögen. An jenem Tag ersetzte er den gesperrten Stammtormann Hans-Jörg Butt im Auswärtsspiel beim FC Schalke 04 – Leverkusen siegte 1:0, Schalke-Coach Mirko Slomka staunte: "Es war ja keineswegs so, dass wir im Abschluss versagt hätten. Aber Adler hat einfach sensationell gehalten." So empfahl er sich für den nächsten Spieltag, an dem er trotz 15 Torchancen gegen sich gegen den VfB Stuttgart nur einen Treffer zuließ. Bayer siegte 3:1 und Bundestrainer Löw schwärmte: "Das war Weltklasse."
Ein ehrgeiziger Balljunge
Seit seinem sechsten Lebensjahr lässt Adler staunen. Weil er der Größte war, stand er im Kasten. "Ich wollte da so schnell wie möglich wieder raus", erinnert er sich, doch er war zu gut. Mit den Erfolgen kam der Spaß. Beim heimischen VfB Leipzig mühte sich Adler für die Jugend-Karriere, er stand wochenends für die Amateure als Balljunge parat, um nach den Spielen die Handschuhe der Großen abzustauben.
"Diese Leistungen erwarte ich von mir: Konstanz, Präsenz, Mitspielen. Dass ich jedes Spiel lebe"René Adler
Ersatzfamilie Vollborn
Adler ist ein ehrgeiziger Typ. Er sagt: "Diese Leistungen erwarte ich von mir: Konstanz, Präsenz, Mitspielen. Dass ich jedes Spiel lebe." Er hat alle Jugendauswahlen des DFB durchlaufen. Als Adler 15 war, stieß Leverkusens einstiger UEFA-Pokal-Held und heutiger Torwart-Trainer Rüdiger Vollborn bei einem Lehrgang auf den Jungen. Er erkannte das Talent, lockte den Leipziger an den Rhein und feilte an seinen Qualitäten: der offensiven, mitspielenden Torwartrolle, seiner Spielorganisation und -gestaltung. Er kann gut springen und reagiert blitzschnell. Fähigkeiten, derentwegen er bei der U19-Europameisterschaft 2004 und der U20-WM 2005 die DFB-Teams als Kapitän anführte.
Große Hoffnungen
Heute kann sich Adler berechtigte Hoffnungen machen, schon bald auch in der A-Nationalelf zum Zuge zu kommen. Allerdings ist die Konkurrenz groß: Timo Hildebrand hat schon seine Rolle in der Nationalelf. Da ist Neuer, der in Gelsenkirchen den Stammplatz erkämpfte. Und bei den Bayern übernimmt Michael Rensing schon in dieser Saison immer mehr Verantwortung vom einst unangefochtenen Kahn. Doch trotz aller Konkurrenz: Adler und Rensing kommen gut miteinander aus, waren jüngst noch zusammen im Café und tauschten sich wohl auch über die eigene Rolle im deutschen Fußball aus.
"Seine Art des Torwartspiels ist der Stil der Zukunft"Leverkusens Sportchef Rudi Völler
Blick nach vorne
Inzwischen hat René Adler es auf 24 Bundesliga-Einsätze gebracht, die Leistungen finden hervorragende Kritiken. Kein Wunder, dass Bayer seinen Vertrag bis 2012 verlängerte. "Seine Art des Torwartspiels ist der Stil der Zukunft", begründete Sportchef Rudi Völler, "wir werden noch viel Spaß an ihm haben." Auch wenn sich Adler in den vergangenen Wochen zuvor ungekannte Patzer erlaubte und im Boulevard zum Teil einer "großen Torwartkrise" avancierte. Doch Adler weiß genau wie seine jungen Kollegen, dass Fehler zu jeder Karriere gehören. Auch Lehmann und Kahn haben Fehler gemacht – vielleicht machen sie heute schon mehr als ihre potentiellen Erben.