Phasen des Glücks

  • Irgendwann zu fortgeschrittener Stunde, als Bayer Leverkusen nach einem mühsamen 1:0-Erfolg gegen Sparta Prag die Runde der letzten 32 Teams im Uefa-Cup erreicht hatte und alle Fragen des internationalen Fußballs geklärt waren, warf Michael Skibbe noch einen Blick auf den Alltag. "Das Spiel gegen Hansa Rostock ist eine sehr unangenehmen Aufgabe", sagte er, und das war weit mehr als eine der üblichen Floskeln, die einem Trainer vor Duellen gegen Außenseiter so in den Sinn kommen. Bayer Leverkusen ist nämlich ein Fußballklub, der auf eine große Tradition in der Kunst der überraschenden Niederlage zurückblickt, und die Partie am Sonntag ist wie gemalt für solch ein Malheur.


    Denn gerade nach tollen Serien neigen die Rheinländer dazu, Punkte gegen vermeintlich leichte Gegner zu verschenken. In der vergangenen Rückrunde verstellten Heimniederlagen gegen Bielefeld, Bochum und Hannover den Weg zu mehr als Platz fünf, ja sogar Meisterschaften sind schon auf Grund dieser Symptomatik verloren gegangen. Es wurde auch schon reichlich über diese Tendenz zur Wankelmütigkeit im Wesen des Klubs debattiert, Skibbe indes wehrt derlei Überlegungen mittlerweile ab: "Ich glaube, dass wir gar nicht so großen Schwankungen unterliegen", sagt er, es gebe eben "Phasen, in denen hat man etwas Pech, und andere, in denen hat man Glück".


    Wende durch Platzverweis


    So gesehen haben die Leverkusener derzeit sehr viel Glück. Den zuletzt vier Siegen in der Bundesliga folgte nun der Erfolg im Uefa-Cup gegen einen Gegner, der lange Zeit mindestens ebenbürtig war. Kurioserweise war es eine Rote Karte für Carsten Ramelow (61.), die als Wendepunkt zugunsten der Leverkusener diente. Zu zehnt hatten die Deutschen das Spiel im Griff. Kurz nach Ramelows Tätlichkeit schmiss sich Manuel Friedrich in eine Ecke, die in den Strafraum segelte, bekam den Ball an die Schulter und erzielte so das Siegtor (72.). So ist das eben in Phasen des Glücks.


    Dennoch häufen sich die Signale, dass der traditionelle Dämpfer bald folgen könnte. Schon am Donnerstag wirkte die Mannschaft lange Zeit müde, tat sich schwer gegen einen defensiven Gegner und war anfällig für Konter. Zudem hinterlässt dieser Herbst mit vielen englischen Wochen langsam seine Spuren: Sergej Barbarez konnte gegen Prag auf Grund eines eingeklemmten Nervs nicht mitwirken, und der nach der längsten Verletzung seiner Karriere wieder genesene Bernd Schneider wurde eingewechselt, musste aber nach 15 Minuten mit Wadenproblemen wieder vom Feld.


    Alle fiebern natürlich ohnehin eher dem großen Jahresfinale entgegen als der Pflichtaufgabe gegen Hansa Rostock. Am 17. Spieltag tritt die Mannschaft bei Werder Bremen an, und wenn alles nach Wunsch läuft, wird sie dort aus eigener Kraft die Möglichkeit haben, ganz nah an die Champions-League-Plätze heranzurücken. Voraussetzung dafür ist allerdings, endlich die alte Krankheit auszuheilen: die Neigung zum überraschenden Misserfolg inmitten glücklicher Zeiten.


    Berliner Zeitung, 08.12.2007