Die gehen ab wie Zäpfchen

  • "Pillendreher" ist noch das harmloseste Attribut, mit dem Kritiker Bayer Leverkusen gerne belegen. In den letzten Jahren mussten die Fans häufig bittere Pillen schlucken. Doch diese Saison ist alles anders. Bayer ist zurück in der Spitzengruppe mit einem Fußball, den sportal.de ohne Nebenwirkungen verordnen kann.


    Die Planungen bei Bayer Leverkusen waren langfristig angelegt. 2009, wenn der Ausbau der BayArena auf 30.000 Plätze abgeschlossen sein wird, wollte man wieder ein ernstes Wörtchen um die Meisterschaft mitreden. Doch heimlich, still und leise hat sich das Team von Trainer Michael Skibbe jetzt schon im oberen Tabellenbereich festgesetzt und schnuppert an den Champions League-Plätzen.


    Patzt der HSV in Karlsruhe und gelingt ein eigener Sieg gegen Bremen, könnte die Werkself sogar als Tabellenzweiter in die Winterpause gehen. "Wir freuen uns, dass wir in ganz Deutschland wieder so positiv gesehen werden", freute sich Rudi Völler in der WELT.


    Doch wo liegen die Gründe dafür, dass Leverkusen nach dem verkorksten Saisonstart mit einem Remis und einer Niederlage so aufdrehen konnte und auch noch schönen Fußball spielt? Immerhin holte Bayer seit dem dritten Spieltag 29 Punkte - genauso viele wie die großen Bayern.


    Und das, obwohl nach dem sechsten Spieltag vier Niederlagen folgten. Aber die letzten fünf Spiele (16:2 Tore) wurden allesamt gewonnen und boten schönen Fußball. Nur Werder war in den letzten 13 Spielen mit 32 Punkten erfolgreicher. Wir haben ein paar Gründe zusammen getragen:


    Die Zusammensetzung stimmt


    Skibbe und die sportliche Führung um Sportdirektor Völler und Manager Michael Reschke haben einen guten Kader beisammen. Die Neueinkäufe kann man allesamt als erfolgreich bewerten. Sowohl Hans Sarpei als auch Vratislav Gresko haben ihren Platz gefunden, Manuel Friedrich und Arturo Vidal - bis zu seiner Verletzung - sind absolute Leistungsträger. Stürmer Theofanis Gekas erzielte schon mehr Treffer als in der Hinrunde der letzten Saison, obwohl er noch lange nicht seine Topform erreicht hat.


    Vor allem stimmt die Mischung aus Jung und Alt perfekt. Mit Simon Rolfes, René Adler, Gonzalo Castro, Vidal und Stefan Kießling kultiviert Bayer den Jugendstil. Geführt wird die Truppe durch die Routiniers Bernd Schneider und Sergej Barbarez. Vor allem der Bosnier erlebte in den letzten Wochen eine wahre Renaissance. Wie wichtig er für die Mannschaft ist, zeigt sich auch darin, dass er den Spitznamen "Papa" verpasst bekam.


    Doch auch, wenn die Vaterfiguren - wie im letzten Spiel gegen Rostock passiert - fehlen, ist die Mannschaft in der Lage, die Ausfälle zu kompensieren und trotzdem schönen und erfolgreichen Fußball zu spielen. "Unser Erfolgsrezept ist, dass wir eine richtig tolle Truppe sind", brachte Adler das Geheimnis des Erfolges auf den Punkt.


    Deshalb macht das Fehlen von Schneider gegen Bremen auch niemandem Angst. In der nächsten Saison sollen die Jungspunde dann auch weitgehend auf eigenen Füßen stehen. Denn die Verträge mit Carsten Ramelow und Barbarez sollen laut Express nicht verlängert werden.


    Das Abwehrsystem funktioniert


    Die Basis bildet der kompakte Defensivverbund. Die zu Saisonbeginn neuformierte Innenverteidigung mit Friedrich und Karim Haggui harmonierte auf Anhieb. Zusammen mit dem trotz seiner Jugend überragenden Keeper Adler war sie der Garant, dass Bayer mit 11 Gegentoren nach 16 Spielen so wenig wie noch nie in der Bundesliga-Geschichte kassieren musste.


    Vor der Innenverteidigung brilliert Rolfes. Der Nationalspieler spielt einen äußerst souveränen Sechser, füllt den Bereich zwischen Viererkette und Offensivabteilung und macht die Räume eng. "Das Rezept ist eine starke Defensive", erklärte der 25-Jährige im kicker. "Das ist die Grundvoraussetzung für jeden Erfolg. Griechenland wurde so Europameister, Italien Weltmeister."


    So kann ein strukturierter Spielaufbau erfolgen, wo früher Bälle einfach planlos nach vorne gedroschen wurden. Positiver Nebeneffekt des flüssigen Angriffsfußballs: Der Gegner bleibt meist weit weg vom eigenen Tor. Gegen Rostock klappte das perfekt, die Hanseaten kamen kaum einmal gefährlich in den Strafraum der Werkself.


    Unterstützt wird die Zentrale durch die schnellen Außen Tranquillo Barnetta und Paul Freier. Der Nationalspieler kommt immer besser in Form und sorgte nicht nur wegen seiner zwei Tore für viel Wirbel in der Offensive. Barnetta war seinerseits bereits dreimal erfolgreich. Im Sturm sorgte Gekas mit acht Treffern in 13 Spielen für Jubel.


    Das Skibbe-System wirkt


    Generell versucht Bayer jedem Gegner das Spiel aufzuzwingen. Auch die Bayern hatten große Probleme in der Arena, wurden früh gestört und unter Druck gesetzt. Gegen Rostock fand der Ball bereits nach vier Minuten den Weg ins Tor. Und liegt Bayer erst einmal in Führung, dann sind sie auch nicht mehr zu stoppen. Alle neun Siege resultierten aus einer 1:0-Führung.


    Die Spielweise, die Skibbe der Mannschaft eingeimpft hat, kommt auch bei den Fans an, die den Coach lange sehr kritisch sahen. Im Vergleich zu den Lautsprechern und emotionalen Vorgängern wie Christoph Daum oder Klaus Toppmöller erschien er vielen Anhängern langezeit als zu moderat und sachlich.


    Doch mittlerweile wird er geschätzt, denn seine ruhige und konsequente Arbeit trägt Früchte und sorgte für attraktiven Fußball mit Torgarantie. Ein Verdienst auch von Rudi Völler, der trotz aller Kritik von außen immer an seinem Trainer festgehalten hatte und stets überzeugt verkündete: "Er ist der Richtige für diese Mannschaft."


    Es folgt ein richtiger Härtetest


    Doch die klinische Testphase läuft noch. Die Bilanz gegen die großen Clubs der Liga lässt noch zu wünschen übrig. Gegen Meister Stuttgart, Bayern München und den HSV verlor man jeweils knapp mit 0:1, gegen Schalke gab es ein 1:1 - allerdings nach einem Rückstand. "Der Abstand nach oben ist nicht mehr groß. Aber auch der Abstand zu den Teams hinter uns ist klein", warnte Völler vor zu großer Euphorie.


    Gegen Bremen sind die Pillendreher deshalb nun gefordert. Im letzten Spiel des Jahres wird sich erweisen, ob das Präparat Bayer 2007/08 weiter buchstäblich wie das berühmte Zäpfchen abgehen kann und das Saisonziel UEFA-Cup-Platz nachträglich doch noch etwas nach oben korrigiert werden muss.


    Quelle: Sportal.de