1. März 2008, 17:13 Uhr Von Jens Bierschwale
Vor drei Jahren musste sich Fußball-Bundesligist Bayer Leverkusen aus finanziellen Gründen von zahlreichen Stars trennen. Seitdem setzt der Klub auf junge, entwicklungsfähige deutsche Spieler wie Rene Adler, Simon Rolfes, Gonzalo Castro und Stefan Kießling. Diese bescheren dem Verein nun einen ungeahnten Höhenflug.
Er sieht noch immer wie ein Milchbubi aus, dabei ist Simon Rolfes doch schon 26 Jahre alt. Aber als er neulich in einem Fragebogen die Antwort darauf finden sollte, was nie in seinem Kühlschrank fehle, sagte er tatsächlich: „Milch“.
Das passt sehr schön, denn lange Zeit stand Rolfes geradezu symbolisch für die aufstrebende Garde der Milchgesichter bei Bayer Leverkusen. Wie kein anderer verkörperte er den talentierten und ehrgeizigen Jungstar, der es zunächst zum gestandenen Stammspieler und schließlich gar zum Auswahlkicker brachte. Längst hat Rolfes Verstärkung unterm Bayer-Kreuz erhalten, er spielt jetzt zusammen mit René Adler, 23, Gonzalo Castro, 20, Stefan Kießling, 24, oder Pirmin Schwegler, 20, denen viele Experten eine gleichsam rasante Entwicklung zutrauen. Und mit dem juvenilen Zuwachs definiert der Werksverein im Hintergrund peu à peu höhere Ziele. Im nächsten Jahr, wenn der Umbau des Stadions abgeschlossen ist, sollen dann Titel ins Visier genommen werden.
Derart unverhohlene Ankündigungen sind Beleg des neuen Selbstverständnisses der Leverkusener und Folge eines Reifeprozesses innerhalb der kickenden Belegschaft. „Dass ein gewisses Potenzial in der Mannschaft steckt, konnte man ja schon seit zwei Jahren sehen. Wir waren einfach nur zu unbeständig“, sagt Sportdirektor Rudi Völler. „Die jungen Spieler, die jetzt richtig gezündet haben, waren da vielleicht noch einen Tick zu unerfahren. Jetzt ist die Mannschaft einfach gestandener geworden.“
„Podolski-Effekt“ in der Personalplanung
Dabei ist der Trend „Jugend forsch“ keineswegs ein freiwilliger Akt gewesen. Vor drei Jahren hatte Bayer einen Umbruch eingeleitet, die Gehälter des Lizenzspielerkaders waren um die Hälfte gekürzt worden, teure Stars wie Yildiray Bastürk, Franca, Jens Nowotny oder Juan gingen in der Folge. Als Ersatz kamen „junge Wilde“ wie Kießling aus Nürnberg oder Talente aus der eigenen Jugend wie Verteidiger Castro und Torhüter Adler. „Podolski-Effekt“ nennt Völler die Personalplanung. „Wir hatten zuletzt das Glück, dass wir aus dem eigenen Nachwuchs Spieler rausgebracht haben, die wie Castro oder Adler direkt den Sprung in die Profimannschaft geschafft haben. Dieser Podolski-Effekt, dass man mal so ein Juwel hervorbringt, hat uns vorher gefehlt.“
Der starke Nachwuchs allein aber gereicht nicht als Grund für Bayers Aufschwung, der den Klubs vor dem Auswärtsspiel in Bochum (17.00 Uhr, Premiere) auf Rang drei befördert hat. Die Mischung macht es: Kießling & Co. dienen die Routiniers Bernd Schneider, 34, und Sergej Barbarez, 36, als Vaterfiguren. „Die Idee bei uns ist die, dass die jüngeren Spieler auf den Erfahrungsschatz der älteren zurückgreifen. Das funktioniert sehr gut“, sagt Trainer Michael Skibbe. Und Kießling, der jüngst ein Angebot von Tottenham Hotspur ablehnte und seinen Vertrag demnächst bis 2012 verlängern wird, meint: „Auch wenn es altmodisch klingt – wir haben eine richtig gute Kameradschaft.“
Kießling braucht Nestwärme
Er selbst scheint diese Nestwärme zu benötigen, um Höchstleistungen zu bringen. Inzwischen kommt der Stürmer auf sechs Tore und darf sich wie der beeindruckend konstante Adler berechtigte Hoffnungen machen, noch die Teilnahme an der Europameisterschaft zu sichern.
Dabei galt der schnelle Angreifer zu seiner Anfangszeit in Leverkusen als umstritten. „Kießling ist das klassische Beispiel für einen Spieler, der einige Hänger hatte und sich dann komplett umgestellt hat“, sagt Völler. „Er war bei uns ein Spieler, der schon fiel, wenn es nur ein bisschen windig war. Deshalb haben wir ihn zur Seite genommen und gesagt: ,Pass mal auf, du musst dich ein bisschen umstellen.‘ Das hat er geschafft. Er ist zum Mann gereift.“
Drei Millionen Euro für die Talentförderung
Was sich auch daran ablesen lässt, dass Kießling inzwischen Vater geworden ist und Söhnchen Taylor-Joel als zusätzlicher Ansporn dient. Rechnen, sagt Skibbe, könne man mit einer derartig positiven Entwicklung nie. „Man kann nur darauf hoffen, dass die Spieler ihre Anlagen ausschöpfen.“ Das lässt sich Bayer einiges kosten: Drei Millionen Euro jährlich verschlingt die Talentförderung. Und der nächste Jungspund steht schon parat: Stürmer Richard Sukuta-Pasu, 17, sagen Experten einen ähnlich furiosen Werdegang wie Adler oder Castro voraus.
Auch für den Konzern rechnet sich das Geschäft mit den jungen Spielern. Mit 25 Millionen Euro per annum unterstützt die Bayer AG die Leverkusener Fußballabteilung, der Werbewert soll jenseits der 70 Millionen Euro liegen. Auch, weil gerade die Jungstars als veritable Imageträger fungieren. In anderen Sportarten wie Basketball funktioniert das nicht, weshalb Bayer sein Engagement dort beendet. Den Fluch der guten Tat sehen die Vereinsverantwortlichen gelassen: Dass Kießling & Co. Begehrlichkeiten geweckt haben bei anderen Klubs, sei völlig normal. Aber eigentlich wolle niemand weg, meint Völler. „Die fühlen sich hier alle pudelwohl.“