Bayer Leverkusen hat den Sprung zurück in die Spitzengruppe der Fußball-Bundesliga geschafft. Rudi Völler, einer der Macher beim aktuellen Meisterschaftsdritten, hat genaue Vorstellungen von der Zukunft unter dem Bayer-Kreuz: Der Sportdirektor spricht im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über Jugendstil, alte Schmach und Ärger mit Oliver Bierhoff. An diesem Sonntag will Leverkusen mit einem Sieg in Bochum die zweitplazierten Bremer weiter unter Druck setzen.
Was verbinden Sie mit der Zugspitze?
Wie ich schon in der Schule gelernt habe, ist das der höchste deutsche Berg.
Für die Fußball-Nationalelf steht die Zugspitze für die Hoffnung auf einen Gipfelsturm. Deshalb soll dort im Mai wohl der Kader für die Europameisterschaft bekanntgegeben werden.
Das kann man so machen oder auch nicht.
Fiebern Sie der EM denn nicht entgegen?
Natürlich freue ich mich auf gute Spiele unserer Elf. Je nach Lust werde ich mir das eine oder andere Spiel auch dort ansehen.
Bei der EM 2004 schied die von Ihnen und Michael Skibbe betreute Nationalelf schon in der Vorrunde aus. Sehen Sie das mit Abstand noch als große Schmach?
Sie glauben nicht, wie locker und gelöst ich das sehe. Dafür bin ich zu lange in diesem Geschäft. Wir sind mit bescheidenen Mitteln 2002 WM-Zweiter geworden, zwei Jahre später haben wir enttäuscht, aber eine Schmach - nein.
Seither haftet Ihnen aber auch das Image des unmodernen, behäbigen Fußballs an.
Das ist doch alles Quatsch. Um eine erfolgreiche offensive Spielphilosophie zu verwirklichen, ist die Grundvoraussetzung immer, dass gut ausgebildete und qualifizierte Spieler vorhanden sind. Ich halte es mit meinem alten Trainer Otto Rehhagel, der sagt: Modern ist, wenn du gewinnst.
Eine Genugtuung ist der Leverkusener Erfolg mit einer jungen, offensiv aufspielenden Mannschaft wohl trotzdem für Sie und Skibbe gegen all die Kritiker?
Überhaupt nicht - siehe vorherige Antwort. Ich habe mit Blick zurück nie Bitternis verspürt und sehe deshalb keine Genugtuung.
Was trauen Sie der Nationalelf beim Turnier im Sommer zu?
Ich bin sehr optimistisch. Die Gruppe ist nicht so schwierig wie 2004 oder 2000. Unser Team gehört zu den vier, fünf Favoriten.
Und Ihr Verein könnte mit Adler, Castro, Rolfes, Kießling, Schneider und Friedrich sechs Spieler für Deutschland dabei haben.
Wir sehen das sehr gelassen. Wir haben bei den vergangenen Länderspielen schon als Verein die meisten Spieler gestellt. Die Nationalmannschaft ist mit Leverkusener Spielern immer gut gefahren.
Wer hätte es von Ihren Spielern verdient, zur EM zu kommen?
Ich kenne das Geschäft. Als Vereinsverantwortlicher „singt“ man doch gerne seine eigenen Leute hinein. Davon halte ich aber nichts, und ich schätze, es hätte bei Joachim Löw auch keinen Sinn.
Zumal Sie zur Nationalelf nicht den engsten Draht haben und zuletzt mit Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff schwer aneinandergeraten sind wegen seiner Kritik an der Arbeit der Vereine.
Es gab Meinungsverschiedenheiten mit Oliver Bierhoff. Aber mit anderen DFB-Verantwortlichen arbeite ich hervorragend zusammen. Mit Wolfgang Niersbach (Generalsekretär) und Matthias Sammer (Sportdirektor) bin ich befreundet. Zu Joachim Löw (Bundestrainer), Hansi Flick (Assistenz-Trainer) und Andreas Köpke (Torwarttrainer) pflege ich sogar ein sehr gutes Verhältnis.
Sie rügten Bierhoff des permanenten „Sich-selbst-auf-die-Schulter-Klopfens“ und rieten ihm zum Arztbesuch. Wird es doch noch ein Friedensgespräch geben?
Das wäre doch sehr gekünstelt. Vielleicht reden wir mal darüber, wenn wir uns zufällig über den Weg laufen sollten. Aber was ich damals gesagt habe, dazu stehe ich heute noch. Solche Kritik zu üben, habe ich mir erarbeitet.
Dann vor dem Länderspiel gegen Österreich bemängelte Bierhoff, einige Spieler würden die EM-Mission zu leicht nehmen und müssten mehr dafür tun - auch mit Extratraining in ihren Vereinen.
Ich glaube, der Oliver wollte einfach mal wieder ein Thema setzen. Er ist ja clever. Unsere Nationalspieler absolvieren das Pensum, welches wir in Übereinkunft zwischen Trainer Michael Skibbe und unserem Sportwissenschaftler Holger Broich von der Uni Köln für richtig halten. Zusätzliches Training gibt es nur in Absprache mit dem Trainer. Alles andere wäre gefährlich und kontraproduktiv.
Wir hatten mal Stuttgart - jetzt steht Leverkusen für einen Modellversuch mit jungen deutschen Spielern. Funktioniert das nicht immer nur als kurze Übergangsphase - wie sehen Sie die langfristigen Erfolgsaussichten?
Viele Dinge, die wir geplant haben, funktionieren derzeit bei uns. Wichtig war, dass Wolfgang Holzhäuser als Geschäftsführer und ich Geduld bewiesen haben. Wir sind von unserer Strategie und von Michael Skibbe als Trainer überzeugt, für den es ja auch nicht immer rosig lief. Wir hatten einen finanziellen Umbruch, mussten den Spieleretat um die Hälfte senken. Im Sommer gaben wir dann acht Spieler bewusst ab, holten acht neue Spieler, um den Kader umzubauen und zu verjüngen. Wir wollen noch mehr auf den Nachwuchs schauen, mehr junge deutsche Nationalspieler ausbilden. Das ist natürlich immer ein kleines Risiko.
Weiß man denn immer, warum es in einer Mannschaft gut oder schlecht läuft?
Das Geschäft ist unkalkulierbar. Schauen Sie nach Nürnberg. Wer hätte dort vor einem Dreivierteljahr gedacht, dass Hans Meyer als Trainer entlassen würde. Den hätten die Leute doch zum Oberbürgermeister gewählt. Auch wir waren nicht sicher und haben uns gefragt: Passt das? Sind die Jungs stark genug? Es funktioniert.
Was überzeugt Sie besonders?
Jeder Verein in Deutschland träumt davon, den eigenen Podolski zu produzieren. Mit Adler und Castro haben wir gleich zwei herausgebracht.
Welcher Ihrer Spieler steht denn ganz besonders für die neue Zeit bei Bayer Leverkusen?
Das ist für uns Gonzalo Castro. Er gehört seit frühester Jugend zum Klub und verkörpert idealtypisch den Spieler, den man heute als Verein braucht: intelligent, schnell, technisch versiert, hochmotiviert, lernfähig, vielseitig einsetzbar.
Wenn Sie zurückdenken: Wie unterscheiden sich diese Spieler von Ihrer Spielergeneration?
Wir brauchten früher als Spieler noch echte Anleitung. Uns musste der Trainer antreiben und warnen, zum Beispiel am Wochenende ein Bier weniger zu trinken. Heute muss man das nicht mehr tun. Die heutige Generation musst du in ihren Bemühungen bremsen. Castro spielt immer, trainiert immer, will immer Vollgas geben. Das geht nicht, weil wir uns eigentlich immer in englischen Wochen befinden. Dann zu fordern, es müsste nebenbei noch mehr gemacht werden, geht im Grunde genommen nicht. Und wenn, dann nur in Absprache mit dem Trainerteam.
Michael Skibbe prophezeit, in ein bis zwei Jahren käme die Stärke dieser Mannschaft zur vollen Entfaltung, dann könnte man um den Meistertitel mitspielen.
Das ist alles nicht zu kalkulieren. Manchmal ist man aber zu solchen Aussagen gezwungen, gerade um den vielen jungen Nationalspielern eine Perspektive zu geben. Wir können in die Ferne schauen, aber müssen vor allem kurzfristig gewinnen und alles mitnehmen.
Über welche besonderen Fähigkeiten verfügt denn Michael Skibbe?
Er kann Alt und Jung verbinden. Er hat einen guten Draht zu den jungen Spielern aus seiner langjährigen Erfahrung als Jugendtrainer. Wir sind taktisch total offensiv ausgerichtet, spielen schnell, direkt und sind nach Bremen die Mannschaft mit den meisten Torchancen.
Wo wird sich Leverkusen in der Bundesliga einpendeln?
Die Dichte in der Bundesliga ist extrem. Und der Verdrängungswettbewerb hinter den Bayern ab Platz zwei wird wieder größer werden. Die ersten vier, fünf Klubs galten jetzt lange Zeit als zementiert. Das wird aufgebrochen; Klubs wie Frankfurt, Hannover, Wolfsburg, Dortmund oder Berlin kommen jetzt dazu. Ein Verein wie Hoffenheim mit besonderen finanziellen Möglichkeiten drängt bald auch nach vorne. Es wird immer mehr Vereine geben, die vor der Saison sagen, sie wollen in die Champions League und den Uefa-Pokal rein.
Das Gespräch führte Michael Ashelm.
Quelle: FAS