Barnetta exklusiv: Premier League ist mein Ziel
Für Tranquillo Barnetta gehört Deutschland zu den Favoriten
2002 wurde er schon einmal Europameister. Mit der Schweizer U-17 triumphierte Tranquillo Barnetta im Finale völlig überraschend über Frankreich. Wenn es nach Ottmar Hitzfeld und der Meinung vieler Experten geht, könnte der Nati im Juni eine ähnliche Überraschung gelingen. Im Exklusiv-Interview mit sportal.de sprach der 22-Jährige Mittelfeldspieler von Bayer Leverkusen über seine Ziele bei der EM, die Vorfreude auf die Türken, die Zukunft von Kollege René Adler und die Premier League.
sportal.de: Herr Barnetta, wer sind Ihre Top-Favoriten auf den EM-Titel?
Für mich sind das Deutschland, Italien und Frankreich.
sportal.de: Sind Sie jetzt nur nett oder glauben Sie wirklich, dass Deutschland, wie bei der WM, zu den Besten gehört?
Absolut. Die spielen ein gutes System, gehen mit Löw konsequent den Weg weiter, den sie unter Klinsmann eingeschlagen haben und gehören damit zu den Top-Mannschaften. Da können die Deutschen tiefstapeln wie sie wollen.
sportal.de: In welchem Rahmen haben Sie Anfang Dezember die EM-Auslosung verfolgt?
Wir saßen in Leverkusen mit der ganzen Mannschaft in der Kabine.
sportal.de: Haben Sie die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, als ausgerechnet die Türken in die Schweizer Gruppe gelost wurden?
Nein - im Gegenteil. Ich habe mich gefreut, dass wir wieder gegen sie spielen müssen. Ich habe es eigentlich sogar gehofft.
sportal.de: Wie kommt's? Das skandalöse WM-Qualifikationsspiel war doch alles andere als Werbung für den Fußball...
Das stimmt natürlich, aber ich denke, dass wir zu Hause einen leichten Vorteil haben werden. Ich habe nach der Auslosung mit Ludovic Magnin, Phillipp Degen und Marco Streller telefoniert und wir waren uns einig: Das Match ist eine gute Gelegenheit, das Geschehene vergessen zu machen. Es bringt doch nichts, die Szenen von damals immer wieder hochzukochen. Wenn wir nach einem fairen Spiel erneut als Sieger vom Platz gehen, ist die Welt in Ordnung.
sportal.de: Bevor Sie gegen die Türkei gewinnen können, steht gegen Tschechien das Eröffnungsspiel an. Wie wichtig ist diese Partie?
Sehr wichtig. Ein Sieg im ersten Spiel kann einem Rückenwind für das ganze Turnier geben. Tschechien ist allerdings ein dicker Brocken, aber wir werden alles tun, um einen Fehlstart zu vermeiden.
sportal.de: Bei der letzten EM holte Griechenland überraschend den Titel - das dürfte allen Außenseitern Hoffnung für die nächste Sensation machen...
Einer mit dem vorher niemand rechnet, kann es immer sehr weit bringen. Ich hätte natürlich nichts dagegen, wenn wir im Sommer die Außenseiterrolle Griechenlands übernehmen könnten.
sportal.de: Kommen Sie - die Schweiz ist doch mehr als nur ein Außenseiter.
Ne, ne. Es sind einige Teams dabei, die deutlich mehr zu bieten haben. Wir sollten realistisch bleiben und froh sein, wenn wir die Gruppenphase überstehen. Wenn die hinter uns liegt, ist natürlich einiges möglich, denn dann spielen die Fans im Rücken und auch Glück eine Rolle.
sportal.de: Im Viertel- oder Halbfinale könnte die Schweiz auf Deutschland treffen. Freuen Sie sich drauf?
Ich hätte nichts dagegen, denn das hieße ja, dass wir die Gruppenphase überstanden haben und nur das ist mein erstes, klares Ziel. Wie es dann genau weitergeht - damit befasse ich mich erst, wenn es soweit ist.
sportal.de: Ab dem Viertelfinale fällt die Entscheidung spätestens im Elfmeterschießen. Bei der WM habt ihr euch dabei gegen die Ukraine blamiert...
Das Thema ist abgehakt - obwohl ich zugeben muss, dass es mir speziell gegen Deutschland schon lieber wäre, nach der regulären Spielzeit als Sieger vom Platz zu gehen.
sportal.de: Ottmar Hitzfeld und andere trauen der Schweiz viel zu. Was muss passieren, damit Ihr Team einen perfekten Lauf findet?
Es muss uns - ähnlich wie den Deutschen bei der WM - gelingen, die Fans mit erfrischendem Fußball zu begeistern und dann von einer Euphoriewelle getragen zu werden. Was uns qualitativ zu den besten Teams fehlt, müssen wir durch Kampf und Teamgeist ausgleichen. Und vorne ist Alexander Frei wichtig. In den letzten Spielen haben uns seine Tore gefehlt - einen Knipser wie ihn können wir leider nicht ersetzen. Ich bin sehr froh, dass er seine Verletzung überwunden hat und hoffe er ist bei der EM in absoluter Topform.
sportal.de: Sie sprechen die Euphorie der WM 2006 an - was bedeutet Ihnen die EM im eigenen Land?
Sehr viel. Schließlich ist klar, dass es in meinem Profi-Leben nicht noch mal passieren wird, dass ich mich in der Schweiz vor unseren Fans bei so einem großen Turnier präsentieren kann. Das ist schon speziell und ich freue mich besonders auf Freunde und meine Familie, die hoffentlich möglichst oft im Stadion dabei sein werden.
sportal.de: Bekommen Sie als Spieler der Nati für den Bekanntenkreis Freikarten?
Das ist noch die Frage. Ich hoffe ich kann die Familie ausstatten, aber wie viele Tickets uns genau zur Verfügung gestellt werden, wissen wir noch nicht.
sportal.de: Erlaubt Ihnen der Trainer eigentlich während des Turniers den Kontakt zur Familie und zu Ihrer Freundin Sandra?
Bei den letzten beiden Turnieren hat Köbi Kuhn es erlaubt und ich fand das sehr angenehm. Nach Spielen durften wir die Familie und die Freundin zum Abendessen mitbringen und ich hoffe, dass sich an dieser Regel nichts geändert hat.
sportal.de: Wie haben Sie die EM 2004 in Erinnerung?
Für mich war das der Wahnsinn. Kurz vor der EM verletzte sich Johann Lonfat und so rutschte ich am Tag der Nominierungsfrist noch in den Kader. Auch wenn ich letztlich keine Sekunde gespielt habe - für mich als damals 18-Jährigen war es eine tolle Erfahrung.
sportal.de: Obwohl die Schweiz in der Vorrunde rausgeflogen ist?
Wir hatten mit Kroatien, England und Frankreich eine sehr schwere Gruppe und ich muss zugeben, wir hatten nicht viele Chancen. Natürlich hätte ich mich über einen Einsatz gefreut, aber wie gesagt - es hat mir auch so viel gebracht.
sportal.de: René Adler würde eine EM-Teilnahme sicher auch viel bringen. Können Sie verstehen, dass er die EM wahrscheinlich vom Sofa aus verfolgen wird?
Es fällt mir schwer, das zu verstehen. Er zeigt jedes Wochenende, dass er ein überragender Torwart ist. Allerdings muss man auch feststellen, dass ihr Deutschen im Tor ein Luxusproblem habt. Ich persönlich würde René die EM-Teilnahme natürlich gönnen, aber die anderen drei sind auch stark. Mit Blick auf die Zukunft wäre es aber sicher nicht falsch, auch einen jungen Keeper zu nominieren. Das fand ich auch bei uns gut. 2006 war Diego Benaglio noch als dritter Torwart bei der WM dabei, jetzt hat er sich zur Nummer 1 entwickelt.
sportal.de: Ich möchte gerne noch auf einen anderen Spieler ihres Teams eingehen. Auf Philippe Senderos von Arsenal London. Euch verbindet etwas besonderes...
...dass wir 2002 in Dänemark U-17 Europameister geworden sind?
sportal.de: Genau. Wie war das damals?
Das kann man nicht beschreiben. Wir haben vor Freude wie verrückt rumgeschrien und ich bin durchs Stadion gehüpft, wie noch nie. Der Erfolg kam so unerwartet - es war ein Wahnsinn. Philippe und ich werden in diesem Zusammenhang natürlich immer wieder gemeinsam erwähnt, aber wir haben in der Nationalmannschaft ohnehin eine parallele Entwicklung hinter uns. Er ist ja nur drei Monate älter als ich und so haben wir schon viele Lehrgänge und Länderspiele zusammen erlebt.
sportal.de: Könnten Sie sich vorstellen mit ihm im selben Verein zu spielen? Die EM ist keine schlechte Bühne, um sich z.B. für die Premier League zu empfehlen?
Die Premiere League ist tatsächlich für die Zukunft mein Ziel. Wir werden sehen, ob es dann England wird oder eine andere europäische Top-Liga wie Italien oder Spanien - jedenfalls träume ich davon, dass ich irgendwann die Chance kriege dort hinzugehen.
sportal.de: Haben Sie Kontakt zu Senderos und wie wichtig ist er für die Nati?
Wir stehen nicht täglich in Kontakt, aber bei der Nati reden wir viel zusammen. Er ist sehr wichtig für uns und hat besonders wegen seiner Champions-League-Erfahrung Führungsqualitäten.
sportal.de: Letzte Frage - Sie sammeln Trikots. Welches wollen Sie sich nach dem Länderspiel am Mittwoch sichern?
Ich lege mich nie vorher auf jemanden fest. Nur soviel: Mertesacker und Fritz habe ich schon.
Das Interview führte Patrick Kiefer