Bundesliga.de 03.04.08
"In der Mannschaft ist kein Quertreiber!"
Das 0:2 zu Hause gegen Eintracht Frankfurt hat bei Bayer Leverkusen vor dem UEFA-Pokal-Spiel gegen Zenit St. Petersburg nicht gerade das Selbstvertrauen gesteigert. Die Niederlage ist dennoch abgehakt - die volle Konzentration gilt der Aufgabe gegen den russischen Meister im Hinspiel des Viertelfinals. Der Club von Trainer Dick Advocaat hat nach drei Spieltagen der neuen Saison in Russland vier Punkte geholt. Unterschätzt darf der aufstrebende Club auf jeden Fall nicht. "Die Chancen aufs Weiterkommen stehen 50 zu 50", sagt Ulf Kirsten im bundesliga.de-Interview. Die Stürmerlegende von Bayer Leverkusen, der in 350 Bundesliga-Spielen 182 Tore erzielte, arbeitet heute als Cheftrainer der zweiten Mannschaft des Werksclubs.
bundesliga.de: Ulf Kirsten, Sie haben zum Ende der Saison 2002/03 ihre Karriere beendet und sind inzwischen Cheftrainer der zweiten Mannschaft von Bayer Leverkusen. Vermissen Sie noch den grünen Rasen oder haben Sie sich an die Trainerbank mittlerweile gewöhnt?
Ulf Kirsten: Ja, der Übergang war auch relativ reibungslos. Ich war ein Jahr Co-Trainer unter Klaus Augenthaler und habe zusammen mit Peter Hermann die Trainingsarbeit gemacht. Wir haben damals mit "Auge" sehr gut harmoniert und ich konnte mir auch etwas abschauen.
bundesliga.de: Dann kam der Wechsel zur zweiten Mannschaft?
Ulf Kirsten: Ja, auf Drängen von Rudi Völler und der Job bereitet mir auch sehr großen Spaß.
bundesliga.de: Ihr Team hat die zweitmeisten Tore der Oberliga erzielt. Kommt es dennoch manchmal vor, dass Sie manchmal mit dem Gedanken spielen, sich selbst einzuwechseln?
Ulf Kirsten: (lacht) Nein, nein. Das ist definitiv vorbei. Ich fühle mich sehr wohl an der Seitenlinie und ich freue mich auf die Arbeit. Wir haben eine sehr junge Mannschaft, die attraktiven und erfolgreichen Fußball spielt. Da macht es natürlich Spaß.
bundesliga.de: Nach ihrem Karriereende hatte man etwas Sorge um Bayer, was den Sturm angeht. Doch in Leverkusen hat man das sehr gut aufgefangen. Dimitar Berbatov spielt heute in England, aktuell stehen mit Stefan Kießling, Theofanis Gekas und auch Dimtri Bulykin drei Spieler im Kader, die gute Chancen auf ein EM-Ticket haben. Wie sehen Sie die aktuelle Lage im Bayer-Sturm?
Ulf Kirsten: Ich würde das gar nicht auf den Sturm reduzieren. Bayer hat insgesamt eine sehr junge und gute Mannschaft, die sicherlich noch Schwankungen unterliegt. Bayer hat gute Chancen auf einen Champions-League-Platz und das hat man der ganzen Mannschaft zu verdanken.
bundesliga.de: Die Stürmer spielen dennoch eine wichtige Rolle im System von Trainer Michael Skibbe.
Ulf Kirsten: Ja, wobei sie natürlich angewiesen sind, wie das Team dahinter arbeitet, wie die Zuspiele kommen. Unser Mittelfeld ist sehr gut aufgestellt und davon profitieren natürlich die Stürmer.
bundesliga.de: Bayer spielt einen anderen Fußball, als zu ihrer Zeit. Den "Typ Ulf Kirsten" gibt es nicht. Ein Stefan Kießling geht beispielsweise sehr weite Wege.
Ulf Kirsten: Kießling spielt nicht an der vordersten Spitze, er ist kein Keilstürmer und kommt mehr über die Flügel. Seine Stärken liegen darin, wenn er mit großem Tempo auf den Mann geht. Da sind Gekas und Bulykin mehr die Stürmer, die vorne drin stehen. Es ist positiv, dass alle drei Stürmer unterschiedlich sind. Dadurch wird man variabler und unberechenbarer.
bundesliga.de: Bayer spielt auch deswegen sehr erfolgreichen Fußball. Wo sehen Sie sonst die Gründe des guten Laufs?
Ulf Kirsten: Das Trainerteam und das Management hat eine Mannschaft zusammengestellt, die sehr gut funktioniert. In der Mannschaft ist kein Quertreiber, die Spieler harmonieren sehr gut miteinander und die Mischung aus Jung und Alt passt. Erfahrene Spieler wie Bernd Schneider, Carsten Ramelow und Sergej Barbarez führen die Mannschaft. Die "jungen Wilden" wie beispielsweise Gonzalo Castro und Tranquillo Barnetta sind so zu Nationalspielern gereift. Die Mannschaft ist hungrig.
bundesliga.de: Sehr starke Vorstellungen gab es vor allem im UEFA-Pokal. Auf dem Weg ins Viertelfinale wurden Teams wie Galatasaray oder Hamburg ausgeschaltet. Nun kommt St. Petersburg. Wie schätzen Sie die Chancen Bayers ein?
Ulf Kirsten: Die Chancen liegen bei 50 zu 50. Es ist ein leichtes Handicap, dass wir zuerst zu Hause spielen. Aber die Konstellation gab es auch gegen den Hamburger SV und wir sind weiter gekommen. Wenn alles optimal läuft, bin ich überzeugt, dass wir auch St. Petersburg schlagen.
bundesliga.de: Zenits Stärken liegen im Angriff: Progebnyak ist zusammen mit Luca Toni Torschützenkönig des UEFA-Cups. Andrej Arshavin ist russischer Nationalspieler und Fatih Tekke hat man in der Türkei schon mit Ihnen verglichen. Zu Hause gilt es kein Tor zu kassieren, aber auf der anderen Seite will Bayer ein positives Ergebnis für das Rückspiel herausholen. Wie sollte die Marschroute lauten?
Ulf Kirsten: Wir müssen gut stehen und möglichst zu Null stehen. Das ist das Wichtigste. Auch wenn es 0:0 ausgeht, ist das noch kein Beinbruch. Dass wir immer für ein Tor gut sind, haben wir gerade gegen den HSV bewiesen. Im Fußball ist alles drin und ich bin auch sehr optimistisch, dass es klappt. Eine Niederlage wäre natürlich fatal.
bundesliga.de: Bundesliga und UEFA-Pokal: Was ist für Bayer Leverkusen noch drin in dieser Saison?
Ulf Kirsten: Wir haben - wie viele andere Mannschaften auch - am Wochenende einen "Big Point" verschenkt, indem wir zu Hause verloren haben. Die Bundesliga ist kein Wunschkonzert. Der Letzte gewinnt auch schon mal gegen den Ersten. Unsere Zielsetzung heißt immer noch erneute Teilnahme am UEFA-Cup, doch meiner Ansicht nach ist auch die Qualifikation für die Champions League derzeit noch möglich. Ich würde mir wünschen, dass wir mindestens Dritter werden.
Das Gespräch führte Fatih Demireli