11.04.08, 15:10
Traditionsverein Darmstadt droht finanzielles Aus
Steueraffäre, Schuldenberg, Insolvenzantrag: Beim SV Darmstadt 98 geht es derzeit turbulent zu. Fans und Vereinsführung wollen das Ruder aber herrumreißen.
Von FOCUS-Online-Autor Florian Flaig
2001 spielte Darmstadt 98 im DFB-Pokal gegen St. PauliMit Jubiläen scheint der SV Darmstadt 98 kein Glück zu haben: 1998, 100 Jahre nach der Vereinsgründung, stürzte der Club sportlich ab und ist seitdem vornehmlich in der Oberliga aktiv. Pünktlich zum 110. Jubiläum dieses Jahr folgt der finanzielle Tiefpunkt: Am 12. März 2008 stellte der Traditionsclub wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung einen Insolvenzantrag. Die sportliche und finanzielle Zukunft der Hessen ist damit ungewiss.
Aufstieg 1981
Lange ist es her, dass Anhänger der sogenannten Lilien den Torjäger Horst „Hotte“ Neumann durch die Straßen von Darmstadt trugen. Damals, nach einem 4:0-Sieg gegen den SC Freiburg im Jahre 1981, stieg Darmstadt zum zweiten Mal in die Fußball-Bundesliga auf. Der Stürmerstar Neumann war mit 27 Toren in dieser Saison maßgeblich an einem der größten Erfolge der Vereinsgeschichte beteiligt.
Doch bereits knapp zwei Jahre später war die Euphorie der Ernüchterung gewichen: Die Hessen waren mittlerweile wieder in die 2. Liga abgestiegen und hatten einen Schuldenberg in Höhe von 8,2 Millionen Mark angehäuft. Fortan wurde Wirtschaftlichkeit zur obersten Maxime des Vereins, der unbedingte sportliche Erfolg trat in den Hintergrund. Die Schulden gänzlich abbauen konnte der SV Darmstadt trotzdem nicht. Zusätzlich begann der sportliche Abstieg, der erst in der Oberliga endete – bis jetzt. Denn sollte tatsächlich ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, müssten die Hessen zwangsweise in die Landesliga absteigen.
Spieler als Minijobber gelistet
Die aktuell 1,1 Millionen Euro, die der Verein zu zahlen hat, haben zusätzlich noch einen faden Beigeschmack: Das ehemalige Präsidium des Vereins soll Steuern und Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen haben. Während die Spieler nur einen Teil ihres tatsächlichen Gehalts offiziell bei Darmstadt bezogen, waren sie bei anderen Firmen als Minijobber gelistet. Dort arbeiteten sie zwar nie, bekamen aber auf diesem Wege – am Fiskus vorbei – den Rest des Gehalts ausgezahlt. Mit diesem Modell hinterzog der Verein aus Sicht des Finanzamtes Darmstadt Steuern und Sozialabgaben in Millionenhöhe.
Lebenslang für 20 000 Euro
Kein leichtes Erbe also für das neue Vereinspräsidium um Hans Kessler, das seit September 2007 im Amt ist. Vor allem, da Hauptsponsor Wella den Verein wegen der drohenden Insolvenz nicht weiter unterstützt. fehlen weiter 50 000 Euro in der Kasse. Derzeit unternimmt die Clubführung alles, um die drohende Insolvenz abzuwenden. Fans können zahlreiche Treuepakete erwerben, um die Lilien zu unterstützen. Für knapp 200 Euro erhalten Anhänger ein Jahr lang die Mitgliedschaft im Verein und Karten für die Heimspiele der kommenden Saison. Wer das hundertfache bezahlt, also knapp 20 000 Euro, wird lebenslanges Mitglied im Verein und hat genauso lang einen festen Platz auf einem gepolsterten und mit dem eigenen Namen versehenen Sitz auf der Tribüne sicher. Laut Präsident Kessler sollen die Pakete Fans ansprechen, „die emotional mit dem Verein verbunden sind“. Die Aktion laufe bisher gut.
Zusätzlich erhält der Verein Rückendeckung von seinen prominenten Fans. Unter anderem sagten Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und FOCUS-Chefredakteur Helmut Markwort ihre Unterstützung zu. Bayer Leverkusen indes sagte die Teilnahme an einem Freundschaftsspiel zu, das zusätzlich Geld in die Kassen der Lilien spülen soll. Denn um eine Insolvenz zu verhindern, müssten die 1,1 Millionen Euro Schulden bis Ende Mai getilgt werden. Präsident Kessler wähnt den Verein nach dem Zuspruch auf einem guten Weg: „Wir wissen nicht, ob wir das Ufer letztlich erreichen, ein gutes Stück haben wir aber schon hinter uns.“
Langfristige Planung statt einmalige Finanzspritze
Auch unter den Fans ist die Stimmung grundsätzlich positiv. „Seitdem Insolvenz angemeldet wurde, kommen wieder mehr Leute ins Stadion“, sagt Roland Förster, Anhänger des SV Darmstadt und Besitzer einer Fanseite im Internet. Viele seiner Bekannten hätten sich dazu entschlossen, die Lilien auch finanziell zu unterstützen. „Einige möchten eines der Pakete kaufen, die Mitgliedschaft und Eintritt ins Stadion bieten“, sagt Förster. Auch sonst habe der Insolvenzantrag viele wachgerüttelt: „Die Fans bekennen sich zu den Lilien“, meint Förster. Ähnliches bestätigt auch Vereinspräsident Kessler.
Trotzdem macht er klar, dass Darmstadt nicht nur auf die derzeitige Hilfsbereitschaft setzt. Um die Insolvenz abzuwenden, sei es auch nötig, eine solide Finanzierung für die Zukunft aufzustellen. „Es bringt nichts, wenn wir es mit hängender Zunge schaffen, die Schulden abzubauen, und in der nächsten Saison das gleiche Problem wieder haben“, sagt Kessler. Deshalb bittet der Verein nicht nur die Fans um Mithilfe, sondern auch Unternehmen aus dem Landkreis. Damit möchte Kessler eine dauerhaft stabile Finanzierung des Vereins erreichen. Mit dem Zwangsabstieg will sich das Präsidium indes nicht befassen. Denn sportlich sieht es derzeit gar nicht mal so schlecht aus: In der Oberliga Hessen steht der SV Darmstadt 98 derzeit auf Platz eins mit 13 Punkten Vorsprung auf einen Nicht-Aufstiegsplatz.