Kirsten: "Gomez ist Stürmer Nummer eins"
In dieser Woche fällt die Entscheidung, welche deutschen Kicker mit zur Europameisterschaft dürfen. Bei den Stürmern hat sich Bundestrainer Joachim Löw auf das Quartett Mario Gomez, Miroslav Klose, Lukas Podolski und Kevin Kuranyi bereits festgelegt, aber ein fünfter Platz ist noch frei. Ulf Kirsten, einer der besten deutschen Stürmer aller Zeiten, erklärt im großen t-online.de Interview, warum er Stefan Kießling einen Platz im Team wünscht, wieso das DFB-Team auf Mario Gomez hoffen kann und aus welchem Grund Nationalstürmer Kevin Kuranyi ihn in dieser Saison enttäuscht hat.
t-online.de: Am 16. Mai wird der Bundestrainer den EM-Kader benennen. Wer bekommt den noch freien fünften Platz im Angriff?
Ulf Kirsten: Ich persönlich würde sagen, Stefan Kießling hat‘s verdient. Nicht, weil er aus meinem Verein kommt. Er hat sich gut entwickelt und eine wirklich tolle Saison gespielt, trotz der Roten Karte zuletzt gegen Hertha.
Welche Fakten sprechen für Kießling?
Er kann alle Positionen spielen - Mittelstürmer, rechts, links oder sogar hinter den Spitzen. Er hat dazugelernt und die Härte angenommen, die in der Bundesliga gefordert wird. Er behauptet Bälle, ist torgefährlich und international erfahren: Leverkusens Erfolge im UEFA Cup in dieser Saison gehen größtenteils auf seine Kappe.
Wer sind die schärfsten Konkurrenten?
Oliver Neuville und Patrick Helmes haben in der Zweiten Liga mehr als überzeugt. Oliver hat 15 Tore geschossen, Patrick sogar 17. Das spricht Bände. Beide Stürmer sind sehr dynamisch, international ein Plus. Außerdem konnten sie sich mangels Europacup-Auftritten weitgehend auf die Liga konzentrieren und dürften daher frischer sein. Trotzdem bleibt mein Favorit Stefan Kießling.
Neuville ist schon 35 Jahre alt, hat aber große Erfahrung. Was wiegt schwerer?
Der Olli hat ja schon alles mitgemacht. Er hat WMs und EMs gespielt, Champions League und UEFA Cup. Daher wäre er mit seiner Riesenerfahrung eine große Hilfe. Der fünfte Mann wird außerdem kein Stammspieler sein, sondern der Joker, der in den letzten 20 Minuten ein Spiel drehen soll. Das wird der Bundestrainer bei der Auswahl sicher berücksichtigen. Mit Olli habe ich viele Jahre gespielt, ich würde ihm die EM-Teilnahme gönnen.
Sehen Sie noch einen Überraschungskandidaten wie Odonkor bei der WM 2006?
Im Moment nicht, aber beim DFB sind sie ja für Überraschungen gut und vielleicht haben sie noch einen Stürmer in der Pipeline, der von uns allen nicht so gesehen wird.
Zur Top-Vier der Stürmer: Wem gebührt ein Platz in der Startelf?
Für mich ist Mario Gomez zurzeit der überragende Mann. Der bringt fast alles mit, was ein Stürmer braucht. Er ist schnell, ballsicher, kopfballstark und torgefährlich. Einen so kompletten Spieler wünscht sich jeder Trainer. Nicht umsonst wird Gomez von halb Europa gejagt. Mario ist Deutschlands Stürmer Nummer eins. Miroslav Klose kommt ganz dicht dahinter, obwohl er gerade eine schwierige Phase durchmacht beim FC Bayern, auch mit der einen oder anderen Verletzung. Aber in WM-Form wäre er mit Gomez gleichzusetzen. Nur aufgrund des kleinen Formtiefs würde ich ihn an Nummer zwei einstufen.
Was muss geschehen, damit wir Klose wieder wie bei der WM zaubern sehen?
In Phasen, in denen es im Verein nicht so läuft, kann es schon reichen, in ein anderes Umfeld zu kommen, andere Gesichter zu sehen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass manche Spieler in der Nationalelf ihr wahres Leistungsniveau wiederentdecken. Auch Klose kann das schaffen. Für das DFB-Team wäre das Gold wert.
Muss Klose egoistischer sein? Lässt er sich beim FC Bayern vielleicht zu sehr die Show von Luca Toni stehlen?
Luca Toni ist der absolute Brecher und Klose spielt ein bisschen hintenrum, ja. Aber es zeichnet ihn gerade aus, Tore nicht nur selbst zu erzielen, sondern auch aufzulegen - acht Mal schon in dieser Saison in der Liga. Er braucht sich nicht hinter Toni zu verstecken. Dank dieses Duos ist der FC Bayern souverän Meister und Pokalsieger geworden. Sie haben toll harmoniert. Wir bei Bayer mussten das schmerzlich erleben. In zwei Spielen hat Toni drei Tore gegen uns gemacht, zwei davon nach Klose-Pass. Wenn die Selbstsicherheit zurückkommt, macht Miro wieder seine Treffer.
Lukas Podolski scheint auf der Zielgeraden dieser Saison wieder die Kurve gekriegt zu haben. Wie sehen Sie das?
Auf jeden Fall hat er das Vertrauen des Bundestrainers. Podolski kommt bei den Bayern nur schwer an Toni und Klose vorbei, da ist ja auch ein Leistungsunterschied zu sehen. Trotzdem wird er seine Spiele bei der EM machen, ob als Joker oder von Anfang an lassen wir mal offen. Es kann sich ja immer schnell jemand verletzen. Podolski hat längst seine Qualitäten auf internationaler Ebene bewiesen.
Ist es eine Alternative, Podolski ins linke Mittelfeld zurückzuziehen, wie Löw es erfolgreich in der EM-Qualifikation gegen Zypern getestet hat?
Nein, das ist nicht seine Position. Zypern ist keine Fußball-Weltmacht. Im Spiel danach gegen Wales war das Experiment ja schon nicht mehr so gelungen.
Wie schätzen Sie Kevin Kuranyi ein?
Hm, diese Saison hat er mich eigentlich enttäuscht. Kuranyi bringt so viele Talente mit, aber in dieser Spielzeit hat er sein Potenzial nicht ausschöpfen können. Selbst wenn er gegen Cottbus vier Tore erzielt und danach die Partie in Hamburg entschieden hat. Seine Leistungsschwankungen sind mir einfach zu groß. Ich kann es natürlich nicht so gut beurteilen wie der Bundestrainer. Aber in den Partien, die ich gesehen habe, hat er mich nicht überzeugt. Nicht weil er schlecht gespielt hätte, das passiert jedem mal. Aber aufgrund der Art und Weise, wie er sich teilweise hat hängen lassen: Als Nationalspieler muss man sein Team mitreißen, auch wenn es nicht so läuft.
Wer ist ihr Lieblingsstürmer zurzeit - auch international gesehen?
Wie gesagt, ich halte sehr viel von Mario Gomez.
Was kann die deutsche Mannschaft bei der EM erreichen?
Das Ziel sollte der Titel sein. Ganz klar. Die Mannschaft ist top, und Spieler wie Ballack und Frings stoßen nach ihren Verletzungen wieder zum Team. Im Augenblick gibt es für mich keine bessere Mannschaft. Für mich gibt es nur: Europameister Deutschland.
quelle: t-online