Sport1.de, 15.06.08
Frankreich wittert Wettbewerbsverzerrung
Basel - Die Nerven in der "Todesgruppe" C sind zum Zerreißen gespannt. Am Dienstag steigt die Neuauflage des WM-Endspiels von 2006. Und das unter überraschenden Bedingungen. Nach dem bereits feststehenden Gruppensieg der Niederlande, ist klar: Entweder scheidet Weltmeister Italien oder Vize-Weltmeister Frankreich aus. Eventuell erwischt es sogar beide.
Italien könnte zudem nach dem mageren 1:1 (0:0) gegen Rumänien als erster Weltmeister in die Geschichte eingehen, der bei einer EM-Endrunde bereits in der Vorrunde scheitert. Sollte Oranje am abschließenden Gruppenspieltag am Dienstag Rumänien unterliegen, müssten sowohl die "Squadra Azzurra" als auch die "Equipe Tricolore" selbst im Falle eines Sieges im direkten Duell die Heimreise antreten. Lachender Dritter wären dann die Rumänen.
Angst vor dem Absturz
Trainer Roberto Donadoni muss für den "worst case" mit seiner Ablösung rechnen. Besser als die "Gazzetta dello Sport" am Sonntag hätte man die Situation nicht beschreiben können. "Dies ist keine EM, sondern eine Free-Climbing-Wand. Wir arbeiten uns aus Angst vor dem Absturz von einem Stützpunkt zum anderen", kommentierte die Sporttageszeitung die ernüchternden Auftritte gegen die Niederlande (0:3) und am Freitag gegen die Rumänen.
Skepsis bei Domenech
Wird die Neuauflage des WM-Finals von Berlin also zu einem Muster ohne Wert? "Wir müssen schon sehr optimistisch sein, um zu glauben, dass die Niederländer Rumänien schlagen werden", sagte Frankreichs Trainer Raymond Domenech: "Sie werden andere Spieler einsetzen und auch nicht mehr mit der gleichen Energie spielen." Bei einem Weiterkommen Rumäniens würde den Niederlanden ein mögliches erneutes Aufeinandertreffen mit Italien oder Frankreich im Halbfinale erspart bleiben.
"Glaube an Fairness"
Der französische Verbands-Präsident Jean-Pierre Escalette geht jedoch nicht davon aus, dass Oranje mit diesem Hintergedanken in das Spiel gehen wird: "Ich glaube an die sportliche Fairness der Niederländer. Sie haben eine riesige Euphorie entfacht, da kann man nicht einfach sagen, jetzt lassen wir die Rumänen gewinnen."
Van Basten macht Hoffnung
Trainer Marco van Basten kündigte an, dass auch ein mögliches B-Team nicht mit angezogener Handbremse spielen würde: "Wir müssen nicht gewinnen. Aber wir haben eine Verpflichtung den Fans gegenüber." Nur die Italiener würden bei einem eigenen Remis noch Chancen auf das Weiterkommen haben: Im Falle einer hohen Niederlage der Rumänen im Parallelspiel, abhängig von der Anzahl der erzielten Tore in beiden Spielen.
"Dafür werden wir alles geben"
Italiens "Commissario tecnico" Roberto Donadoni lassen all diese Gedankenspiele kalt. "Ich denke nicht über das andere Spiel nach", sagte er. "Ich befasse mich nur mit unserem Spiel gegen Frankreich. Was auch immer dort passiert, es wird passieren. Wir haben mit einem Sieg gegen Frankreich die Chance auf das Viertelfinale, dafür werden wir alles geben."
Van Basten "ehrlich und korrekt"
Allen Spekulationen schob er einen Riegel vor: Sein alter Kumpel aus gemeinsamen Milan-Zeiten van Basten sei "ehrlich und korrekt". Und Teammanager Gigi Riva warnte: "Begebt euch nicht in die Opferrolle, das ist gefährlich!" Die Hoffnungen der französischen Spieler auf das Weiterkommen scheinen geringer.
Revanche fürs WM-Finale
Für Claude Makelele ist das EM-Aus schon so gut wie besiegelt. "Wenigstens können wir uns noch an Italien rächen. Wenn wir schon ausscheiden, dann erhobenen Hauptes", so der Routinier vom FC Chelsea über eine mögliche Revanche nach dem verlorenen Endspiel der WM 2006 mit dem legendären Kopfstoß Zinedine Zidanes gegen Marco Materazzi. Und die Sporttageszeitung "L'Equipe" ist sich sicher: "Jetzt hilft nur noch beten." Für die Fans ist diese Konstellation natürlich ein Highlight, und auch Domenech stellt demonstrativ seine Vorfreude zur Schau: "Ich kann es kaum noch erwarten. Dieses Spiel hat alles, was man für einen dramatischen Abend braucht. Wir könnten eine glanzvolle Leistung zeigen, das Spiel gewinnen und trotzdem am Ende Tränen in den Augen haben."