Interview mit Ex-Teamchef Rudi Völler
Was gegen Holland beim 1:1 hoffnungsvoll begann, endete gegen Lettland (0:0) und Tschechien (1:2) im Desaster. Deutschland schied 2004 in Portugal nach der Vorrunde aus, Teamchef Rudi Völler (48) zog die Konsequenzen und trat zurück. Der kicker sprach mit ihm über damals und heute.
kicker: Herr Völler, wenn sie vier Jahre zurückdenken - woran denken Sie da?
Rudi Völler: An verpasste Ziele, ganz nüchtern. Dass durch zwei enttäuschende Spiele eine Konstellation entstand, die Konsequenzen erforderte. Der Rücktritt war, im Hinblick auf die Stimmung vor der WM 2006, der einzige Schluss, den ich ziehen konnte.
kicker: Und 2008? Spüren Sie das EURO-Fieber steigen?
Völler: Ich freue mich auf das Turnier, allerdings mit der gebotenen Distanz. Die Arbeit für den Klub geht vor, wir müssen sehen, dass es hier weitergeht.
kicker: Was trauen Sie Deutschland zu?
Völler: Die Mannschaft gehört zu den vier besten und wird ins Halbfinale kommen. Ab dort entscheidet die Tagesform.
kicker: Ist die EURO das "härteste Turnier der Welt"?
Völler: Der Unterschied zur Weltmeisterschaft ist, dass in den Gruppenspielen der klassische Exot fehlt. Du musst sofort 100 Prozent abrufen. Ab der K.-o.-Runde ist das Niveau bei einer WM höher. Wenn Brasilien und Argentinien eingreifen, wird es für jeden Gegner richtig happig. Die sind immer gut für den Titel.
kicker: Gab es für Sie Überraschungen in Joachim Löws Nominierungs-Lotto?
Völler: Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, jemanden auszuladen, der eigentlich sicher dabei war. Mir ging es vor vier Jahren mit Olli Neuville so. Das war hart. Und die Streichung von Timo Hildebrand sicherlich ebenso.
kicker: René Adler profitierte, viele sehen in ihm den stärksten deutschen Keeper. Soll er schon bei der EURO ins Tor?
Völler: Die Frage stellt sich nicht, Jens Lehmann ist die Nummer eins. Aber René ist aufgrund seiner Klasse immer in der Lage, ins kalte Wasser zu springen.
kicker: Den kalten Schweiß trieb den Fans zuletzt Christoph Metzelders Formtief auf die Stirn. Wird er rechtzeitig fit?
Völler: Ich habe nur ganz wenige Spieler kennengelernt, die so selbstkritisch, offen und ehrlich mit sich umgehen wie er. Er weiß, was er zu tun hat und wird sich in Form bringen. Davon bin ich überzeugt!
kicker: Wer soll im Sturm spielen?
Völler: Da haben wir doch ein Luxusproblem. Und wer im ersten Spiel auf der Bank sitzt, soll sich nicht hängen lassen. So ein Turnier dauert lange. 1988 bei der EURO in Deutschland saß Marco van Basten im ersten Spiel draußen und im letzten war er dann Europameister und der König von Holland.
kicker: Kann Podolski links spielen?
Völler: Das ist eine gute Option. Auch als Wechsel im Spiel.
kicker: Michael Ballack präsentiert sich stark. Kann das "sein" Turnier werden?
Völler: Auf jeden Fall! Michael ist bärenstark, vielleicht auch wegen seiner langen Verletzungspause. Der Akku ist voll. Er schießt immer noch die wichtigen Tore. Er ist, wie bei den Turnieren 2002 und 2006, unsere Symbolfigur. Michael kann Deutschland zum Titel führen.
Interview: Frank Lussem