11. Juni 2008 Bernd Strauß ist Heimvorteilsforscher. Der Professor für Sportpsychologie an der Universität Münster hat in seinem Buch mit dem großartigen Titel „Wenn Fans ihre Mannschaft zur Niederlage klatschen“ nachgewiesen, dass die Unterstützung von Fans nicht unbedingt einen Vorteil bringt. Der 49 Jahre alte Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) kann also erklären, weshalb die Gastgeberländer Schweiz und Österreich ihre Auftaktspiele gegen Tschechien und Kroatien nicht gewonnen haben und in ihren zweiten Spielen ebenfalls gegen erhebliche Widerstände ankämpfen.
Herr Strauß, warum haben die Gastgeberländer Schweiz und Österreich trotz des Heimvorteils verloren!
Die einfachste und beste Erklärung ist zunächst: Sie besitzen eine zu geringe Leistungsstärke und haben gegen favorisierte Gegner gespielt.
Aber genau dann soll doch der Heimvorteil helfen! Oder bringen die Anfeuerungsrufe der Fans nichts?
Es ist nur eine Mär, dass die Fangesänge einer Mannschaft einen Heimvorteil bringen. Wir und auch andere Forschergruppen haben wissenschaftlich nachgewiesen, dass dieser vermeintliche Vorteil der Fanunterstützung nicht hilft.
Es gibt also gar keinen Heimvorteil?
Doch, natürlich, aber: Es gibt keinen Vorteil durch Unterstützung von Fans. Die Anwesenheit von vielen Zuschauern, die ein Team unterstützen hemmt eher. Im Fußball spielt das Psychologische eine große Rolle. Wenn einem nun 50.000 Menschen erwartungsfroh zuschauen, dann rennt man vielleicht mehr, weil man dann anstrengungsbereiter ist. Mental ist das dann aber eine Last, die hemmt. Das ist genauso, wenn Ihnen beim Schreiben fünf Leute über die Schultern schauen, dann schreiben sie im Zweifel gehemmt und schlecht.
Aber die Statistik weist aus, dass Heimmannschaften, auch bei großen Turnieren, öfter gewinnen.
Das ist richtig, liegt aber an anderen Faktoren. Zum einen werden Turniere eher von großen Fußballnationen veranstaltet, die nun mal leistungsfähiger sind. Zum anderen werden Gastgeber gesetzt und treffen deshalb tendenziell eher mal auf einen schwachen Gegner. Bei Weltmeisterschaften ist das sehr extrem, deshalb scheidet dort selten eine Heimmannschaft in der Vorrunde aus. Bei einer Europameisterschaft wie jetzt sind die Teams indes so ausgeglichen, dass dieser Vorteil nicht so schwer wiegt. Deshalb bringt der Heimvorteil den Österreichern schon mal gar nichts, weil sie an sich viel leistungsschwächer sind als andere Mannschaften.
Wenn Heimfans Druck erzeugen, sollen die Fans von Österreich und Schweiz dann nun besser zuhause bleiben?
Nein, das wäre natürlich Unsinn. Die Trainer können nur versuchen, mit professioneller psychologischer Hilfe einen Heimvorteil zu erarbeiten. Wenn die Spieler daran glauben und dies prinzipiellen Realitätsgehalt hat, dann hilft das schon weiter. Klinsmann hat dies mit seinem professionellen Unterstützerteam 2006 auch geschafft.
Klinsmann wollte damals ja auch in roten Trikots spielen. Wie sehen Sie als Sportpsychologe diesen Ansatz, wo ja bislang gleich drei rot gekleidete Teams, Schweiz, Österreich und Polen verloren haben.
Das mit den roten Trikots ist wirklich interessant. Es gibt Studien, die belegen, dass rote Hemden tatsächlich einen Vorteil in Situationen ähnlicher starker Athleten bringen. Bei Kampfsportarten, in denen vor dem Kampf ausgelost wird, wer Rot tragen darf, gibt es signifikant mehr Siege für die Roten. Norbert Hagemann, Jan Leißing und ich haben hier in Münster gerade eine Studie fertig gestellt, die zeigen kann, dass ein wesentlicher Grund bei den Schiedsrichtern liegt, die Rot als Signalfarbe wahrnehmen.
Das erklärt, weshalb Gottfried Dienst und sein Linienrichter Tofik Bachramov 1966 Englands Wembley-Tor gegeben haben. Aber es gab auch bislang nur zwei Europameister in roten Hemden, die Tschechoslowakei 1976 und Dänemark 1992.
Nur das Überziehen des roten Trikots reicht ja nicht zum Siegen. Sie können nur möglicherweise den Ausschlag geben bei gleichwertigen Mannschaften oder Athleten. In Europa spielen nun erstaunlicherweise die klassischerweise starken Mannschaften wie Deutschland, Italien, Frankreich oder England normalerweise nicht in Rot. Das Fußballland Spanien als beste rote Mannschaft ist ja als Nationalmannschaft traditionell eher schwach.
In den K.O.-Spielen könnte Deutschland auf Rot wechseln müssen...
Das könnte dann vielleicht ein kleiner Vorteil für Deutschland sein, wenn Ballack und Co. auf einen starken Gegner treffen.
Das Gespräch führte Daniel Meuren
Quelle: FAZ.net