Nach einer hervorragenden Spielzeit bei Bayer 04 wurde René Adler am Tag vor dem letzten Saisonspiel belohnt. Bundestrainer Joachim Löw nominierte den 23jährigen für die Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich und das obwohl Adler bisher noch kein einziges Länderspiel absolviert hat.
Als Nummer drei im deutschen Tor wird Adler auch beim zweiten Gruppenspiel gegen Kroatien von der Bank aus die Daumen drücken. Im exklusiven Interview mit DFB.de spricht Adler über seine Eindrücke aus dem Kreis der Nationalmannschaft, seine Ziele für die Zukunft, seine Vorbilder und den engen Kontakt zu seinen Eltern.
Frage: Herr Adler, ohne ein Länderspiel absolviert zu haben, nehmen Sie an Ihrer ersten Europameisterschaft teil. Befürchten Sie manchmal, dass das alles nur ein Traum sein könnte?
Rene Adler: Ich habe nicht das Gefühl, gleich aus einem wunderschönen Traum aufzuwachen, das habe ich nicht. Ich lebe nach der Denkweise, dass ich mir nach meiner schweren Verletzung vor anderthalb Jahren alles sehr hart erarbeitet habe. Menschlich, wie sportlich war das eine entscheidende Phase für meine Karriere.
Frage: Was erwarten Sie sich jetzt von dieser Europameisterschaft?
Adler: Wir haben als Team ein großes Ziel vor Augen...
Frage: Was können Sie als Neuling dazu beitragen?
Adler: Jeder einzelne Spieler in unserem Team, vom Kapitän bis hin zur Nummer 23, hat seine Aufgabe und jeder ist ein wichtiger Baustein für die Mission "Titelgewinn". Und der ist meiner Meinung nach auch möglich, wenn alles passt.
Frage: Wie beurteilen Sie Ihre Perspektiven?
Adler: Ich freue mich zunächst einmal über meine EM-Nominierung und damit darüber, dass ich in diesem Kader dabei bin. Ich versuche, in jedem Training meine Leistung abzurufen und damit dazu beizutragen, dass wir uns als Mannschaft weiter entwickeln. Alles andere liegt nicht in meiner Hand.
Frage: Wie beurteilen Sie Ihren Stellenwert im Trio Jens Lehmann – Robert Enke – Rene Adler?
Adler: Ich werde nie über die Medien irgendwelche Ansprüche stellen oder gar irgendetwas einfordern. Das entspricht nicht meinem Naturell.
Frage: Zwischen Stammspielern und Ersatzleuten herrscht häufig ein unterkühltes Klima. Wie empfinden Sie das bei der Nationalmannschaft?
Adler: Wenn Sie jetzt vielleicht an die WM 2006 denken, dann war das zwischen Jens Lehmann und Oliver Kahn sicher eine ganz besondere Situation, die mit der heutigen in keiner Weise zu vergleichen ist. Das Verhältnis zwischen Jens, Robert und mir empfinde ich als sehr kollegial. Dass Jens bei uns zurecht die klare Nummer Eins ist, weil er als Führungsspieler extrem wichtig fürs Team ist, das steht auch für mich persönlich außer Frage.
Frage: Spricht der Bundestrainer darüber mit Ihnen?
Adler: Wie schon gesagt, jeder Spieler im Kader ist wichtig und wird auch so von den Verantwortlichen behandelt. Ich bin ja hier kein Tourist! Und der Trainer weiß genau, dass er im Laufe des Turniers nicht nur elf Spieler braucht. Er überlässt nichts dem Zufall und führt unter anderem auch viele Einzel-Gespräche.
Frage: Denken Sie schon manchmal an die WM 2010 in Südafrika?
Adler: Darüber mache ich mir hier und heute überhaupt keine Gedanken. Alles, was über die EM hinausgeht, muss man abwarten. Leistung ist und bleibt dabei das einzig und allein entscheidende Kriterium.
Frage: Wie beurteilen Sie die Fachsimpeleien um die neue Nummer eins, falls Jens Lehmann nach der EM aufhört?
Adler: Wie gesagt, es ist nicht meine Art, öffentlich etwas einzufordern. Ich bin hier, um zu lernen, und stolz, überhaupt dabei sein zu dürfen. Ich genieße das und sehe es als Teil meiner Entwicklung. Dass ich später im Kampf um die Nummer eins auch ein Wörtchen mitreden möchte, ist doch nur normal. Mein Ehrgeiz ist jedenfalls groß.
Frage: Sie sagen, Sie wollen lernen. Was haben Sie in den vergangenen drei Wochen bereits gelernt?
Adler: Natürlich sind das für mich ganz neue Impressionen, obwohl ich in allen Jugend-Nationalmannschaften bis einschließlich der U 21 gespielt und mir zudem in der Bundesliga einen Stammplatz bei Bayer Leverkusen erkämpft habe. Die Nationalmannschaft aber ist in jeder Hinsicht, ob es nun das Medieninteresse ist oder die Organisation, noch einmal etwas ganz anderes. Hier ist alles hoch professionell durchgeplant, und uns Spielern wird vieles abgenommen, so dass wir uns ganz auf unsere Leistung konzentrieren können. All diese Eindrücke wollen aber auch erst einmal verarbeitet sein.
Frage: Wie wichtig ist es dann in einer neuen Umgebung, dass mit Simon Rolfes auch ein Kollege aus dem Klub im Aufgebot steht?
Adler: Ich freue mich sehr für Simon, und es ist auch für den Verein eine Bestätigung, dass das Konzept mit jungen Spielern zu arbeiten trotz der sportlichen Rückschläge in der Schlussphase der Saison weit vorangekommen ist. Mit Michael Skibbe haben wir einen Weg eingeschlagen, den es jetzt auch unter dem neuen Trainer Bruno Labbadia weiter zu verfolgen gilt.
Frage: Konnten Sie die Trennung von Skibbe nachvollziehen?
Adler: Zu diesem Thema ist schon viel geschrieben worden. Ich bin jetzt bei der Nationalmannschaft, und ihr sollte nun zunächst meine ganze Konzentration gelten...
Frage: ...dennoch werden gerade Sie eine Meinung dazu haben.
Adler: Michael Skibbe wird in der Tat immer eine ganz besondere Rolle in meiner Karriere einnehmen. Er hat mir nach nur einem guten Spiel das Vertrauen geschenkt und mich zur Nummer eins bei Bayer Leverkusen gemacht. Dass ich ihm dafür stets dankbar sein werde, steht für mich außer Frage. Natürlich bin ich ein wenig traurig, dass er nun nicht mehr mein Trainer ist. Ich bin aber auch der festen Überzeugung, dass der Verein mit Bruno Labbadia einen sehr guten Nachfolger gefunden hat, der die Entwicklung der Mannschaft weiter vorantreiben wird.
Frage: Gibt es zwischen Nationalmannschaft und Verein gravierende Unterschiede, was das Torwarttraining betrifft?
Adler: Was die Philosophie des Torwartspiels betrifft, ist das Training schon sehr ähnlich. Die Art und Weise, wie Jens seine Rolle interpretiert, als spielender Torwart, kommt mir sehr entgegen. Und da das Training hier sehr auf ihn zugeschnitten ist, kommt das natürlich auch mir zugute.
Frage: Als Jugendlicher galt der ehemaligen Keeper von Manchester United, Peter Schmeichel, als Ihr Vorbild - eifern Sie ihm immer noch nach?
Adler: Nein, ein Vorbild im eigentlichen Sinne habe ich heute nicht mehr. Aber ich sehe mir schon sehr genau die Stärken der Spitzentorhüter in Europa an und versuche dann, diese Stärken in meinen individuellen Stil einfließen zu lassen.
Frage: Wer sind für Sie aktuell diese Spitzenleute?
Adler: Da kann man ohne Frage Jens Lehmann mit seiner dominanten Strafraumbeherrschung nennen, aber auch Petr Cech vom FC Chelsea, Iker Casillas von Real Madrid oder Gianluigi Buffon von Juventus Turin. Ich sehe mir diese Topleute speziell aus dem Blickwinkel des Torwarts sehr genau an, und wenn es passt und für meinen Stil vertretbar ist, dann versuche ich stets, dort etwas zu finden, das mich stärker machen kann.
Frage: Stichwort "stärker machen": Sie haben eine sehr enge Bindung zu Ihren Eltern, die nach wie vor in Leipzig leben, aber trotz der großen Entfernung oft zu den Spielen von Bayer anreisen. Wie sieht der Kontakt zurzeit aus: Reisen die Eltern auch diesmal an, obwohl Sie höchstwahrscheinlich nicht spielen werden?
Adler: Wir telefonieren nach wie vor, wenn möglich, alle ein bis zwei Tage. Und selbstverständlich habe ich meinen Eltern auch Karten für unsere Spiele bei der EM besorgt. Sie werden also auf jeden Fall immer im Stadion sein.
Frage: Sie treten stets bescheiden auf...
Adler: So bin ich eben. Vor allem lege ich großen Wert darauf, dass ich mich menschlich nicht zu meinen Nachteil verändere, nur weil ich jetzt Nationalspieler bin. Bei allem sportlichen Ehrgeiz ist es für mich am wichtigsten, mich als Mensch positiv zu entwickeln, klare Ziele und Werte zu haben.
Quelle:bayer04.de