"Die Türkei überrascht durch Unordnung"

  • Simon Rolfes hat den wichtigsten Fan, den man als Nationalspieler haben kann: Joachim Löw. Nach dem Einsatz gegen Portugal hofft der Leverkusener auch im Halbfinale auf seine Chance. Mit SPIEGEL ONLINE sprach er über die Stärken und Schwächen der Türken und die Bedeutung der Nummer sechs.


    Frage: Herr Rolfes, ärgern Sie sich, wenn Torsten Frings wieder fit ist?


    Rolfes: Warum sollte ich?


    Frage: Sie könnten deshalb im Halbfinale auf der Bank sitzen.


    Rolfes: Ich habe mich darüber gefreut, dass ich gegen Portugal die Chance bekommen und sie auch genutzt habe. Es war das wichtigste Spiel meiner Karriere. Die Eindrücke werden bleiben. Ich gehe nun völlig unvoreingenommen in Richtung Halbfinale.


    Frage: Sie hätten jedes Recht, einen Platz zu fordern.


    Rolfes: Das ist nicht mein Stil. Klar könnte ich mir durch eine offensivere Medienpolitik ein besseres Standing erarbeiten. Aber nur in der Öffentlichkeit. Die Trainer wissen genau, was sie an mir haben.


    Frage: Zum Beispiel einen defensiven Mittelfeldspieler, der ausgesprochen gut mit Thomas Hitzlsperger harmoniert hat.


    Rolfes: Wir haben sowieso einen guten Draht zueinander. Wir haben bereits in der U18 zusammengespielt, lagen oft auf dem gleichen Zimmer. Damals haben wir geträumt oder spekuliert, ob es denn einer von uns schafft, mal eine EM oder WM zu spielen. Dass wir jetzt gemeinsam hier sind, freut uns natürlich sehr.


    Frage: Sie haben ein besonderes Verhältnis - und sind doch Konkurrenten.


    Rolfes: In der U18 war das noch nicht so. Damals habe ich hinten links gespielt und er im Zentrum. Konkurrenz gibt es im Fußball immer, die ändert aber nichts an meinem guten Verhältnis zu Thomas. Letztlich setzen sich immer die Spieler durch, die sich weiterentwickeln. Und das machen wir beide.


    Frage: Joachim Löw hat Sie in handgestoppten zwei Minuten als einen überragenden "Sechser" gelobt. Welche persönlichen Eigenschaften prädestinieren Sie für die Position vor der Abwehr?



    Rolfes: Zuverlässigkeit und Disziplin. Beide Eigenschaften sind für diese strategisch wichtige Position grundlegend. Dazu eine gute Technik, Ballsicherheit und Übersicht.


    Frage: Und Selbstkritik?


    Rolfes: Man kommt im Fußball schnell nach oben, fällt aber noch schneller, wenn die Selbstkritik fehlt.


    Frage: Beim Debüt gegen Dänemark 2007 trugen Sie noch die 38 auf dem Rücken, jetzt haben Sie die 6 - die Nummer eines Stammspielers. Haben Sie gewollt, oder wurde sie Ihnen zugeteilt?


    Rolfes: Beides. Ich wusste nicht, dass ich sie bekomme. Aber ich habe schon darauf gehofft, weil sie keiner vorher hatte. Sie steht für meine Position. Ich freue mich, auch weil ich die gleiche Nummer wie im Verein habe.


    Frage: Wie haben Sie denn das Viertelfinale der Türken gegen die Kroaten erlebt?


    Rolfes: Mit der Mannschaft in der Lobby. Beim Ausgleichtreffer haben wir schon gejubelt.


    Frage: Weil Sie Angst vor den Kroaten hatten?


    Rolfes: Nein. Weil das Spiel so packend war. Es ist immer wieder schön zu sehen, was im Fußball alles passieren kann. Ich war in diesem Moment einfach nur Fußballfan.


    Frage: Spielte bei der Freude nicht auch mit, dass drei türkische Spieler gegen Deutschland gesperrt sein werden und die Hälfte der Mannschaft nicht fit ist?


    Rolfes: Nein, das war uns egal.


    Frage: War die Mannschaft nicht heißer auf eine Revanche für die Vorrundenniederlage gegen Kroatien?


    Rolfes: Ganz sicher. Aber wir spielen genauso ehrgeizig gegen die Türkei.


    Frage: Wo liegen deren Stärken?


    Rolfes: Ihre Stärke ist ihre Fähigkeit zu überraschen. Das hat man gegen die Tschechen gesehen und auch gegen Kroatien. Die Türken werfen einfach alles nach vorne und können aus dieser Unordnung eine Überraschung schaffen.


    Frage: Das klingt fast so, als gebe es kein Rezept gegen diese Mannschaft.



    Rolfes: Es ist einfach wichtig, dass man das Spiel bestimmt und sich nicht das türkische Spiel aufdrängen lässt. Wir müssen unsere eigenen Stärken durchsetzen, dann sind sie zu schlagen.


    Frage: Was heißt das konkret?


    Rolfes: Aggressiv und mit viel Tempo spielen. Dann können wir Unordnung bei den Türken erzeugen.


    Frage: Besteht nicht die Gefahr, einen Gegner zu unterschätzen, der so chaotisch spielt?


    Rolfes: Wenn man das Halbfinale erreicht und das Finale als Ziel hat, gibt es kein Einstellungsproblem. Bei der EM 2004 hat auch keiner mit Griechenland gerechnet, und plötzlich waren sie Europameister. Oder 1992 Dänemark. Vermutlich kleine Mannschaften waren immer wieder bei Europameisterschaften erfolgreich, deshalb werden wir keinen Gegner unterschätzen.


    Frage: Nach der Vorrunde dachten wir, Deutschland sei auch wieder eine kleine Mannschaft.


    Rolfes: Das haben die Portugiesen vielleicht auch gedacht. Jetzt hoffe ich, dass wir eine von zwei Mannschaften sind, die am 29. Juni im Finale stehen.


    Frage: Der Türkei fehlt die komplette Innenverteidigung wegen Sperren und Verletzungen. Würden Sie als Bundestrainer wieder zum System mit zwei Stürmern zurückkehren?


    Rolfes: Wir werden grundsätzlich offensiver agieren als gegen die Portugiesen. Portugal hatte nach vorn mehr Spielanteile, als die Türken es haben werden. Aber zwei Stürmer bedeuten nicht unbedingt ein offensiveres Spiel. Es kommt immer darauf an, wie man ein System interpretiert. Wenn die beiden Außen im 4-5-1 nach vorn gezogen werden, hat man plötzlich drei Stürmer.


    Frage: Im 4-5-1 ...


    Rolfes: Ja, ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Aber ich bin nicht der Trainer.


    Frage: Als Sie mit der Mannschaft das Viertelfinale der Türkei geschaut haben: Gab es danach einen Schwur, diesen Gegner zu schlagen?



    Rolfes: Einen Schwur gab es nicht. Die Stimmung war eher von Vorfreude geprägt. Wir haben das Ziel ausgegeben, im Finale in Wien zu stehen. Jetzt haben wir noch ein Spiel vor der Brust, um diesen Schritt zu machen. Es gibt richtige Spannung in der Mannschaft.


    Frage: Gab es nicht irgendwann in den vergangenen Wochen mal Frust bei Ihnen, dass Sie als Bundesliga-Stammspieler bei der EM nur auf der Bank saßen?


    Rolfes: Ich war nicht frustriert. Aber es ist etwas komplett anderes, sich auf ein Spiel vorzubereiten, bei dem man nicht weiß, ob man spielt. Bei einem Stammspieler kommt die Spannung von allein.


    Frage: Auch wenn Sie am Mittwoch nicht spielen sollten: Ist diese EM für Sie jetzt schon ein Erfolg?


    Rolfes: Ich will es anders sagen: Sie war für mich ein Schritt nach vorne, egal wie es ausgeht. Wir wollen Europameister werden, dann war sie richtig erfolgreich. Für mich persönlich werde ich die Frage erst nach dem Turnier beantworten.


    Aufgezeichnet von Christian Gödecke


    http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,561242,00.html