Operation Sprungbrett
VON FRANK NÄGELE, 16.07.08, 21:16h
Bayer 04 Leverkusen empfängt den brasilianischen Neueinkauf Renato Augusto im Trainingslager in Österreich. Der Transfer des 20-Jährigen Talents war nur mit Hilfe eines ausgeklügelten Finanzierungskonzeptes möglich.
Bayer-Manager Michael Reschke (l.) mit Renato Augusto (Bild: RD)
Bayer-Manager Michael Reschke (l.) mit Renato Augusto (Bild: RD)ABTWIL - Die Operation Sprungbrett begann typisch brasilianisch: mit einer Verspätung. Renato Augusto verpasste den Anschlussflug in Lissabon und hielt Bayer 04 Leverkusen am Mittwoch schwer in Atem. Kurz vor 18 Uhr traf der 20-jährige im Quartier Säntispark ein, ein paar Minuten später brach der ganze Tross schon auf zum Blitzturnier in Wil. Ein kurzes Hallo, ein Foto, ein „Ich freue mich, hier zu sein“, und schon war der Neue wieder verschwunden.
Wenn nicht alles falsch ist, was die Experten über Renato Soares de Oliveira Augusto sagen, dann hat Bayer 04 einen Lottogewinn gezogen. Und es fällt den Leverkusenern schwer, zu erklären, wie das geht für die Summe von sechs Millionen Euro. „Normalerweise ist ein solcher Spieler für uns nicht zu bekommen, wir kennen ihn schon lange, aber wir haben im Traum nicht daran gedacht, dass wir da eine Chance hätten“, sagt Rudi Völler. Videoportale wie Youtube sind schon voll mit technischen Leckerchen, die Renato Augusto für seinen Ex-Verein Flamengo gezeigt hat. Ein eleganter, kraftvoller, offensiver Mittelfeldspieler, der schon wegen seines Aussehens mit Rivaldo verglichen wird.
Bayer 04 profitierte bei diesem Coup von zwei Dingen: seiner immer noch hervorragenden Infrastruktur in Brasilien. Und von seinem Ruf als Elite-Ausbildungsstätte in Europa. Eine große Rolle bei solchen Entscheidungen spielen in Südamerika Investmentfirmen, die Rechte an allen interessanten Profis besitzen. Die größte unter ihnen heißt Trafic. „Das sind keine windigen Leute, sie vertreten einfach nur ein erfolgreiches Geschäftsmodell“, sagt Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser. Das einzige Interesse dieser Firmen ist die Wertsteigerung ihrer Objekte. Und Bayer 04, wo einst Jorginho, Emerson, Zé Roberto und Lucio zu Superstars wurden, gilt immer noch als Instanz, die eine solche Wertsteigerung bei jungen Spielern herstellt, ihnen bei der Integration in eine neue Kultur hilft, bevor sie zu den Top-Adressen in England, Spanien und Italien wechseln.
Diese Absicht ist schon in Renatos Vertrag verankert. Die Laufzeit beträgt fünf Jahre, aber nach zwei Jahren endet die ganz feste Bindung, dann regeln Klauseln die Modalitäten für weitere Karrieresprünge. Bayer wird die Ablöse von sechs Millionen wieder bekommen, aber erst ab der Summe von zehn Millionen mit 25 Prozent am Weitertransfer beteiligt sein. Dieser komplizierte Deal war für Bayer die einzige Chance, Renato zu bekommen.
Aber es gibt 1000 Dinge, an denen so etwas scheitern kann. Wie bei Thiago Silva (24), dem Leverkusener Wunschverteidiger von Fluminense Rio de Janeiro. Die Leute von Bayer 04 waren kurz davor, den Transfer als perfekt zu vermelden, dann glitt ihnen alles aus den Händen, weil der Verein in der Copa Libertadores, dem Gegenstück zur europäischen Champions League, Spiel um Spiel gewann. „Das war Wahnsinn, die waren immer Außenseiter und kommen ins Finale, vor allem dank der überragenden Leistungen von Thiago Silva“, sagt Rudi Völler. Plötzlich hatte sich der Wert des Spielers verdoppelt, er war dem Modell Leverkusen entwachsen. Wer so einen Mann haben will, muss zehn Millionen plus X auf den Tisch legen. „Da hatten wir jetzt keine Chance mehr, aber es gibt noch eine kleine Möglichkeit, wenn er nicht vor dem Winter wechselt“, sagt der Bayer-Sportchef.
Allerdings hat man vorübergehenden Ersatz gefunden. Der 21-jährige Innenverteidiger Henrique, die Nummer eins seines Landes in dieser Altersstufe, wird kommen, wenn die Bayer-Zentrale grünes Licht für eine sechsstellige Summe bekommt. Allerdings steht schon jetzt fest, dass dieses überragende Talent nur ein Jahr bleiben kann, weil er dem FC Barcelona gehört. Aber durch die schwere Verletzung von Lukas Sinkiewicz (Kreuzbandriss) ist das genau der Zeitraum, den man überbrücken will. Die Katalanen haben im Juni zehn Millionen Ablöse bezahlt und einen Fünfjahresvertrag abgeschlossen. Weil sie Henrique aber jetzt noch nicht brauchen, hat Leverkusen den Zuschlag für ein Jahr bekommen, gegen die massive Konkurrenz von Ajax Amsterdam übrigens.
„Wenn das wirklich alles klappt, sind uns zwei Paukenschläge auf einmal gelungen“, sagt Michael Reschke, „und wir sind wieder zurück auf dem brasilianischen Markt.“ Mit der Operation Sprungbrett.