Finanzkrise in der Primera Division?
Der unkaputtbare Fußball
München - "Jesus Christus ist auch gekreuzigt worden." Jose Luis Nunez war eigentlich nicht bekannt für seinen Größenwahn. Zumindest nicht zu Beginn seiner Laufbahn.
Nunez war ein überaus erfolgreicher Unternehmer. Und als solcher wird man nicht Multimillionär mit Tagträumereien. Nunez' eigentliches Schicksal waren aber nicht Milliarden Peseten auf dem Konto oder der Zement an seinen Schuhen.
Seine Obsession war der FC Barcelona. 20 Jahre stand Nunez dem katalanischen Heiligtum vor. Präsident eines Profi-Klubs - ein Privileg, das in Spanien mehr gilt als der Posten eines Ministers.
Eine Kultur des Kaufens
Nunez sah sich zum Ende seiner Amtszeit von der Opposition in die Enge getrieben und lieferte auf der Hauptversammlung eines der bekanntesten Bonmots des spanischen Fußballs.
Im realen Leben war er Bauunternehmer. Spätestens Mitte der 70er Jahre hatte im spanischen Fußball jeder Klub, der etwas auf sich hielt, einen Bauunternehmer zumindest in der Vorstandschaft sitzen. Rund 15 Prozent des spanischen Bruttoinlandprodukts lieferte der Bausektor, nach Dienstleistungs- und Energiesektor der dritt wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Und den Vereinen ging es gut.
Die Granden von Real, Atletico oder eben Barca genehmigten sich sogar einen Tycoon als obersten Mann im Verein. Die Bau- und Immobilienbranche boomte nach der Franco-Diktatur, Häuser und Hotels schossen nur so aus dem Boden. Grund wurde billig eingekauft und teuer wieder verkauft.
"Wir hatten über zwei Generationen lang eine Kultur des Kaufens. Jeder wollte sich alles leisten können. Wieso ein Haus mieten, wenn ich auch eines kaufen konnte? Manche Banken gewährten Hypotheken über den vollen Kaufpreis. Es war verrückt", sagt Ricardo Moar im Gespräch mit SPOX.
Die Angst geht um
Moar, ehemals Manager bei Hannover 96 und seit vier Jahren wieder zu Hause bei Deportivo La Coruna, erfährt nun in seiner Eigenschaft als Sportdirektor bei Depor den Zerfall einer der größten Einnahmequellen des spanischen Fußballs am eigenen Leibe.
Der Immobilienmarkt liegt am Boden, "die große ökologische Lüge" ist aufgeflogen, so Moar. Und spätestens seit eine der größten Baufirmen des Landes, Martinsa-Fadesa, vor gut zwei Wochen seine Aktien an der Börse aussetzte und Insolvenz anmelden musste, geht die Angst um in Spaniens Fußball.
Die Schicksale ganzer Klubs sollen eng verflochten sein mit denen ihrer zahlungskräftigen Gönner und Sponsoren aus dem Baugewerbe. Von Provinzklubs wie Alaves bis rauf in die Beletage, zu Racing Santander oder dem FC Valencia.
"Den Fußball kann nichts kaputt machen"
Sie alle haben die Grundfesten ihres Klubs auf Steine und Baustahl gebaut - jetzt droht angeblich der finanzielle Kollaps. Für den Außenstehenden mutet die Lage ein wenig an wie die der New Economy kurz vor dem großen Knall Anfang des Jahrhunderts.
"Es ist ein Problem. Aber so groß wie es gemacht wird, ist es gar nicht", sagt Moar. "Deportivo hatte bis letzte Saison Martinsa-Fadesa als Hauptsponsor. Wir haben gemerkt, dass wir Probleme bekommen könnten und haben den Vertrag nicht verlängert."
Zwar fehlen Depor jetzt rund zwei Millionen Euro, aber "wir haben so gut wie sicher einen neuen Trikotsponsor", verrät Moar. Und außerdem: "Vor allem die kleinen Klubs leben und überleben von den Einnahmen aus den Fernsehgeldern und dem Ticketverkauf."
Also alles halb so schlimm? "Den Fußball kann man nicht kaputt machen. So lange das Fernsehen und die Fans noch da sind, passiert uns nichts. Fußball ist ein Allgemeingut, das wichtigste in Spanien. Und sollten alle Stricke reißen, dann schaltet sich die Politik ein."
Die Politik sichert ab
In La Coruna leben ca. 250.000 Menschen. Galizien ist eine schwer gebeutelte Region. Die Fischerei steckt in der Krise, die Strände locken nicht mehr so viele Touristen an wie früher.
"Aber wir haben 25.000 Dauerkarten verkauft und die Hälfte der Leute hier verfolgen Depor regelmäßig. Diese Stadt lebt den Verein." Und Politiker, die gegen den drohenden Niedergang ihres Klubs in ihrer Stadt oder Region nichts unternehmen würden - ob legal, halblegal oder illegal - wären die längste Zeit in Amt und Würden.
Fallbeispiel Real Madrid
Als Real Madrid vor einigen Jahren in einer brenzligen finanziellen Lage war und den Klub rund 280 Millionen Euro Schulden drückten, kauften die Behörden kurzerhand das Trainingsgelände der Königlichen im Stadtzentrum am Estadio Santiago Bernabeu (Bild) auf und bebauten das Gebiet mit den höchsten Wolkenkratzern downtown.
Real bekam im Gegenzug - neben einem stattlichen Verkauferlös, die Rede war von 400 Millionen Euro - ein Gelände draußen am Flughafen Barajas zugeteilt. Mittlerweile liegt dessen Grundstückspreis weit über dem des alten Geländes in der Stadt.
Vom satten Überschuss genehmigten sich die Königlichen mit dem damaligen Präsidenten Florentino Perez an der Spitze unter anderem Superstars wie David Beckham, Luis Figo oder Zinedine Zidane. Es war die Geburtsstunde der Galacticos.
"Die Politik wird immer da sein. Auch für die kleineren Klubs. Und wenn ein Geldgeber aussteigen will, stehen im Normalfall schon drei, vier andere bereit, die ihre Namen und ihre Firma gerne im Zusammenhang mit der Rettung des Klubs sehen wollen", erklärt Moar.
Es gibt ein Problem
Das einzig wirkliche Problem sieht der 54-Jährige in der "ley con cursal". Ähnlich wie bei einem Insolvenzverfahren können in Spanien dank des völlig legalen Konkursgesetzes Schulden erlassen werden, einfach so. Aus 100 Millionen Euro werden dann auf einen Schlag 60 oder 50 Millionen.
"Der Staat überwacht einen dann und sobald du deine Schulden abgebaut hast, geht alles wieder von vorne los. Am Anfang war es vielen Unternehmen peinlich, die 'ley con cursal' zu benutzen. Mittlerweile ist das Gesetz völlig salonfähig. Jesus Gil y Gil und Atletico Madrid haben das jahrelang praktiziert."
Gil, ehemaliger Bürgermeister von Marbella, Paradiesvogel mit latentem Hang zum Größenwahn und selbstredend Bauunternehmer, war bis zu seinem Tod der berüchtigste aller Tycoone im spanischen Fußball.
Vereine wie Ex-Meister Real Sociedad San Sebastian, UD Levante oder Celta de Vigo kamen dank des fragwürdigen Konkursrechts bereits um drohende Zwangsabstiege herum.
Der Knackpunkt an der "ley con cursal": Viele klamme Vereine wollen sich nun auch bei der Bezahlung der Spielergehälter darauf berufen. So könnten Profis rund 50 Prozent ihres Gehaltes flöten gehen, einige wenige aus der Segunda Division (2. Liga) oder der Segunda B (3. Liga) sind schon an der festgelegten Untergrenze von 66.000 Euro pro Jahr angelangt.
Einigung in letzter Minute
Die Spielergewerkschaft AFE ging auf die Barrikaden und rief zum Streik auf. Im schlimmsten Fall drohte ein Boykott des 1. Spieltags am letzten Augustwochenende. "Das könnte durchaus passieren. Es kommt darauf an, wie viele Vereine das Gesetz anwenden", sagt Moar. "Ich hoffe, es sind nicht zu viele."
Seit Freitagnacht, 24 Uhr ist zumindest klar: Weder Boykott noch Streik finden statt. Vertreter der AFE und des Ligaverbands LFP haben ein Abkommen unterzeichnet, das den Missbrauch des Konkursrechts durch zahlungsunfähige Vereine unterbinden soll und die Bildung eines Garantiefonds für die Spieler vorsieht.
Dennoch ist ein erster Anfang in eine neue Zeitrechnung schon gemacht. Am Freitag verlor Levante, Absteiger aus der Primera Division, gleich mehrere Spieler auf einen Schlag.
Der Klub war dermaßen in finanzielle Schieflage geraten, dass seit Monaten keine Gehälter mehr ausgezahlt werden konnten und den Spielern Auflösungsverträge angeboten wurden.
Die ersten neun Profis, darunter auch Argentiniens Nationalkeeper Pablo Cavallero, nahmen prompt an.